Vier von sechs Angeklagten wurden im Kern der gegen sie erhobenen Vorwürfe anklagekonform schuldig erkannt.

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Es sind drastische Freiheitsstrafen, die die Geschworenen nach zwölf Stunden Beratungszeit um Mitternacht verkündeten: Zwei der sechs mutmaßlichen Komplizen des Wiener Attentäters, der beim Terroranschlag in Wien vom 2. November 2020 vier Passanten getötet hatte, wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Zwei weitere zu je 19 und 20 Jahren Haft. Wegen Mitgliedschaft in der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) fassten die verbliebenen zwei jeweils zwei Jahre Haft aus. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Die Verteidiger von drei Angeklagten kündigten Berufung an, wie das Ö1-"Morgenjournal" berichtete.

VIDEO: Terroranschlag in Wien: Lebenslange Haft für zwei Komplizen
DER STANDARD

Wenn man diesem Urteil folgt, dann habe es sich im Falle des Wiener Attentäters nicht um einen Einzeltäter gehandelt, sagt der Terrorexperte Guido Steinberg auf Ö1. Zwar seien die unterschiedlich langen Haftstrafen in Anbetracht des "österreichischen Kontextes" nicht verwunderlich. Aber: Sie liegen weit über dem, was in Deutschland üblich ist. Der Experte zieht hier als Vergleich den Terroranschlag von Berlin 2016 heran, der ähnlich gelagert war. Beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt steuerte der islamistische Attentäter einen Lkw in die Menschenmenge. 13 Menschen starben. Im Umfeld des Tunesiers "hatte es überhaupt keine Strafen gegeben". Aus deutscher Sicht seien die Urteile daher überraschend und "fast schon beeindruckend", sagt Steinberg.

Keine besondere Rolle in Österreich

In der islamistischen Szene in Österreich dürften die Verurteilten laut dem Experten keine besondere Rolle gespielt haben. "Die bekannten Islamisten in Österreich sind ausgereist, in Syrien zu Tode gekommen oder waren bereits im Gefängnis." Hier habe man es mit Leuten zu tun, die es nicht mehr nach Syrien geschafft haben, obwohl sie Anhänger des IS waren. Er bezeichnet die Verurteilten als "Randfiguren" in der Szene, "aber eben doch gefährliche".

Die terroristische Gefahr in Europa sieht Steinberg derzeit meist von Randfiguren wie diesen ausgehend. "Sie sind derzeit aber orientierungslos. Es fehlt ihnen einerseits die Organisation – der IS ist militärisch geschlagen. Andererseits fehlen die religiösen Figuren, die für die Anleitung zuständig wären." Die entscheidende Frage sei, inwieweit junge Menschen eine solche Orientierung wieder bekommen können.

Laut Verfassungsschutz geht die größte Gefahr derzeit von radikalisierten Einzeltätern aus. Hier müsse man aufpassen, dass nicht weitere Strukturen entstehen, meint Steinberg. Denn die Einzeltäter per se seien meist nicht sehr gefährlich, weil diese große Mühe hätten, große Anschläge zu verüben. Gefährlich werde es dann, wenn sich andere anschließen und sie mit Waffen und Munition – wie im Fall des verurteilten Tschetschenen – unterstützen. Die Aufgabe der Terrorismusbekämpfung sei jedenfalls immer noch da. (etom, red, 2.2.2023)