Zur Unterstützung der Proteste steht auf diesem Fenster in Teheran der politische Slogan "Frau, Leben, Freiheit".

Foto: Imago

Die iranischen Revolutionsgarden, oft abgekürzt als IRGC (Iranian Revolutionary Guard Corps), spielen bei der brutalen Niederschlagung der Protestwelle im Iran eine führende Rolle: Warum sollten sie nicht auf die Terrorismusliste der EU gesetzt werden? Das forderte das EU-Parlament in Straßburg am 18. Jänner mit einer großen Stimmenmehrheit, und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach sich beim Weltwirtschaftsforum in Davos dafür aus.

Stattdessen hat jedoch die EU, koordiniert mit Großbritannien und den USA, am 23. Jänner eine neue Sanktionsrunde verhängt. Die Maßnahmen treffen unter anderem Personen und Teile der Garden. Aber zur Terrororganisation werden die Sepah-e Pasdaran-e Enqelab-e Eslami, die "Armee der Wächter der Islamischen Revolution", nicht erklärt.

Die öffentliche Debatte darüber wird sehr emotional geführt. Experten und Wissenschafterinnen, die mögliche kontraproduktive Konsequenzen des Schritts diskutieren, werden von einem Teil der iranischen Diaspora beschuldigt, dem iranischen Regime in die Hände zu spielen. EU-Außenpolitikchef Josep Borrell wurde scharf kritisiert, nachdem er angemerkt hatte, dass es als Basis für die Listung eine entsprechende Entscheidung eines europäischen Gerichtshofs bräuchte.

Regelung von 2001

In einem Artikel auf "Lawfare" versucht der US-Terrorexperte Matthew Levitt diese Behauptung zu widerlegen. Er argumentiert dafür mit dem Wortlaut des "Gemeinsamen Standpunkts 931", der 2001 – nach den Anschlägen von 9/11 in den USA – die Terrorlistung innerhalb der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU-Staaten regelte. Die Terrorliste der EU wird alle sechs Monate revidiert, im Moment enthält sie 13 Individuen und 21 Gruppen. Ihr Vermögen innerhalb der EU wird eingefroren, ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Darüber hinaus ist es untersagt, mit ihnen zusammenzuarbeiten.

Die US-Regierung von Donald Trump hat die IRGC 2019 auf ihre Terrorliste gesetzt, und Präsident Joe Biden hat das nicht zurückgenommen. Laut Levitt würde für einen EU-Beschluss sogar das Vorbild einer "dritten Partei" – also in dem Fall der USA – reichen. Offensichtlich gibt es dazu jedoch abweichende Juristenmeinungen.

Dass die juristischen Hürden zu meistern seien, nimmt auch die Iran-Expertin Azadeh Zamirirad von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin an: Eine gescheiterte Listung, die vom Europäischen Gerichtshof wieder aufgehoben würde, wäre allerdings ein Desaster für die EU, "an Peinlichkeit nicht zu überbieten", sagte sie in einer Onlineveranstaltung des Bruno-Kreisky-Forums für internationalen Dialog. Sie sieht jedoch andere potenzielle Probleme, sogar unbeabsichtigte Kollateralschäden.

Konkretes Handeln nötig

Die IRGC würden bereits auf zwei unterschiedlichen europäischen Sanktionslisten geführt, eine Terrorlistung würde in der Praxis wenig bringen und sich vielmehr eher im Bereich der "Symbolpolitik" bewegen. Das sei vielen ein Anliegen und habe durchaus eine Berechtigung. Zamirirads Befürchtung ist jedoch, dass der Fokus darauf die Frage, wie man der iranischen Bevölkerung konkret helfen könnte, in den Hintergrund gedrängt werden könnte. Zudem werde der außenpolitische Handlungsspielraum einschränkt.

Zamirirad führt einige Punkte an, die in der Debatte meist nicht vorkommen: So seien durchaus auch normale iranische Wehrpflichtige zu den IRGC eingezogen worden, auch Männer, die sich nunmehr außerhalb des Iran aufhalten. Durch eine Listung würden sie im Nachhinein zu Mitgliedern einer terroristischen Organisation erklärt, mit weitreichenden Konsequenzen – etwa wenn sie ein Bankkonto eröffnen oder reisen wollten.

Die Garden sind eine in vielen Bereichen tätige Wirtschaftsmacht. Es mag attraktiv erscheinen, sie und damit die iranische Wirtschaft hart zu treffen. Es hätte aber auch Konsequenzen für genau jene Menschen, denen man eigentlich helfen will. "Wir erwarten von den Iranern und Iranerinnen, dass sie monatelang auf die Straße gehen, dass sie streiken, dass sie sich juristisch verteidigen: Ja, aber von welchem Geld denn sollen sie Kautionen und Anwälte zahlen?", fragt Zamirirad.

Die Politik müsse Kanäle erarbeiten, auf denen die Menschen unterstützt werden könnten, technische Möglichkeiten, um die Internetsperren zu umgehen. Es brauche einen "formalisierten Austausch mit der Menschenrechts- und Frauenrechts-Community, um Bedürfnisse zu eruieren" und gezielt zu helfen. Der Fokus auf die Symbolpolitik ist in diesem Licht gesehen eine Ablenkung vom Wesentlichen: Der Politik werde es leicht gemacht, so zu tun, als wäre sie aktiv. Praktische Auswirkungen gebe es kaum.

Politik "verhält sich"

Gute vier Monate nach dem Protestbeginn Mitte September gebe es keine Anzeichen für einen Sturz des Regimes, so Zamirirad. Das heißt auch, die EU brauche eine Politik, sie müsse sich der Islamischen Republik gegenüber "verhalten", auch wenn das unbequem sei. Die Expertin weist auf die weiter bestehende Gefahr einer Eskalation des iranischen Atomprogramms hin. Symbolpolitik helfe da nicht weiter, auch nicht angesichts der – durch Drohnen- und vielleicht auch bald Raketenlieferungen Teherans für Moskaus Krieg gegen die Ukraine – zunehmend militarisierten russisch-iranischen Zusammenarbeit. (Gudrun Harrer, 2.2.2023)