Bis Blut fließt: Jonathan Capdeville als Puppenspieler in Gisèle Viennes Verfilmung von "Jerk".

Compagnies des indes / Shellac

Wer war so couragiert, Dennis Coopers Kurzgeschichte Jerk aus dem Jahr 1994 zu lesen? Wenn ja, war das ein traumatisierendes Erlebnis? Immerhin geht es um einen Teenager-Serienmörder, der über sein blutiges Werk eine Puppentheateraufführung zum Besten gibt. Die Story trägt einen Hauch von Real Crime, denn Cooper bezog sich auf US-Bösewicht Dean Corll, der in den 1970ern zusammen mit zwei Komplizen an die 30 männliche Jugendliche ermordete.

Zusammen mit Cooper erarbeitete die austrofranzösische Choreografin, Künstlerin, Regisseurin und Autorin Gisèle Vienne aus Jerk ein Einpersonenpuppentheater, das 2008 herauskam und noch in demselben Jahr auch beim Steirischen Herbst sehen war. Vor kurzem haben die beiden ihr damals hochumstrittenes, seither vielgezeigtes Stück in einen Film übersetzt, der jetzt im Tanzquartier Wien zu sehen ist. Die unheimliche Musik für Jerk stammt von Peter Rehberg.

Im Vorjahr präsentierte Vienne bei den Festwochen ihr jüngstes Bühnenwerk L’Étang / Der Teich, die Bearbeitung einer Szenenfolge von Robert Walser. Weitere wichtige Performances wie Showroomdummies, Kindertotenlieder, This is how you will disappear und Crowd waren ebenfalls in Österreich zu sehen. Eine von Viennes Spezialitäten ist der Einsatz meist lebensgroßer Puppen, die sie – zusammen mit ihrer Mutter, der Salzburger Künstlerin Dorothea "Dorli" Vienne-Pollak – selbst anfertigt. Das Schnitzen habe sie von einem Freund ihres Großvaters gelernt, sagt sie. Dieser Großvater wiederum war Musiker und Maler.

Psychisch aus den Fugen

Jerk, der Film, wird von Jonathan Capdevielle gespielt. Er ist mit dieser Rolle gereift und hat sie seit der ebenfalls mit ihm besetzten Uraufführung des Live-Stücks perfektioniert. Der gesprochene Text, das Hantieren mit Handpuppen, die Bauchrednerei, alles ist präzise abgestimmt und auf klaustrophobe Nahaufnahmen konzentriert.

Vienne attackiert Capdevielles Gesicht und taucht dabei tief in die komplexen Abgründe einer aus den Fugen geratenen Psyche. Die Folge ist eine ungeschönte Zertrümmerung jener vermeintlich heilsamen Welten, die unter allerlei nostalgischen oder utopischen Deckmänteln aktuell gerne imaginiert werden. Verdrängung ist keine Option für Gisèle Vienne. Wohl aber eine formale Coolness, mit der sie ihre harten Themen ästhetisch im Zaum hält. (Helmut Ploebst, 3.2.2023)