Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schreibt in seinem Gastkommentar, wieso die Lieferung von Panzern an die Ukraine wichtig ist und die Union alles in ihrer Macht Stehende tun müsse, um die Ukraine zu unterstützen.

Fast ein Jahr nach der Invasion Russlands in die Ukraine tritt der Krieg in eine neue Phase ein. Nach dem gescheiterten Angriff auf Kiew im vergangenen Frühjahr und der starken ukrainischen Gegenoffensive, bei der Charkiw im Norden und Cherson im Süden befreit wurden, hat der russische Präsident Wladimir Putin eine Kampagne eingeleitet, die mit Drohnen und Raketen auf Zivilisten und Energieinfrastruktur abzielt. Da er auf dem Schlachtfeld nicht weiterkommt, versucht Putin, die Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer, die den Winter in Kälte und Dunkelheit verbringen müssen, zu erhöhen.

Lange hatte Deutschland gezögert, nun bekommt die Ukraine Leopard-Kampfpanzer.
Foto: AP/Martin Meissner

Die Frontlinie hat sich in den letzten Monaten nicht viel bewegt. Doch die Kämpfe sind nach wie vor heftig (mit vielen Opfern), und Russland scheint sich auf eine Frühjahrsoffensive vorzubereiten. Die russische Wirtschaft befindet sich auf Kriegsmodus, und die Propagandamaschine des Kreml läuft auf Hochtouren und verbreitet eine Mischung aus apokalyptischen Drohungen und imperialem Wahn. Russlands letzter unabhängiger Nachrichtensender, Meduza, und seine letzte Menschenrechtsorganisation, das Sacharow-Zentrum, werden geschlossen. Die Stimmung in Moskau ist starrköpfig.

"Panzer sind notwendig, damit die ukrainischen Streitkräfte die derzeitige Pattsituation der Grabenkämpfe durchbrechen und den Schwung zurückgewinnen können, den sie im letzten Herbst bei der Rückeroberung von Charkiw und Cherson hatten. "

Unter diesen Umständen ist es richtig, dass die Verbündeten der Ukraine ihre militärische Unterstützung aufstocken, auch durch die Bereitstellung von Kampfpanzern. Ziel ist es, dass die Ukraine gegen den Aggressor siegt. Aber wir können uns dieses Ziel nicht nur wünschen, ohne der Ukraine die Mittel zu geben, es zu erreichen. Die Alternative ist ein langwieriger Zermürbungskrieg, der zu mehr Toten in der Ukraine, zu größerer Unsicherheit in Europa und zu anhaltendem Leid in der ganzen Welt führt.

Die Partner der Ukraine hatten schon zugesagt, moderne Luftabwehrsysteme wie das in den USA hergestellte Patriot-Raketensystem, leistungsfähigere Haubitzen und zusätzliche gepanzerte Kampffahrzeuge zu liefern. Doch vor dem kürzlich erreichten großen Durchbruch gab es eine heftige Debatte darüber, ob Panzer wie der deutsche Leopard 2 oder der US-amerikanische M1 Abrams geliefert werden sollten. Ich für meinen Teil vertrete seit langem die Auffassung, dass wir die Ukraine mit den notwendigen Mitteln ausstatten müssen, um Russland zurückzudrängen. Panzer sind notwendig, damit die ukrainischen Streitkräfte die derzeitige Pattsituation der Grabenkämpfe durchbrechen und den Schwung zurückgewinnen können, den sie im letzten Herbst bei der Rückeroberung von Charkiw und Cherson hatten.

Deutliches Signal an Russland

Dieses "Panzerabkommen" zu erreichen erforderte Zeit und intensive Diskussionen, auch im Rat der Europäischen Union für Auswärtige Angelegenheiten. Der Durchbruch gelang, als Deutschland sich bereiterklärte, in Abstimmung mit den USA, die etwa 30 M1 Abrams bereitstellen werden, Leopard 2 zu liefern. Auch wenn die Lieferung dieser Waffen einige Zeit in Anspruch nehmen und eine intensive Ausbildung und Wartung erfordern wird, bleibt das Ergebnis nicht auf das Schlachtfeld beschränkt. Wir haben auch ein weiteres deutliches Signal an Russland gesendet, dass Putin – wieder einmal – zu Unrecht an unserer Entschlossenheit gezweifelt hat.

"Jeder, der versucht hat, mit Putin zu verhandeln, ist mit leeren Händen zurückgekommen."

Natürlich argumentieren einige, dass mehr Waffen den Krieg verlängern und eine weitere Eskalation riskieren und dass diplomatische Verhandlungen die einzige Lösung sind. Doch während die Europäer immer offen sind für jeden, der sich ernsthaft um eine Beendigung des Krieges auf dem Verhandlungsweg bemüht, hat Russland bisher deutlich gemacht, dass es an seinen Kriegsverbrechen festhalten will. Jeder, der versucht hat, mit Putin zu verhandeln, ist mit leeren Händen zurückgekommen. Solange sich das nicht ändert, müssen wir zu dem Schluss kommen, dass die einzige Möglichkeit, den Krieg zu beenden, darin besteht, der Ukraine die Mittel an die Hand zu geben, den Angreifer zu vertreiben.

Die Aufgabe der EU ist es daher, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Ukraine zu unterstützen. Und genau das tun wir auch. Gemeinsam mit den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten haben wir bereits Waffen und andere Hilfsgüter im Wert von zwölf Milliarden Euro für die Ukraine mobilisiert, davon 3,6 Milliarden aus der Europäischen Friedensfazilität. Berücksichtigt man auch die makrofinanzielle und humanitäre Hilfe, so beläuft sich unsere Unterstützung insgesamt auf fast 50 Milliarden Euro.

Zehntes Sanktionspaket

Darüber hinaus ist die EU heute führende in der militärischen Ausbildung ukrainischer Soldaten. Im Rahmen der EU-Militär-Unterstützungsmission in Polen und Deutschland werden wir bis April 15.000 Soldaten ausgebildet haben, und wir sind bereit, weitere 15.000 Soldaten auszubilden – auch im Umgang mit Panzern wie dem Leopard 2.

Die EU arbeitet außerdem an einem zehnten Sanktionspaket, nachdem wir bereits innerhalb weniger Monate unsere Abhängigkeit von russischen Energieimporten verringert haben. Und eines ist auch klar: Die Sanktionen zeigen Wirkung. Russisches Öl wird mit einem Abschlag von 40 US-Dollar auf die Sorte Brent verkauft, und die täglichen Energieeinnahmen des Landes werden nach Inkrafttreten unserer jüngsten Maßnahmen in diesem Monat voraussichtlich von rund 800 Millionen Euro auf 500 Millionen Euro sinken. Der Krieg kommt den Kreml teuer zu stehen, und diese Kosten werden nur steigen, je länger er andauert.

Der Situation gewachsen

Im vergangenen Jänner, kurz vor der Invasion, habe ich die Region Donbas und die damalige Frontlinie besucht. Aus offensichtlichen Gründen hat sich diese Reise bei mir stark eingeprägt. Auf dem Rückweg durch Kiew sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal, dass "die Invasion kommt, und wir wissen, dass ihr nicht kommen werdet, um auf unserer Seite zu kämpfen". Aber er beeilte sich zu fragen: "Werden Sie uns denn die Waffen geben, die wir brauchen, um uns zu verteidigen?"

Ehrlich gesagt war ich mir nicht sicher, wie ich antworten sollte, weil ich nicht wusste, wie stark die Entschlossenheit Europas sein würde. Heute fällt mir die Antwort leicht. Im Vorfeld des EU-Ukraine-Gipfels, zu dem ich diese Woche nach Kiew reise, zweifelt niemand daran, dass Europa sich der Situation gewachsen gezeigt hat.

Jetzt müssen wir der Ukraine weiterhin die Mittel an die Hand geben, um den Aggressor zu besiegen, ihre Souveränität wiederherzustellen und ihren Platz in der Europäischen Union zu finden. (Josep Borell, Copyright: Project Syndicate, 2.2.2023)