Im Gastblog nennt Jurist und Mediator Ulrich Wanderer wichtige Ansätze aus der Mediation, deren Berücksichtigung im prinzipiellen Umgang mit Konflikten nützlich sein kann.

Wir alle haben Konflikte, doch nicht immer gibt es die Möglichkeit, in einem mediierten Gespräch an einer Win-win-Lösung zu arbeiten. Welche Ansätze, welche Tipps gibt es hier, um sich in eine Diskussion mit dem Gegenüber einzulassen, in der es nicht um den Sieg im Streitgespräch geht, sondern vielmehr um die Suche nach einem konstruktiven Ausweg aus dem gemeinsamen Dilemma?

Um einen Streit bestmöglich aufzulösen, sollten gewisse Aspekte wie das Gesprächssetting beachtet werden.
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Sobald ein "Baba und fall ned" nicht die Lösung eines Streitgesprächs zu sein vermag, ist es im ureigensten Interesse beider Parteien, einen Weg aus dem Konflikt zu suchen, der im besten Fall auch noch zu einer nachhaltigen Verbesserung des zwischenmenschlichen Klimas zu führen vermag. Sei es in beruflichen Konflikten, bei Nachbarschaftsthematiken oder auch im privaten Bereich einer Liebesbeziehung – einige Grundsätze haben sich als gute Wegweiser eines konstruktiven Gesprächs erwiesen.

Vorbereitung: Bedürfnisse eruieren

Im Rahmen der Vorbereitung eines entsprechenden Gesprächs ist es besonders wichtig, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Nicht die offenkundigen, oberflächlichen Wünsche nach "Er soll einfach nur verschwinden!" oder "Ich brauche mehr Geld und einen größeren Schreibtisch", sondern jene Persönlichkeitsanteile, die sich zwei Schritte dahinter verbergen. So wäre es beim Wunsch "Er soll einfach nur verschwinden!" spannend herauszufinden, welcher Teil der eigenen Persönlichkeit durch die Anwesenheit der betreffenden Person getriggert wird und welches Verhalten als besonders unangenehm erlebt wird. Was brauche ich wirklich, welches Verhalten würde mich denn freuen?

Versetzen wir uns aber, so absurd der Gedanke vielleicht auch sein mag, in unseren Widerpart hinein. Wie geht es ihm oder ihr denn in der Situation? Was könnten denn die entsprechenden Bedürfnisse sein? Gibt es vielleicht Aspekte, die wir in unserem Konflikt-Tunnelblick übersehen haben, gar übersehen wollten? Vielleicht entdecken wir unser Gegenüber neu und finden Anknüpfungspunkte für unser Gespräch.

Vergessen wir auch nicht, dass der Gesprächsrahmen eine sehr wichtige Intervention ist. Statt eines Gesprächs zwischen Tür und Angel ist ein sicherer Orts anzuraten, der (im beruflichen Rahmen) für gewisse Zeit reserviert ist – oder in anderen Kontexten ein Abendessen zu zweit, um zu reden. Vielleicht spazieren Sie auch durch einen Park oder einen Wald? Jedenfalls macht die Umgebung einen wesentlichen Unterschied bezüglich des Gesprächsverlaufs.

Einstieg: Wahl des Raumes

Nun haben wir uns Gedanken gemacht und geplant. Der nächste Schritt ist die Kontaktaufnahme zum Gegenüber. Je nach bisheriger Eskalation wird diese wohl für beide Seiten die Überwindung von gewissen Erwartungshaltungen bedeuten. Hierbei helfen uns aber schon jene Überlegungen, die wir in der Vorbereitung gemacht haben, wir kennen unsere Bedürfnisse und ahnen die des Gegenübers. Sprechen wir dabei von uns. Nutzen wir "Ich-Botschaften" wir "Mir geht es in unserer Situation nicht gut, ich würde mich wirklich freuen, wenn wir uns da einmal unterhalten könnten".

Unser Gegenüber darf und soll auch gleich wissen, worum es geht: nämlich den Konflikt zu besprechen und allfällige Irrtümer auszuräumen. Nicht mehr Herr X oder Frau Y sind unsere Gegner, sondern vielmehr der Konflikt an sich. Wir können gemeinsam an einem Strang sogar auch in die gleiche Richtung ziehen, anstatt einander zu übertrumpfen zu versuchen.

Stimmen wir darauf die weitere Vorgehensweise ab. Zwar haben Sie bereits viel geplant, haben vielleicht ein Essen vorbereitet oder einen Raum reserviert, doch ist dies nur ein Mittel zum Zweck. Und nur ein Mittel von vielen. Wenn andere Wege eher zum Konsens führen, ist es wichtig, hier flexibel zu bleiben. Das Ziel ist es, das Gegenüber als Menschen kennenzulernen, und nicht, die eigenen Vorstellungen auf Biegen und Brechen durchzusetzen.

Klärung: Offenheit für beide Seiten

Nun sitzen wir zusammen, gehen vielleicht gemeinsam durch einen Wald. Jetzt ist der Moment, die Hand, die bisher zur Faust geballt war, zu öffnen und dem Gegenüber zu reichen. Jetzt ist Offenheit gefragt. Sprechen wir ehrlich, denn schon allein durch seine oder ihre Anwesenheit signalisiert unser Gegenüber Bereitschaft und Interesse. Jetzt ist nicht der Platz für Plattitüden, sprechen wir an, wie es uns geht, weswegen der Konflikt belastend wirkt und nutzen wir dabei erneut die "Ich-Botschaften", denn es geht uns ja doch auch um unser eigenes Wohlbefinden.

Doch ebenso geht es auch um das Wohlbefinden des oder der anderen. "Wie geht es Dir eigentlich mit der Situation?" oder "Darf ich kurz einmal in eigenen Worten wiederholen, was ich gerade verstanden habe?" wären gute Sätze, die helfen können, das Gespräch offen und empathisch zu gestalten. Wiederholen Sie (und fordern Sie das auch ein) so oft wie möglich das Gehörte, um sicherzustellen, dass Sie auch wirklich die Aussagen richtig verstanden haben. Es wird seine Wirkung nicht verfehlen.

Lösungen: Frage des Kontexts

Wenn wir es geschafft haben, miteinander zu reden, einander auch zu hören und zu verstehen, ist es langsam an der Zeit, auch an Lösungen zu arbeiten. Zwar ist sehr oft bereits das Interesse am jeweils anderen und ihrer oder seiner Gedankenwelt ein Schlüssel, der die bisher verschlossenen Türen zu öffnen vermag – doch nicht immer. In beruflichen Konflikten ist es freilich besonders wichtig, neben der persönlichen Ebene auch die Sachebene zu bearbeiten. Welche Wünsche und Bedürfnisse haben wir an die Zukunft? Wie können wir diese Ziele selber erreichen, wo brauchen wir eine Unterstützung, wo müssen wir vielleicht die Ressourcen erweitern?

Finden wir einen Modus der auch Verbindlichkeit signalisiert. Im Businessgespräch wird hier die Schriftform wohl passend sein, bei höchstpersönlichen Gesprächen im Rahmen einer Beziehung reicht oftmals eine Umarmung oder eine andere symbolische Bestätigung der Wichtigkeit der gefundenen Lösung. Unterschätzen wir diese Symbolik nicht, sie unterstreicht gleichsam die Ergebnisse der ganzen Unterhaltung.

Abschluss: Durch den Prozess lernen

Wir haben es geschafft, haben den Sprung über den eigenen Schatten gewagt und sind in gesprächstechnischem Neuland gelandet. Was aber nun? Stellen wir gemeinsam noch einmal sicher, ob wirklich alle wichtigen Punkte adressiert wurden: "Gibt‘s noch was, das Du gern sagen willst, hast Du noch was anderes auf dem Herzen?" Wann, wenn nicht jetzt, ist der Zeitpunkt für diese Fragen.

Feedback zum Gespräch bildet dann den Anfang vom Ende – vom Ende des Klärungsgesprächs natürlich. "Wie geht's Dir jetzt?" "Willst du mir sagen, wie Du unser Gespräch empfunden hast?" Sie sind gemeinsam durch ein kommunikatives Abenteuer gewandert und haben sich viel getraut. Sie haben sich den eigenen Bedürfnissen und auch den Gedanken des bisherigen Gegners oder der bisherigen Gegnerin gestellt. Seien Sie stolz auf die gemeinsam erreichte Leistung und sagen Sie das auch. Sie haben nicht nur einen vielleicht jahrelang brodelnden Konflikt bezwungen, Sie haben schlicht auch einen Weg in eine bessere Zukunft als Partner oder Partnerin, Kollegin oder Kollege und vielleicht sogar als Freundin oder Freundin gefunden. Denn selbst, wenn sich doch wieder einmal ein Missverständnis zum Konfliktmonster aufblasen sollte, haben Sie nun Erfahrung darin, es kommunikativ an die Leine zu legen. (Ulrich Wanderer, 22.2.2023)