Herbert Kickl hält eine Rede bei einer Corona-Demonstration. Solche Auftritte machten ihn zum Star der Bewegung.

Foto: Markus Sulzbacher

Ist die FPÖ eine rechtsextreme Partei? Für Parteichef Herbert Kickl ist allein die Frage ein Affront. Für ihn steht die FPÖ "Mitte-rechts". Bei Auftritten in Bierzelten ruft er seinem Publikum sogar zu: "Wir sind nicht rechtsextrem, sondern normal!" Das kommt an, garantiert Gejohle und Applaus. Mit der Verortung "Mitte-rechts" steht Kickl freilich allein da. Das Adjektiv "rechtsextrem" ist allerdings nur selten in Verbindung mit der FPÖ zu hören, oft hingegen "rechtspopulistisch". Eine Beschreibung, mit der Freiheitliche leben können wie auch (ehemalige) Koalitionspartner. Welche Begriffe sind geläufig, in der Wissenschaft, in Parteien oder in der Kommentierung? Ein Überblick.

Kickl nutzt die Macht der Straße

Kickl hat die Partei in den vergangenen zwei Jahren zweifelsfrei verändert. "Höchst kantige und angriffige" Oppositionspolitik betreibe die FPÖ unter ihm, war im Nachgang der Landtagswahlen in Niederösterreich auf orf.at zu lesen. Eine Beschreibung, die wie eine Untertreibung wirkt. Kickl ist radikaler, er weiß um die Macht der Straße und nützt sie. Seine Auftritte bei Corona-Demonstrationen haben ihn zum Star einer Bewegung gemacht, in der nicht wenige hinter der Pandemie und den Corona-Maßnahmen eine "Plandemie" wittern, einen Plan der Eliten. Das stört Kickl nicht.

Ebenso wenig stört ihn, dass er bei seinen Reden alles anzieht, was in der rechtsextremen Szene Rang und Namen hat: den Neonazi Gottfried Küssel etwa, aber auch Menschen, die sich selbst Judensterne schneidern und an die Jacke heften oder Schilder mit der Aufschrift "Impfen macht frei" tragen.

Corona-Demonstration am 6. März 2021 im Wiener Prater, bei der Herbert Kickl eine Rede hielt.
Foto: MArkus Sulzbacher

Edtstadler: FPÖ überschreitet beim Thema Antisemitismus permanent Grenzen

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hat es im vergangenen Jahr auf den Punkt gebracht: Unter Kickl hat sich die FPÖ radikalisiert. "Sie überschreitet beim Thema Antisemitismus permanent Grenzen, sie distanziert sich nicht ausreichend von Judensternen, von Vergleichen von Impfstoff mit Zyklon B und von 'Impfen macht frei'-Parolen auf ihren Corona-Demonstrationen", sagte sie in einem "Profil"-Interview im Mai 2022. "Eine Koalition mit dieser FPÖ" sei für sie persönlich "ein No-Go". Aussagen, die für sie heute noch gelten dürften.

Ende Dezember sagte Edtstadler in einem Interview mit der Nachrichtenagentur APA, dass die FPÖ in ihrer jetzigen Verfasstheit mit sehr radikalen Ansagen als extrem einzuordnen sei. Und erst vor wenigen Wochen kritisierte sie die FPÖ, nachdem Abgeordnete der Partei bei der Angelobung von Bundespräsident Alexander Van der Bellen demonstrativ ihren Applaus verweigerten. Auch als dieser in seiner Rede "Nie wieder Nationalsozialismus" sagte. Für den israelischen Botschafter Mordechai Rodgold, war dies am Vorabend des Holocaust-Gedenktages ein "Grund zu großer Sorge", wie er auf Twitter schrieb.

Israelischer Botschafter Mordechai Rodgold: "Grund zu großer Sorge."

Den Opfern des Nationalsozialismus nicht zumutbar

Von Grünen wird die FPÖ oftmals als "rechtsextreme Partei" bezeichnet. Als die FPÖ ausgerechnet den Burschenschafter Martin Graf Ende des vergangenen Jahres in den Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus entsenden wollte, stemmte sich die Abgeordnete Eva Blimlinger besonders dagegen. Es sei den Opfern des Nationalsozialismus und ihren Hinterbliebenen nicht zumutbar, dass ein "mit Rechtsextremismus erfahrener" Abgeordneter im Nationalfonds eine Stimme habe, stellte sie fest. Schließlich waren alle anderen Parteien gegen Grafs Entsendung und vertagten die Wahl.

Sie kennen Grafs einschlägige Vita. Bereits 1987 war er Mitglied der Freiheitlichen Studenten, Saalordner beim Auftritt eines deutschen Neonazis in Wien. Graf ist Mitglied der rechtsextremen Burschenschaft Olympia, bei der in der Vergangenheit notorische Neonazis zu Gast waren. Im Jahr 2006 bekannte er sich in einem Interview zur "deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft", ein Bekenntnis, das sich mittlerweile auch im Parteiprogramm der FPÖ findet. Mitarbeiter seines Büros gaben bei einem rechtsextremen Versand Bestellungen auf. Und nach dem Rücktritt von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache schrieb Graf auf Facebook, Straches Kritiker hätten "weder Ehre noch Treue". Die Wortwahl erinnert an den SS-Leitspruch "Meine Ehre heißt Treue".

Martin Graf wird von ÖVP, Grünen, Neos und SPÖ abgelehnt.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

SPÖ: "Eine rechtspopulistische und teilweise rechtsradikale und rechtsextreme Partei"

Für die SPÖ ist die FPÖ "eine rechtspopulistische und teilweise rechtsradikale und rechtsextreme Partei", wie es dazu auf Anfrage heißt. Eine knappe Einschätzung, die sich mit der Beschreibung der FPÖ auf Wikipedia deckt.

Kritische Journalistinnen und Journalisten schreiben meist "rechtspopulistisch bis rechtsextrem", "in Teilen rechtsextrem" oder mit "rechtsextremen oder auch NS-Anklängen". Damit sind sie rechtlich (meist) auf der sicheren Seite, sofern sie dies auch ausführen können.

FPÖ war immer mit im Spiel

Kaum jemand hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so intensiv mit den Freiheitlichen beschäftigt wie der Politologe Anton Pelinka. Er charakterisierte im Jahr 2013 in einem Beitrag für das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) die "FPÖ als rechtsextreme und rechtspopulistische Partei". Einerseits, weil sie "sich nie wirklich überzeugend mit ihren Wurzeln" auseinandergesetzt habe, und andererseits, weil sie ständig auf "populistische" Strategien setze. Etwa auf die für rechtsextreme Parteien typische Stimmungsmache "gegen MigrantInnen schlechthin und gegen solche mit muslimischem Hintergrund insbesondere". Nach dem Motto: Egal, was das Thema ist, einen Zusammenhang zu Ausländern, Migrantinnen, Flüchtlingen herstellen – und die Zustimmung nicht weniger Leute ist ihr gewiss.

Warum es nie üblich war, die FPÖ als rechtsextrem zu bezeichnen, erklärt Pelinka so: "Die Freiheitliche Partei war immer mit im Spiel. Und daher war es in Österreich nicht üblich aufzuzeigen, dass die Wurzeln der Freiheitlichen Partei eigentlich im österreichischen Nationalsozialismus liegen."

Ehemalige SS-Offiziere als Parteichefs

Der erste Obmann der FPÖ, Anton Reinthaller, war einer der prominentesten Nationalsozialisten Österreichs schon vor 1938, er bekleidete nach seiner Tätigkeit als Landwirtschaftsminister im Kabinett Seyß-Inquart das Amt eines Unterstaatssekretärs in der Regierung Hitler und hatte den Rang eines SS-Brigadeführers. Sein Nachfolger, Friedrich Peter, war SS-Offizier. Doch anders als etwa die Sozialistische Reichspartei (SRP), die in der Bundesrepublik Deutschland 1952 verboten wurde, wurde die FPÖ in Österreich als Teil der politischen Normalität akzeptiert. Damit gibt es auch keine Probleme für Polizisten, Verfassungsschützer oder Soldaten bei der Partei aktiv zu sein.

Anton Reinthaller war der erste Vorsitzende der FPÖ. Vor 1945 war er SS-General und Nazi-Politiker.
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Aber zurück zur heutigen FPÖ. Für den Rechtsextremismus-Forscher Bernhard Weidinger vom DÖW, ist die FPÖ unter Kickl "keine Partei mit rechtem Rand, sondern eine Partei des rechten Randes, und das offener denn je". Auf Twitter führt er an, dass "FPÖ-Spitzenleute selbst laufend dieselben Narrative, Begriffe, Frames und Forderungen" wie die rechtsextremen Identitären bemühen "und in denselben Medien / auf denselben Demos dieselben Ideen in identer Formulierung verbreiten". Das notiert "der 'rechte Rand' auch mit Entzücken", sagt Weidinger. Für den Anführer der Identitären, Martin Sellner, ist Kickl "der beste rechte Politiker", wie er regelmäßig auf Telegram schreibt.

Für Identitären-Anführer Sellner ist Kickl der "beste rechte Politiker".
Foto: Screenshot

Rassistische Verschwörungserzählungen

Der Gleichklang zwischen Identitären und FPÖ-Politikern ist mittlerweile unüberhörbar. Die Forderung nach "Remigration" oder einer "Festung Österreich" findet sich aktuell auf Plakatwänden im ganzen Land wieder, neben dem Gesicht Kickls. Die zentrale identitäre Verschwörungserzählung vom angeblichen "Großen (Bevölkerungs-)Austausch" wird von Tiroler FPÖ-Ortsgruppen ebenso verbreitet wie von der Freiheitlichen Jugend. Die oberösterreichische FPÖ-Jugend hat im vergangenen Jahr dazu sogar eine eigene Webseite veröffentlicht. "Ich weiß, viele Menschen haben Probleme mit dem Begriff", gab Silvio Hemmelmayr, Obmann der Freiheitlichen Jugend Oberösterreich, bei der Präsentation zu, aber: "Ich glaube nicht, dass Statistik etwas Rechtsextremes ist."

Weidinger über die FPÖ: "Keine Partei mit rechtem Rand, sondern Partei des rechten Randes."

Tatsächlich halten die Inhalte der Webseite keinem Faktencheck stand: Berechnungen seien "irreführend", Annahmen "realitätsfern und sinnlos", urteilte das "Profil".

Verschwörungsgeschichte vom angeblichen "Großen Austausch" bei einer Demonstration in Wien.
Foto: Markus Sulzbacher

Für Weidinger ist es eine absurde Situation, dass "dieselben Positionen manche vor Gericht und knapp vors Verbot bringen", und andere in den "Vorhof einer Regierungsbeteiligung". Eine Erinnerung daran, dass die Identitären 2019 kurz vor dem Verbot standen. Damals stimmte im Parlament eine Mehrheit für das Verbot, die jedoch von der zuständigen Dritten Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller von der FPÖ übersehen wurde. "Das ist die Minderheit, abgelehnt", stellte sie bei der Abstimmung fest. Da das Abstimmungsergebnis in der Sitzung nicht in Zweifel gezogen und auch nicht beeinsprucht wurde, ist es gültig.

Identitäre am 6. März 2021. Sie wollen Kickl als Kanzler.
Foto: Markus Sulzbacher

Verboten wurden 2021 schließlich die Symbole der Identitären. Vor dem Inkrafttreten demonstrierten Identitäre, gemeinsam mit ehemaligen Südtirol-Attentätern, Neonazis und Freiheitlichen dagegen in der Wiener Innenstadt. Mittlerweile sind Identitäre bei Veranstaltungen der FPÖ anzutreffen – ob als Türsteher beim Bundesparteitag oder bei einer freiheitlichen Gegenveranstaltung zum jährlichen Pride in Wien.

Kickl geht nicht auf Distanz

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Norbert Hofer geht Kickl nicht auf Distanz zu den Identitären. Dass die Gruppierung vom Verfassungsschutz überwacht wird, da aus ihren Reihen und ihrem Umfeld immer wieder Straftaten verübt werden, spielt offenbar keine Rolle. Auch FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz zeigt keine Berührungsängste. Am 6. November des vergangenen Jahres trat er als Redner bei einer von Rechtsextremen organisierten Demonstration gegen "Asylflut" und "Teuerung" in Wien auf. Vor ihm redete Jakob Gunacker, der zum Führungszirkel der Identitären gehört. Seine Teilnahme an der Kundgebung verteidigte Schnedlitz später: "Ich will nicht mehr dulden, dass Demonstranten, die nicht derselben Meinung wie die Bundesregierung sind, als Rechtsradikale diffamiert werden."

Wenige Stunden vor seiner Rede bei besagter Demonstration versuchte eine Gruppe Identitärer in das Gebäude des Innenministeriums einzudringen und auf einem Balkon ein Transparent mit dem Text "Politiker einsperren – Grenzen zusperren" anzubringen. Die drei Männer wurden jedoch daran gehindert und ihnen wurde das Transparent abgenommen. Ein Banner mit dem gleichen Text brachten Identitäre am vergangenen Wahlsonntag an der Zentrale der niederösterreichischen ÖVP in St. Pölten an.

Gebäude der Olympia in Wien Gumpendorf.
Foto: Standard/Corn

Verfassungsschutz beobachtet Burschenschaften

Nicht nur die Identitären werden vom Verfassungsschutz beobachtet, sondern auch die deutschnationalen Burschenschaften, die so etwas wie der innere Kern und die Personalreserve der FPÖ sind – wie etwa die Burschenschafter Norbert Hofer (Marko-Germania), Manfred Haimbuchner (Alemannia) oder Christian Hafenecker (Nibelungia zu Wien) belegen. Burschenschaften werden vom Verfassungsschutz unter die Lupe genommen, da "neben dem Verbotsgesetz auch immer wieder Ermittlungen wegen Verhetzung stattfinden", wie im vor wenigen Wochen veröffentlichten Verfassungsschutzbericht 2021 im Kapitel "Rechtsextremismus" zu lesen ist.

Einzelfälle, Inserate und Interviews

Quasi nebenbei macht alle paar Wochen irgendein "Einzelfall" in der FPÖ die Runde: ein Hitler-Gruß, ein rassistisches Posting, aggressive Ausländerhetze. Diese "Einzelfälle" werden jedoch nur noch selten von Medien zum Thema gemacht. Selbst als Anfang Jänner bekannt wurde, dass bei Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit der FPÖ-Finanzaffäre in Graz NS-Material sichergestellt wurde, gab es kaum Schlagzeilen. Das Material soll einem früheren Parteimitarbeiter und einem Ex-FPÖ-Gemeinderat zugeordnet worden sein.

Dazu kommt, dass die FPÖ rechtsextreme Medien mit Inseraten unterstützt und (hochrangige) Freiheitliche regelmäßig bei Auf 1 auftreten, einem Onlinemedium, das neben Horrormeldungen über die Corona-Impfungen auch immer wieder Verschwörungsmythen verbreitet, die voller judenfeindlicher Codes sind. "Die Zeit" bescheinigt Auf 1, "rassistische Stereotype sowie antisemitische und verschwörerische Inhalte" zu verbreiten. Das passt zur FPÖ unter Kickl. (Markus Sulzbacher, 15.2.2023)