Die schnörkelige "alte" Schulschrift von 1969 soll auslaufen. Ab dem nächsten Wintersemester wird sie nicht mehr gelehrt. Stattdessen wird auf die "neue" Schulschrift von 1995 zurückgegriffen. Letztere gibt es zwar schon seit Jahrzehnten, aber bisher konnten sich Lehrerinnen und Lehrer aussuchen, welche der beiden Varianten sie den Kindern ab der ersten Klasse Volksschule beibringen wollen. Das hat nun ein Ende. Der Grund dafür: In Schulbüchern und auch im Unterricht würde die alte Schrift von 1969 kaum noch verwendet. DER STANDARD berichtete.

Schreiben hilft auch beim Merken. Die Schreibschrift soll auch in Zukunft erhalten bleiben.

Die neuere Schrift unterscheidet sich von der alten nur geringfügig. Doch ergibt es überhaupt noch Sinn, dass Schülerinnen und Schüler die Schreibschrift lernen? Würden nicht die Druckbuchstaben reichen, um eine eigene individuelle Schrift zu lernen?

Bereits vor einigen Jahren machte Finnland mit einer Umstellung Schlagzeilen. Die gebundene Schreibschrift, also die Schulschrift, wie wir sie kennen, wurde aus dem Lehrplan gestrichen. Kinder und Jugendliche müssen nur noch die Druckbuchstaben beherrschen und tippen lernen.

Digitale Grundbildung in der Schule

In Österreich ist das jedenfalls nicht der Plan. "Digitalisierung verändert unseren Alltag zwar rasant, doch ersetzt die digitale Welt nicht die analoge Welt", heißt es aus dem Bildungsressort von Minister Martin Polaschek gegenüber dem STANDARD. "Es ist daher auch für die Schule wichtig, dass der Einsatz digitaler Geräte analoge Fertigkeiten nicht ersetzt, sondern nur ergänzt."

Mit diesem Schuljahr wurde das Pflichtfach "Digitale Grundbildung" für alle Schülerinnen und Schüler der Schulstufen fünf bis sieben eingeführt. Ab dem kommenden Schuljahr 2023/2024 steht es in der gesamten Sekundarstufe I (also auch in der achten Schulstufe) auf dem Stundenplan. Neben dem Gegenstand Digitale Grundbildung sind zudem informatische und digitale Bildung ab dem ersten Schuljahr als fächerübergreifendes Thema in den neuen Lehrplänen der Volksschule, Mittelschule und AHS-Unterstufe verankert. Ziele der Digitalen Grundbildung sind die Förderung von Medienkompetenz, Anwendungskompetenzen und informatischen Kompetenzen, "um Orientierung und mündiges Handeln im 21. Jahrhundert zu ermöglichen".

Ab kommendem Schuljahr steht in der gesamten Sekundarstufe I der Gegenstand "Digitale Grundbildung" auf dem Stundenplan. Tippen müssen die Kinder und Jugendlichen aber selbst lernen.
Foto: Frank Robert

Aber lernt man dort auch das Tippen? "Prinzipiell kann auch das Zehn-Finger-System im Rahmen des Unterrichtsfaches behandelt werden", informiert ein Sprecher Polascheks. Aufgrund des Umfangs des Faches wird allerdings empfohlen, das Training außerhalb der Unterrichtsstunde mit entsprechender kostenloser Software durchzuführen.

Phänomen Zeichenamnesie

Dass die Schreibfertigkeit durch das Tippen auf Tastauren verlorengeht, stellt in Ländern, die wie Österreich das lateinische Alphabet verwenden, Fachleuten zufolge keine Gefahr dar. Anders verhält sich die Situation jedoch in Südostasien, wo deutlich komplexere Schriftzeichen genutzt werden. Das Phänomen wird in der Fachsprache Character Amnesia oder Zeichenamnesie genannt und ist speziell in China und Japan verbreitet.

In beiden Ländern werden die Schriftzeichen durch Auswendiglernen gelehrt. Schulkinder erlernen die Schrift, indem die Zeichen wiederholt von Hand geschrieben werden. Die zunehmend stärker genutzten elektronischen Eingabegeräte wie Computer und Smartphones verringern aber die Notwendigkeit, auf die Handschrift zurückzugreifen. Dadurch fällt die notwendige Verstärkung weg, die hilft, die Fähigkeit zum Schreiben der Zeichen zu erhalten.

Wer von Zeichenamnesie betroffen ist, kann zwar Texte lesen und Schriftzeichen visuell erkennen, allerdings geht die Fähigkeit verloren, manche Zeichen selbst von Hand schreiben zu können – meist handelt es sich um generell seltener verwendete Zeichen. Mehrere Umfragen aus China kamen in der Vergangenheit zu dem Schluss, dass rund 80 Prozent der Bevölkerung Probleme beim Schreiben gewisser Zeichen haben.

Und welche Auswirkungen hat das aufs Lesen?

Wer nur noch auf dem Computer schreibt, liest auch vermehrt auf dem Bildschirm. Jüngste Metaanalysen kommen zu dem Schluss, dass digitales Lesen zu einem schlechteren Leseverständnis führt als gedrucktes Lesen, erklärte etwa Naomi Baron, Leseforscherin der American University, Washington, D.C., zuletzt in einem STANDARD-Interview. Allerdings würde das Studiendesign oft Einschränkungen aufweisen. Denn: Die meisten Studien würden mit Informationstexten durchgeführt, nicht mit Erzählungen oder literarischen Texten.

In Finnland jedenfalls ist das Leseverständnis übrigens auch ohne die Schreibschrift gut. Bei der letzten Pisa-Studie im Jahr 2018 lag der Staat, der so stark auf Digitales setzt, auf Platz drei im Ländervergleich. Österreich liegt auf Platz 22 im OECD-Schnitt. Allerdings: Sieben Prozent der Schülerinnen und Schüler gehören zur Spitzengruppe, 24 Prozent sind Risikofälle. (Marlene Erhart, Oona Kroisleitner, 2.2.2023)