Karl* war schon Anfang 20, als ihm bewusst wurde, dass er pädophil ist. Seit über zehn Jahren geht er in Therapie. Er ist auf Anfrage des STANDARD bei der Männerberatung Wien freiwillig mit der Redaktion in Kontakt getreten, um seine Sichtweise zu schildern. Der über 40-jährige Angestellte berichtet, wie er versucht, sein Verhalten zu therapieren. Ihm ist wichtig zu betonen, dass nicht alle Pädophilen automatisch Straftäter sind.
Es dauerte einige Zeit, bis sich Karl tatsächlich professionelle Hilfe suchte. Diese habe er sich zunächst nicht leisten können. Zudem hemmte ihn die Angst, dass irgendwer davon erfahren könnte, dass er pädophil ist, wie er sagt.
Vor dem ersten Kontakt holte er sich eine SIM-Karte mit neuer Telefonnummer und fuhr weit hinaus, damit sein Standort nicht nachverfolgt werden konnte.
Zu Beginn sah er sich vereinzelt Fotos von Missbrauch an sowie FKK-Bilder, "so unangenehm es mir ist, das zu sagen". In der Therapie habe Karl gelernt, warum das falsch ist. Für die Produktion solcher Inhalte wird ein Kind missbraucht – der Konsum und die Verbreitung fördern das.
Therapeut als treibender Faktor
Überhaupt sei die Beziehung zu seinem Therapeuten für ihn ein treibender Faktor. Er habe sich von Anfang an vorgenommen, ihn nicht anzulügen. Gleichzeitig sei es ihm wichtig, was Menschen von ihm denken. "Deswegen war klar: Ich muss aufpassen, was ich tue", erzählt er. "Ich wollte nicht in einer Woche reinkommen und sagen müssen, dass ich versagt habe." Mit der Zeit hätten sich seine Prioritäten dann von allein geändert.
Ganz kommt Karl aber ohne Missbrauchsdarstellungen nicht aus – er sieht sich gezeichnete Comics an. Er rechtfertigt dies damit, dass er so "keinem echten Kind schade".
Doch ist der Konsum von animierten Darstellungen tatsächlich unproblematisch? Es komme darauf an, sagt die Sexualtherapeutin Nicole Kienzl zum STANDARD. In der Forschung gebe es dazu zwei Ansätze. Der eine besagt, dass Pädophile auf diese Weise ihre abnorme Anziehung ausleben können und so zur Ruhe kommen. Umgekehrt gebe es aber das Argument, dass der Konsum womöglich die Hemmschwelle senke – und somit echter Missbrauch normalisiert werden könnte.
Forschung notwendig
Grundsätzlich fehle es aber an Forschung, um eine klare Antwort liefern zu können. "Die Zielgruppe ist leider sehr schwer zu befragen, daher gibt es kaum aktuelle und brauchbare Studien", sagt Kienzl. Es hänge auch von der Persönlichkeit ab, welche der beiden Theorien eher zutreffe. Relevant seien etwa Faktoren wie die Frage, wie seelisch ausgeglichen jemand ist oder ob ein anderes, reguläres Sexualleben vorherrscht. In der Therapie ginge man jedenfalls heute davon aus, dass sich eine pädophile Neigung nicht ändern lässt, weswegen es vor allem darum gehe, sie zu steuern.
Karl ist seit über zehn Jahren in einer Beziehung. Damit ist er kein "Kernpädophiler", also jemand, der sich ausschließlich an Kindern und Jugendlichen erregt.
Kaum Eingeweihte
Seine Freundin weiß von seiner pädophilen Neigung. Als er es ihr erzählte, habe das für große Trauer gesorgt, sagt er. Heute würde er ihr nichts davon erzählen. "Andere Menschen würden ja auch nicht ihren Partnern sagen, dass diese nicht so ausschauen, wie sie sich ihr ideales sexuelles Bild vorstellen", sagt er. Er sei es gewohnt, seine Pädophilie zu verheimlichen, weswegen es für ihn wohl kein Problem wäre, es in der Beziehung zu tun. Im Großen und Ganzen sei er jedenfalls sexuell erfüllt und liebe seine Freundin.
Ansonsten weiß nur eine Handvoll Menschen in seinem Leben von seinen Neigungen. Das liege aus seiner Sicht auch daran, wie tabuisiert das Thema in der Gesellschaft sei.
Das Wichtigste sei jedenfalls, Missbrauch zu verhindern, findet Karl. Ein Weg ist aus seiner Sicht die Prävention. In Österreich brauche es niederschwellige und günstige Angebote. "Ich habe inzwischen bestimmt mehr als 20.000 Euro für Therapie ausgegeben", sagt er. Mittlerweile könne er sich das leisten. Doch gerade jüngere Menschen hätten oft nicht die Ressourcen, um sich Hilfe zu holen. (Muzayen Al-Youssef, 2.2.2023)