Die EU möchte die Zahl der Rückführungen drastisch erhöhen.

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Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind in Sachen Asyl und Migration einmal mehr im Krisenmodus. Grund dafür sind die drastisch gestiegenen Zahlen: 2022 wurden in der Union knapp 924.000 Asylanträge gestellt, im Jahr davor waren es rund 630.000 Anträge – ein Anstieg von 46,5 Prozent. Und so versucht man rasch Lösungen zu finden.

Während Wien derzeit besonders Zäune an den EU-Außengrenzen forciert, um die Situation in den Griff zu bekommen, setzt die schwedische EU-Ratspräsidentschaft dieser Tage darauf, die Rückführungsquote zu erhöhen. Das wird wohl auch Thema sein bei einem EU-Sondergipfel zum Thema Migration am 9. und 10. Februar.

2018 definierte die EU-Kommission das Ziel, 70 Prozent der abgelehnten Asylwerber – ob freiwillig oder nicht – in ihre Heimatländer zurückzuschicken. Davon war man aber stets weit entfernt, im Idealfall kratzte man an der 30-Prozent-Marke.

Kritik vom EU-Rechnungshof

Ein Grund für diese schlechte Quote ist, dass viele Herkunftsstaaten ihre Bürger nicht zurücknehmen wollen. Der Europäische Rechnungshof hielt dazu im September 2021 fest, dass die Union bei Rückführungen "nicht effizient genug" mit Drittstaaten zusammenarbeite. In den Herkunftsländern würde wohl – wie in Mali 2016 – die Bevölkerung gegen entsprechende Abkommen protestieren, sind doch viele Familien auf das Geld angewiesen, das afrikanischen Migranten aus Europa heimschicken.

Stockholm schlägt nun vor, diese Länder mit der Drohung von Visaverschärfungen zur Zusammenarbeit zu bewegen. Artikel 25a des Visakodex legt diese Option fest. Bislang wurde von dieser Möglichkeit erst einmal Gebrauch gemacht, und zwar 2021 bei Gambia. Das Resultat? "Es gibt keine Erkenntnisse, dass der Visahebel funktioniert", sagt Migrationsexperte Steffen Angenendt von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Einigung in der EU "unrealistisch"

Auch sein Kollege Gerald Knaus von der Denkfabrik Europäische Stabilitätsinitiative (ESI) ist sehr skeptisch: "Selbst wenn man es für eine gute Idee hält, was ich nicht tue, ist es sehr unrealistisch, dass sich die EU-Länder bei vielen Herkunftsländern auf eine Visaverschärfung einigen." Als Beispiel nannte er Marokko oder Tunesien, die strategisch zu wichtig für die EU seien, um sie auf eine schwarze Liste zu setzen.

Bei Gambia, so Knaus, habe man Artikel 25a angewendet, weil es kaum Verbündete habe und es da auch kaum Menschen gebe, die die Visaverschärfungen betreffen würden. Im Gespräch für eine solche Maßnahme waren damals auch Bangladesch, der Senegal und der Irak, doch konnten sich die EU-Staaten nicht darauf einigen.

Thema zu komplex für Schnellschüsse

Auch Margaret Monyani vom afrikanischen Institute for Security Studies (ISS) hält die Pläne für wenig erfolgversprechend. "Die EU bringt die jeweiligen Regierungen nicht zum Kooperieren, indem sie ihnen droht." Überhaupt, so die Expertin, klinge das wie ein "Ad-hoc-Plan, bei dem man die Menschen am liebsten gleich morgen in die Flugzeuge setzen wolle". Doch sei das Thema zu komplex für Schnellschüsse.

Experte Angenendt, der verschiedene Regierungen und die Uno beraten hat, vermutet, dass man mit dieser "Symbolpolitik davon ablenken möchte, dass man bei den wirklich wichtigen Reformen wie bei der EU-Lastenteilung nicht weiterkommt". Gemeint ist damit der 2020 von der EU-Kommission vorgelegte Asyl- und Migrationspakt, der unter anderem gemeinsame Asylverfahren und eine "solidarische" Verteilung von Asylsuchenden in der EU beinhaltet. Nahezu alles davon wurde bislang nicht umgesetzt.

"Hilfloses Signal"

Auch Knaus, der als Architekt des EU-Türkei-Flüchtlingsdeals gilt, stellt der Union kein gutes Zeugnis aus: "Wie so vieles, was die EU seit Jahren diskutiert, ist auch das ein hilfloses Signal, das schaden wird." Unisono erklären Knaus und Angenendt, dass es zielführender sei, Anreize zu schaffen und Angebote zu machen, anstatt zu drohen.

Knaus' Vorschlag: "Ab einem bestimmten Stichtag nehmen Herkunftsländer ihre Bürger zurück. Im Gegenzug machen wir Angebote für eine einfachere und legale Einreise: Visaerleichterungen etwa, Arbeitskontingente oder mehr Stipendien."

Gespräche auf Augenhöhe

Angenendt schlägt in die gleiche Kerbe: "Migrationspartnerschaften, die an den Interessen der Herkunftsländer ansetzen, sind zwar unheimlich aufwendig, aber effizienter. Und sie könnten auch dazu beitragen, den Arbeitskräftemangel zu reduzieren." Der Experte nennt dabei die Schweiz als gutes Beispiel.

Man müsse die Herkunftsländer ernst nehmen und konkrete Kooperationsfelder definieren wie die Mobilität von Studierenden und Arbeitskräften, den Aufbau von Verwaltungskapazitäten und Hilfen zur Reintegration von Rückkehrern. Dieser völkerrechtliche Vertrag, so Angenendt, müsse alle sechs Monate überprüft werden, dann "wäre das die beste Lösung, um in Sachen Rückführungen eine solide Politik zu erreichen".

Stimmen der Migranten hören

Expertin Monyani hält von Angeboten auf Augenhöhe ebenfalls mehr als von Drohungen, ergänzt dazu aber: "Oft verhandelt die EU mit afrikanischen Regierungen, die ja gerade der Grund sind, weshalb die Menschen flüchten." Deshalb müsse man bei Gesprächen auch die Stimmen der Migranten hören und Stakeholder mit an den Tisch holen, fordert sie.

Legale Einreisemöglichkeiten in die EU, so Monyani, "sind im Endeffekt das, was Menschen tatsächlich von irregulärer Migration abhält". (Kim Son Hoang, 7.2.2023)