Das neue Jahr hat an den Börsen einen messbaren Effekt. Als Prognose ist der Jänner aber mehr eine Glückssache.

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Wer an der Börse veranlagt, überlegt sich wahrscheinlich öfter, wann genau der richtige Zeitpunkt für einen Einstieg ist. Die Antwort gleich vorweg: Den richtigen Zeitpunkt dafür gibt es nicht. Fakt ist aber auch, dass die Aktien nach einer Korrektur günstiger sind. Wann eine Korrektur jedoch zu Ende ist und ob heute oder doch erst in drei Tagen der Einstieg lohnenswerter ist, kann nicht prognostiziert werden.

Doch es gibt Regeln an der Börse, die als Leitlinien fungieren können. Die Rede ist von den sogenannten Börsenweisheiten. Eine davon lautet: Sell in May and go away. Diese Regel beschreibt das Faktum, dass viele Anleger vor dem Sommer ihr Portfolio überprüfen und heiklere Positionen verabschieden – damit sie im Sommer nicht negativ überrascht werden. Diese Regeln kommen freilich aus einer Zeit, in der es noch keine Online-Broker gab und Depots nicht via Handy-App jederzeit einsehbar waren.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Jänner-Effekt. Bei diesem Phänomen sind die beobachteten Marktvolumina (und die Volatilität) im Jänner im Allgemeinen höher als im Rest des Jahres. Das lässt sich auch heute noch beobachten, wie Daten des ETP-Anbieters Leverage Shares zeigen. Zudem wird die Lage im Jänner im Allgemeinen als optimistischer eingeschätzt als im Rest des Jahres.

Viele Daten nötig

Sandeep Rao, Analyst bei Leverage Shares, hat die Daten der vergangenen 23 Jahre analysiert und das Preisniveau im Jänner jeweils in Verhältnis zum Rest des Jahres gesetzt. Um ein Gefühl für die Verfassung der Märkte zu bekommen und eine Idee dafür, wie sich die Märkte in der nahen Zukunft entwickeln sollten, brauche es eine große Datenmenge. Der Jänner-Effekt gilt laut Rao insofern als Ausreißer, als er diese Vorstellung von der Marktverfassung fast immer aushebelt.

Die Ursache für den Jänner-Effekt zu ergründen wurde schon oft versucht. Es gibt zahlreiche Studien zu diesem Thema, aber keinen Konsens unter Analysten. Eine Argumentation lautet, dass das Geschehen im Jänner auf erhöhte Zuflüsse von Vermögensverwaltern zu Jahresbeginn zurückzuführen ist, die bis zum Ende des Vorjahres zusätzliches Kapital von ihren Kunden erhalten haben. Sobald sie Investitionen tätigen, um Mandate ihrer Kunden zu erfüllen, beeinflussen sie die Preise der jeweiligen Finanzinstrumente, was den Effekt verstärkt.

Andere Marktteilnehmer argumentieren, dass der Effekt psychologische Gründe hat: Kunden, Berater und Anlageverwalter haben nach den Weihnachtsferien stärkere Meinungen und treffen dementsprechend Anlageentscheidungen, die im Laufe der Monate korrigiert oder verstärkt werden.

Die Rolle des Neujahrs

Kulturelle Gründe werden auch immer wieder für den Jänner-Effekt angegeben, aufgrund der verstärkten Beteiligung von Anlegern zum Beispiel in der östlichen Hemisphäre: Da das chinesische bzw. das Mond-Neujahr im Allgemeinen um den Beginn des gregorianischen Jahreskalenders herum beginnt, führen einige Analysten die verstärkte Handelsaktivität als eine Art "Glücksspiel" zurück, das ebenfalls zum Jänner-Effekt beiträgt.

Solche Effekte gibt es an lokalen Börsen ebenso: Die Bombay Stock Exchange in Indien etwa veranstalten während Diwali "Muhurat-Sitzungen", bei denen viele Händler Wetten abschließen, um die Göttin Lakshmi (Muttergottheit des Reichtums und des Wohlstands) zu besänftigen und zu ehren. Diwali ist zwischen Oktober und November.

Der Jänner eignet sich aber nur bedingt als Basis für eine Jahresprognose, zeigt die Analyse von Leverage Shares. Die Entwicklung des S&P 500 seit dem Jahr 2000 zeigt nämlich: In den 23 Jahren, in denen das gesamte Jahr beobachtet wurde, war die Entwicklung im Jänner nur zwölfmal mit der des gesamten Jahres vergleichbar. Beim Nasdaq-100 war das elfmal der Fall. In den Jahren, in denen die Entwicklung des Jahres der des Jänners entsprach, waren Letztere in der Regel ausgeprägter. Damit waren die Trends im Jänner in fast 50 Prozent der Fälle nicht richtungsweisend, fasst Rao zusammen. Selbst wenn sich Trends als richtungsweisend herausstellten, waren die Bewertungen im Vergleich zum gesamten Jahr tendenziell übertrieben. (Bettina Pfluger, 2.2.2023)