Ziegler ersparte dem ORF-General einen Antrag auf Abberufung an den Stiftungsrat.

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Es hätte ein niederösterreichischer Klassiker in jahrzehntelanger Tradition werden können: Der Chefredakteur des Landesstudios nimmt Einfluss auf die Berichterstattung des regionalen ORF im Sinne der ÖVP Niederösterreich. Wer den ORF und Niederösterreich nur ein bisschen kennt, konnte nicht überrascht sein und hätte erwartet: So würde das auch bleiben. Doch diesmal nicht.

Der ORF und sein Generaldirektor Roland Weißmann – selbst einst im Landesstudio Niederösterreich leitender Journalist – reagierten auf die Causa Ziegler bemerkenswert unniederösterreichisch: Eine interne Untersuchungskommission hat Weißmann ohne Zögern eingesetzt. Mit ORF-Journalistinnen und -Journalisten, die einen Ruf zu verlieren haben, Juristen und einem Vorsitzenden, der als Pensionist keine Rücksicht mehr auf ORF-Diplomatie zu nehmen braucht. Sie fand die Vorwürfe gegen Ziegler erhärtet.

Weißmann nahm dankend an

Ziegler ersparte dem ORF-General einen Antrag auf Abberufung an den Stiftungsrat – und sich weitere Wochen bis zur Abstimmung darüber im März. Er bot seinen Rücktritt als ORF-Landesdirektor an. Weißmann nahm dankend an.

Zieglers Begründung (abgesehen von einer kurzen Entschuldigung, sollte er gar falsch gehandelt haben): Redaktionsmitglieder hätten sein Vertrauen missbraucht und Belege seiner Amtsführung heimlich gesammelt, die im Wahlkampf ihren Weg an die Medien fanden. Die Belastung "massiver" Berichterstattung mache ihm zudem eine weitere Tätigkeit als Landesdirektor unmöglich.

Nötige Konsequenzen zu ziehen zählt mehr, als welchen Grund man dafür findet.

Willkommenes Signal

Der individuelle Rücktritt Zieglers ist nicht die einzige Konsequenz, nicht die einzige Lehre, die aus der Affäre zu ziehen ist.

Sie ist ein – vielleicht sogar willkommenes – Signal an die Redaktionen aller Landesstudios und ihre Führungskräfte, auf die nötige und kritische Distanz zur Landespolitik zu achten. Was im kleinen Raum vielleicht noch ein bisschen schwerer fällt als bei den überregionalen News.

Auf allen Ebenen spielt die Politik im öffentlichen Unternehmen ORF mit einem mehrheitlich (partei)politisch besetzen Aufsichtsgremium auch eine Rolle bei Karriereabsichten. Ziegler war bürgerlicher Betriebsrat im Landesstudio, Stiftungsrat in der ÖVP-Fraktion (deren Treffen er auch später weiter besuchte), wurde dann Chefredakteur und schließlich Landesdirektor. Keine ganz untypische ORF-Karriere. Auch wenn sich ein größerer Teil der Redakteurinnen und Redakteure Tag für Tag um das bemüht, was ein Verfassungsgesetz dem ORF vorgibt: unabhängig und vielfältig, ausgewogen und so objektiv wie möglich zu berichten.

Gebot der Unabhängigkeit

Die Affäre Niederösterreich ist ein Anstoß, das ORF-Gesetz um Regelungen zu erleichtern, die diesem Verfassungsgebot zumindest potenziell widersprechen.

Das tatsächlich 2023 noch in einem Gesetz über öffentlich-rechtlichen Rundfunk festgeschriebene Recht der Landeshauptleute etwa, vom ORF-General vorab informiert zu werden, wen er als Direktor oder Direktorin für das jeweilige Landesstudio vorschlagen wird.

Oder die Zusammensetzung des ORF-Stiftungsrats mit einer laut Gesetz großen Mehrheit politiknah besetzter Mandate: Ob sie dem Gebot der Unabhängigkeit entspricht, dürfte der Verfassungsgerichtshof im März diskutieren und womöglich schon entscheiden.

ORF-Gremium politikferner gestalten

Doch selbst wenn das System doch, vielleicht gerade noch mit Verfassungsprinzipien zu vereinbaren ist: Die Affäre Niederösterreich wäre ein guter Anstoß, das oberste ORF-Gremium ein gutes Stück politikferner zu gestalten, das über ORF-Chefs und Direktoren, Budgets und grundlegende unternehmerische Themen entscheidet.

Auch wenn die Kanzlerpartei ÖVP dort derzeit dank dieses Systems eine alleinige Mehrheit hat: Wenn es ihr vielleicht doch nicht so um Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geht, sollte sie zumindest strategisch bedenken, dass das System auch andere Parteien in die Lage bringen könnten. Die SPÖ schaffte es als Regierungspartei nie, so weit zu denken.

Die Affäre Niederösterreich sollte ORF-General Weißmann auch im Hinterkopf behalten, wenn er die Führung der nun größten und reichweitenstärksten Redaktion des Landes neu organisiert. Die neue Newsroom-Führung ist ein Ausweis, wie ernst der ORF das Gebot der Unabhängigkeit nehmen will.

Und die Affäre um Politeinfluss auf eine ORF-Redaktion und willfährige Umsetzung von Führungskräften erinnert auch an die jüngste Vorgabe des Verfassungsgerichtshofs für den ORF: Er definiert auch die Finanzierung des ORF als Kriterium für die von der Verfassung geforderte Unabhängigkeit. Ein Hinweis für die laufenden Verhandlungen über ein neues GIS-Modell, das Streaming einschließt, etwa eine Haushaltsabgabe, möglichst fern eines politischen Druckmittels zu gestalten. Und ihre Höhe und ihre Verwendung braucht vielleicht mehr denn je begleitende, unabhängige Kontrolle – unabhängig von der Politik und möglichst unabhängig vom ORF. (Harald Fidler, 3.2.2023)