Leibliche Verwirrspiele: Leyla im Körper Fabiennes (Maryam Zaree) mit Stella, im Körper ihres Vaters (Edgar Selge).

Foto: Filmladen

Als Regisseur bezeichnet sich Alex Schaad noch nicht allzu lange. Der 32-jährige Deutsche mit kasachischen Wurzeln begann 2013 ein Regiestudium in München, gewann 2016 mit seinem Kurzfilm Invention of Trust den Studenten-Oscar und hat seitdem sein Standbein in der deutschen Filmbranche gefunden: beim Fernsehen und bald beim Streaming. Damit bezahle er seine Rechnungen, und dort seien seine Fähigkeiten als Handwerker gefragt, so Schaad im Gespräch mit dem STANDARD. Doch im Kino, wo nun sein Langfilmdebüt zu sehen sein wird, da geht es ihm um Kunst.

Ebenso kunstvoll wie verschachtelt ist denn auch die Geschichte von Aus meiner Haut, die er gemeinsam mit seinem Bruder Dimitrij Schaad erdacht hat. Tristan und Leyla, ein Paar Anfang dreißig, werden zu Filmbeginn auf einer wunderschönen Insel von Leylas Freundin Stella begrüßt. Sofort entstehen erste Irritationsmomente, denn Stella befindet sich im Körper eines alten Mannes, ihres Vaters (Edgar Selge). Der war, wie sich später erst herausstellt, ein berühmter Hirnforscher, der seine Tochter vor dem Tod durch eine plötzliche Hirnblutung rettete, indem er sie von einem Körpertausch überzeugte. Jetzt lebt die junge Frau im Leib des Vaters, was sie nicht zu stören scheint und was auch keiner großen Erklärung bedarf.

Filmonizirani

Wie lebt man in anderen Körpern?

In dem rätselhaften, unheilschwangeren Inselszenario befinden sich noch weitere Gäste. Alles Paare, die offenbar beim alljährlichen Körpertauschzeremoniell teilnehmen: Das jeweilige Tauschpaar wird per Losverfahren bestimmt. Tristan und Leyla treffen auf das krisengeplagte Ehepaar Mo (Dimitrij Schaad) und Fabienne (Maryam Zaree).

Der Körpertausch bringt Tristan schnell an seine Grenzen. Er hasst den Körper des Machos Mo. Leyla dagegen genießt das Dasein in der Hülle der selbstsicheren Fabienne: Nach Jahren psychischer Belastung fühlt sie sich endlich wieder lebendig – und sie fragt sich: Gibt es Körper, in denen es sich leichter leben lässt? Fabienne spürt indes in Leylas von Narben gezeichneter Haut eine ungekannte Schwere, in deren Ursachen auch Tristan nicht eingeweiht ist. "Leyla und Tristan sollen ein Geheimnis haben, ein unausgesprochenes Problem", erklärt Schaad. "Erst durch die Körperwechsel, die Verfremdung fangen sie an, an den Kern der eigenen Seele zu stoßen, und beginnen, wahrhaftig zu sprechen."

Ein Sommernachts(alb)traum?

Traditionell sind Körpertauschszenarien im Komödien- oder Horrorfach zu Hause, doch die Brüder Schaad wollten das Thema anders aufzäumen. "Am Anfang stand ein Ozean an Ideen, etwa die Kommerzialisierung, sogar ein Tauschmarkt von Körpern." Die Bewunderung für Ari Asters Folk-Horror-Trennungsdrama Midsommar, die man auch den atmosphärischen Filmbildern ansieht, dürfte indes den Impuls für die Zuspitzung auf das Beziehungspsychogramm gegeben haben.

Und auch queere Themen schleichen sich ein. Denn der in Venedig mit dem Queer Lion ausgezeichnete Film beginnt zwar beim "heterosexuellen Paar", so der Regisseur, doch er "hebelt die Grenzen des Geschlechts aus." In Aus meiner Haut ist Leyla noch Leyla, wenn sie in einem männlich gelesenen Körper steckt. Und auch so liebt Tristan Leyla.

Theatermenschen mit Spielfantasie

Leibestauschszenarien wie diese erfordern ein versatiles Schauspielensemble. Fündig wurde Schaad am Theater. "Am Theater ist es normaler, überhöht, nicht naturalistisch, fantastisch zu spielen." Er habe Menschen mit "Spielfantasie" gesucht, die ihre Rollen fliegend wechseln können.

Beides erfüllen die Hauptdarsteller Jonas Dassler und Mara Emde, die an Bühnen engagiert sind, aber in Der Goldene Handschuh und Und morgen die ganze Welt bereits bemerkenswerte Kinorollen hatten. Die Theatralik verleiht Aus meiner Haut expressive Momente, die im Kino sperrig wirken, sich dann aber wieder spielerisch in dieses rätselhafte Debüt einpassen, das von einer überbordenden Freude am Fabulieren und Spekulieren zeugt. (Valerie Dirk, 2.2.2023)