Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) am Spendentelefon von Licht ins Dunkel: Politikerinnen und Politiker nutzen die ORF-Gala als Bühne für Selbstdarstellungen und bringen eigene Fotografen mit. Das Foto stammt vom Fotografen des Bundeskanzleramtes.

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"Quote machen mit behinderten Menschen?" Kurz vor Weihnachten hat sich das ZDF-Satireformat Heute-Show mit dem Thema Inklusion beschäftigt. Der ORF bekam dabei ordentlich sein Fett ab. "Sie haben Ausschnitte aus einer Licht-ins Dunkel-Gala genommen und die gesamte Darstellung in der Luft zerrissen", sagt Martin Ladstätter, Präsidiumsmitglied des Österreichischen Behindertenrats und ORF-Publikumsrat. "Wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender einen anderen dermaßen vorführt, dann sieht man, wie weit der ORF mit seiner Darstellung von Licht ins Dunkel in der Vergangenheit steht."

ZDF Satire

Zu sehen war etwa jene Szene, als DJ Ötzi das Lied Der Moment sang und ein vierjähriger Bub mit seinem Roller seine Kreise um DJ Ötzi zog. Dem Kind fehlen beide Schienbeine und ein Kniegelenk. Dank mehrerer Fußoperationen und der Unterstützung von Licht ins Dunkel kann er heute wieder gehen.

Eine Erfolgsgeschichte, die stellvertretend für viele steht, die Licht ins Dunkel während seines 50-jährigen Bestehens ermöglicht hat. Nur: Die Kritik an der Hilfsaktion reißt nicht ab. Sie entzündet sich nicht nur am Namen selbst, der Menschen mit Behinderungen ins Dunkle rücke, sondern an der grundlegenden Ausrichtung, dass sie zu Bittstellern degradiert würden, monieren Behindertenorganisationen seit Jahren. In der Schusslinie steht vor allem auch der ORF mit seinen Spendengalas.

Recherche von "Andererseits"

Der Ausschnitt aus der ORF-Gala mit DJ Ötzi war auch Teil einer Ende November 2022 veröffentlichten Doku der inklusiven Onlineplattform Andererseits. Die Recherche setzte eine Diskussion über die Ausrichtung von Licht ins Dunkel und den ORF als Medienpartner in Gang. Sogar Bundespräsident Alexander Van der Bellen meldete sich zu Wort, er ist Schirmherr der Aktion. Es sei "nie falsch, ein Konzept zu hinterfragen oder zu überdenken, wenn es – insbesondere von Menschen mit Behinderungen – als veraltet empfunden wird".

Vom Bundespräsidenten abwärts treten Politikerinnen und Politiker gerne bei den ORF-Spendengalas für Licht ins Dunkel auf. Nach der Kritik soll die Hilfsaktion neu aufgestellt werden.
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Die massive Kritik soll in Konsequenzen münden. Der ORF lädt am Freitag zu einem runden Tisch mit Behindertenorganisationen. Die Veranstaltung soll Startschuss für Neuausrichtung und Weiterentwicklung von Licht ins Dunkel sein.

Dass Politikerinnen und Politiker die ORF-Veranstaltungen auch als Bühne für die Selbstdarstellungen missbrauchen, sorgt schon länger für Kritik. Sie dürfen sich zur besten Sendezeit hinter das Spendentelefon klemmen, obwohl sie es selbst in der Hand hätten, für eine ausreichende Dotierung der Sozialleistungen zu sorgen.

Unpolitisch trotz Politik

Eine Inszenierung, die Martin Ladstätter sauer aufstößt, wie er im Gespräch mit dem STANDARD sagt: "Manche haben sogar eine Entourage an Fotografen für Instagram dabei." Und: "Es kann nicht sein, dass man den Leuten mit Spendenshows notwendige Hilfsmittel bezahlt, aber nicht aufzeigt, warum die Notsituation überhaupt vorhanden ist."

Ladstätter erinnert an einen Auftritt des damaligen Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) bei der Licht-ins-Dunkel-Gala im ORF: "Davor war die Sozialhilfe massiv gekürzt worden. Der Kanzler wurde nicht gefragt, warum das gemacht wurde und dass es behinderte Menschen dazu treibt, noch mehr Anträge zu stellen, sondern zu einem Wohlfühlthema wie: Was gibt es zu Weihnachten zum Essen? Das ist entbehrlich." Licht ins Dunkel sei viel zu unpolitisch, sagt Ladstätter: "Es geht nur um das Pflaster auf die Wunde, aber nicht darum, warum das notwendig ist: weil das System versagt."

Aktion Mensch als mögliches Vorbild

Sowohl Ladstätter als auch Rudolf Kravanja, Präsident des ÖZIV Bundesverband – Interessenvertretung für Menschen mit Behinderungen, verweisen auf die Aktion Mensch in Deutschland, die bei der Neukonzeption von Licht ins Dunkel als Vorbild fungieren könnte. Die Hilfsaktion entsprang 1964 einer Initiative des ZDF. Sie firmierte bis ins Jahr 2000 als Aktion Sorgenkind. Der Name wurde nach heftiger Debatte geändert. Inklusive Projekte stehen im Mittelpunkt. Empathie statt Mitleid ist die Devise. Die Hilfsgelder werden nicht über öffentlichkeitswirksame Spendengalas lukriert, sondern über Lotterieerlöse. Im Jahr 2021 waren das 585 Millionen Euro. Zum Vergleich: Licht ins Dunkel kam im selben Jahr auf 21 Millionen Euro.

ÖZIV-Präsident Kravanja, auch er ist am Freitag beim runden Tisch zu Gast, sagt: "Man könnte überlegen, ob wir nicht mit den Österreichischen Lotterien ein Los auflegen können, dass man sich die Gala und die Bettelei erspart."

ORF steht auf der Bremse

Diese "Bettelei" ist es auch, die mit der Marke Licht ins Dunkel transportiert werde. "Wir wollen einen starken, selbstbewussten Menschen aufwachsen sehen, das geht mit dem Begriff schwer." ORF-Manager Pius Strobl, verantwortlich für die Hilfsaktion im ORF, will aber am Namen nicht rütteln. Das sagte er zumindest in der Andererseits-Doku. Auf STANDARD-Anfrage wollte Strobl nicht Stellung nehmen. Über die Pläne will der ORF erst nach dem runden Tisch informieren.

Dass es die Hilfsaktion braucht, davon ist ÖZIV-Präsident Kravanja überzeugt: "Wir wollen nicht, dass Licht ins Dunkel abgeschafft wird, sondern eine Diskussion über ein gutes Wording." Denn: "Der Staat wird nicht immer alles liefern können", sagt er und verweist auf Kosten von einigen Tausend Euro für Monoski, ein Handbike oder einen Umbau im Auto. Beim Verein Licht ins Dunkel ortet er Veränderungswillen, beim ORF weniger.

Außen- und Vorbildwirkung

Positiv ist für Kravanja, dass der ORF etwa Behindertensportler Andreas Onea nicht nur Licht-ins-Dunkel-Galas moderieren lässt, sondern auch eine Sendung wie Sport Aktuell. Diese Wirkung nach außen sei so wichtig: "Dass die Gesellschaft sieht, dass das die Normalität ist, und wir nicht in eine Ecke geschoben werden, dass wir nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind, sondern uns selbst ernähren und erhalten können." Der ORF sei hier auf einem guten Weg.

Empathie statt Mitleid

"Nicht über uns, sondern mit uns berichten", gibt auch Kurt Nekula, Präsident von Licht ins Dunkel, als Motto aus. Die ORF-Formate müssten künftig gemeinsam mit Behindertenorganisationen erarbeitet werden, ihre Stimmen zum Beispiel in Beiräten gehört werden. Kritikpunkte wie die Tränendrüse nehme er ernst. "Die Betroffenen betonen, dass sie kein Mitleid, sondern Empathie wollen. Das ist absolut nachvollziehbar", sagt Nekula zum STANDARD. Auch er kann sich vorstellen, Licht ins Dunkel politischer zu positionieren. Versäumnisse der Regierung, etwa bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, müssten thematisiert werden. Den Markennamen zu ändern hält er für schwierig. "Der ist dermaßen etabliert und positiv konnotiert."

Die Armut steigt, die Teilhabe leidet

Inhaltlich hat sich Licht ins Dunkel bereits gehäutet. Der Zusatz "Ist da jemand?" wurde vor längerer Zeit entsorgt. Im Fokus steht neben der Soforthilfe auch die Projekthilfe. Aus dem Fonds wurden im Jahr 2021 rund 400 Sozial- und Behindertenprojekte unterstützt. Aufgestockt wurde heuer der Individualhilfefonds, erzählt Nekula. Und das bedeutet nichts Gutes: "Zu Weihnachten hat es schon wesentlich mehr Ansuchen gegeben als im Vorjahr." Die Armutsgefährdung sei deutlich im Steigen begriffen, warnt er.

Neben den individuellen Auswirkungen auf die Gesundheit oder die schulischen Leistungen treffe Armut auch mitten ins Herz der Demokratie. Leute mit schwierigen Lebensumständen neigten eher dazu, die Demokratie infrage zu stellen und sich in autoritäre Systeme zu flüchten, so Nekula. (Oliver Mark, 3.2.2023)