Der Brexit war wohl das politisch bisher größte "Werk" von Nigel Farage. Die Verantwortung für die negativen Konsequenzen des Austritts weist er allerdings von sich.

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Mit allerlei Versprechen hatten die Verfechter des britischen EU-Austritts, vulgo Brexit, dereinst für selbigen geworben. Man könne sich unsinniger Regulatorien entledigen, bessere Handelsabkommen schließen, nach Brüssel geschicktes Geld in die Gesundheitsversorgung stecken – und dank verringerter Migration werde es mehr Jobs für Briten geben.

Dem Referendum im Jahr 2016 folgte schließlich – nach einigen Turbulenzen – Ende Jänner 2020 der Austritt aus der Europäischen Union. Die Bilanz zum dreijährigen Jahrestag fällt allerdings einigermaßen verheerend aus. Fachkräftemangel, Braindrain und Exportprobleme plagen Großbritannien. Die Wirtschaftsdaten sehen im Vergleich mit anderen westlichen Staaten schlecht aus. Auch auf Twitter blieb anlässlich des Jubiläums die Kommentierung der Misere nicht aus.

Es ist kompliziert

Dabei durften auch allerlei Memes nicht fehlen. "Die Ausländer sind weg, warum hast du immer noch keinen Job, Daddy?" heißt es etwa auf einem Sujet, das den Post-Brexit-Zustand des Landes kritisieren soll. Faktisch haltbar ist das Statement allerdings nicht. 2022 verzeichnete das Vereinigte Königreich sogar unüblich hohen Zustrom aus dem Ausland.

Das dürfte laut Migration Observatory der Universität Oxford allerdings nichts mit Brexit-bedingten Änderungen zu tun haben, sondern mit der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine sowie erleichterten Visabestimmungen für Menschen aus Hongkong mit britischem Pass. Zuwanderung aus EU-Ländern nahm hingegen seit dem Referendum kontinuierlich ab, laut neuen Schätzungen dürfte die Zuwanderungsbilanz hier mittlerweile negativ sein. Es ziehen also mehr Briten in Länder der Union, als EU-Bürger ins Land einwandern.

Beliebt ist auch die Gegenüberstellung von Titelseiten. Vier Monate nach dem Referendum zitierte das Boulevardblatt "Daily Express" noch Experten, die ein Sinken der Lebensmittelpreise nach dem Austritt voraussagten. Drei Jahre nach dem EU-Abschied steht ein rasanter Anstieg selbiger in der Schlagzeile der Titelseite.

Auch hier gilt freilich, dass der Brexit für diese Entwicklung nicht allein verantwortlich ist. Großbritannien mag zwar die versprochenen, "besseren" Handelsabkommen nicht erzielt haben, doch die Folgen des Ukraine-Krieges und der unsicheren Weltwirtschaftslage sorgen auch andernorts für teils deftige Preissteigerungen bei Lebensmitteln.

Das "goldene Zeitalter" ist ausgeblieben

Konkreter wird es aber bei dieser Frontseite des "New European". Diese stammt eigentlich aus dem Jahr 2021, wird zum Thema Brexit aber immer wieder hervorgeholt. Sie listet übersichtlich die hehren Versprechen und hochtrabenden Prognosen verschiedener "Brexiteers".

Die Kosten eines Austritts lägen praktisch bei null, erklärte etwa Ex-Premier Boris Johnson. Es werde Großbritannien außerhalb der EU "substanziell besser" gehen, so Nigel Farage, der Rechts-außen-Politiker, der als "Vater des Brexits" gilt. Jacob Rees-Mogg, Johnsons Parteikollege, Bond-Bösewicht in spe und Austrittshardliner, schwärmte gar von der Chance auf ein "goldenes Zeitalter". Im Moment muss sich das Land hier derzeit wohl mit Blech begnügen.

Ausgeblieben ist auch der von manchen Brexit-Vertretern erhoffte Dominoeffekt in Form des EU-Austritts weiterer Länder. Der britische Spielstein ist zwar krachend umgefallen. Andere haben immer wieder gewackelt, weitere Abschiede blieben jedoch aus.

Angesichts der zunehmend offensichtlicher werdenden negativen Folgen für Großbritannien sind ein Öxit, Dexit, Frexit und dergleichen kaum noch ein Thema. Selbst viele einst dafür werbende Politikerinnen und Politiker haben mittlerweile von Austrittsrhetorik Abstand genommen.

Knapp zwei Drittel für Wiedereintritt

Und das wohl aus gutem Grund. Kritik an "Brüssel" ist zwar weiterhin bei Populisten beliebt, mit der Forderung nach einem Austritt dürfte politisch aber nicht viel zu gewinnen sein. Das zeigen auch Zahlen aus Großbritannien selbst.

Passend zum Brexit-Jubiläum publizierte das Meinungsforschungsunternehmen Omnisis das Ergebnis einer Umfrage bezüglich eines möglichen Wiedereintritts. Und laut dieser gibt es für diese Option fast eine Zweidrittelmehrheit. Die beiden Großparteien bringt das freilich in eine Zwickmühle. Selbst von der Labour-Führung war bislang kein klares Bekenntnis zu einem Wiedereintritt zu hören.

Besonders heikel sind solche Umfrageergebnisse aber freilich für die Tories. Immerhin war es ein konservativer Premier, David Cameron, der den Brexit initiiert hatte. Denn das Referendum diente nicht nur zur nationalen Meinungserhebung, sondern sollte auch seine innerparteiliche Position gegenüber dem lauter werdenden Austrittsflügel stärken.

Der Plan ging bekanntermaßen nicht auf, und stattdessen stellte er sein Amt zur Verfügung. Fünf Jahre und vier Premierminister später (May, Johnson, Truss, Sunak) ist nicht nur die Brexit-Bilanz verheerend, auch die innerparteilichen Wogen sind längst nicht geglättet.

Wie es weitergehen wird im Vereinigten Königreich, ist schwer zu sagen. Manche Twitter-Kommentatoren prognostizieren, wenn auch nicht ganz ernsthaft, eine dystopische Zukunft. Die Amtsperiode der aktuellen Regierung dauert noch maximal zwei Jahre, die nächste Wahl muss spätestens im Jänner 2025 stattfinden. (gpi, 1.2.2023)