Schlechter hätte sie es nicht treffen können. Die Studentin, nennen wir sie Bea, begann ihr FH-Studium im Jahr 2020. Nicht nur, dass ihr dadurch Teile des Studentenlebens – wie etwa Partys – entgingen. Auch als das Leben wieder anzog, wollte es mit dem sozialen Anschluss nicht richtig funktionieren. "Ich hab schon ein paar nette Menschen kennengelernt", sagt Bea. "Aber tiefe Freundschaften sind daraus nicht entstanden." Mit dieser Erfahrung ist sie nicht allein. Viele junge Erwachsene berichten Ähnliches. Man kann sie insofern ein wenig beruhigen, als es nicht an ihnen liegt: Es gibt Anzeichen, dass sich etwas bei unseren Freundschaften tut. Und das hat nicht nur etwas mit Corona zu tun.

Über den Einfluss von Covid-19 auf Freundschaften wurde viel diskutiert. Über Zoom-Calls, über Brüche wegen des Impfthemas und die Auswirkungen des Alleinseins auf die seelische Gesundheit. Was oft ein bisschen untergeht: Es begann sehr viel früher. Covid-19 setzte sich auf einen Langzeittrend, der das Sozialleben transformiert. Die Zeit, die der moderne Mensch mit Freunden (und Familie) verbringt, nimmt seit längerem ab. Teilweise vor der Pandemie stärker als in der Pandemie.

Die Zeit, die wir mit Freunden und Freundinnen verbringen, geht drastisch zurück. Ein Teil der Erklärung: Smartphones und Social Media.
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Single-Männer in der Isolation

Im Sommer 2022 ging eine Studie des American-Survey-Instituts durch die US-Medien. Sie zeigte eine dramatische Entwicklung: Die Zeit, die Amerikaner mit Menschen außerhalb ihrer Familie verbringen, hat innerhalb des letzten Jahrzehnts stark abgenommen. Diese Aussage gilt für jede Altersgruppe, für jedes Einkommensniveau, für Stadt- wie Landbevölkerung. Und weil Amerikaner ein Händchen für Marketing haben, verpassten die Forscher dem Phänomen auch gleich ein knackiges Label: "friendship recession", also in etwa "Rückgang der Freundschaft".

Die Studie zeigte, dass man früher ansetzen muss als mit dem Social Distancing. Schon 2019 verbrachten US-Amerikaner im Schnitt nur mehr vier Stunden in der Woche mit ihren Freunden – fünf Jahre vorher waren es noch fünfeinhalb. Das klingt unspektakulär, dahinter verbergen sich aber extreme Verwerfungen, vor allem für so einen kurzen Zeitraum. Bis 2013 war die Zeit, die Menschen mit ihren Freunden verbrachten, weitgehend stabil, ab 2014 ging sie plötzlich stark zurück. Im Rückblick kann man sagen: Die 2010er-Jahre waren eine Dekade, die etwas in unserem Sozialleben veränderte.

Sind schon die groben Zahlen besorgniserregend, sind sie es in den Details noch mehr: Der höchste Rückgang der Zeit, die mit Freunden verbracht wird, fand sich bei Teenagern und Männern, speziell Single-Männern. Bei Ersteren ist das schlimm, weil wir in den Teenager-Jahren unsere Freunde wirklich brauchen. Und bei Letzteren, weil sie ohnehin schon am unteren Ende der "Freundschaftsverteilung" liegen. Frauen haben im Schnitt ein größeres soziales Netzwerk als Männer. Die "friendship recession" trifft nicht jeden, geschweige denn jeden gleichmäßig. Aber im Schnitt trifft sie Männer härter.

"Wir sind soziale Wesen und brauchen andere Menschen", sagt Jana Nikitin, Psychologin an der Uni Wien. "Forschungsergebnisse zeigen: Je vielfältiger unsere sozialen Beziehungen sind, desto höher das Wohlbefinden." Umgekehrt wirkt sich soziale Isolation körperlich negativ aus. "Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass sie unser Leben im selben Ausmaß verkürzt wie beispielsweise das Rauchen." Es geht also nicht darum, Freundschaften gegen die Kollegen oder die Familie auszuspielen. Aber Freundschaften können uns etwas geben, das uns andere soziale Beziehungen nicht geben. "Freundschaften sind für gewöhnlich die Beziehungen, die wir ausschließlich freiwillig eingehen", so Nikitin. "Damit gehören sie – im Schnitt – zu unseren positivsten Beziehungen überhaupt."

Rezession voraus!

Vorausgesetzt, es gibt diese "friendship recession" wirklich – warum passiert sie? Und warum gerade jetzt? Auch wenn das Thema noch nicht gut erforscht ist, hat die Wissenschaft einige strukturelle Gründe identifiziert. Zum einen könnte die Kombination aus Smartphones und Social Media eine Rolle spielen. 2014 war das Jahr, in dem zum ersten Mal mehr als 50 Prozent der US-Amerikaner ein Smartphone besaßen. Facebook hatte in den Jahren zuvor ein unglaubliches Wachstum hingelegt, das sich Mitte der Zehnerjahre stark verflachte. Das Sozialleben verschob sich zu einem Teil ins Digitale. Das gab den Menschen neue Möglichkeiten, Kontakte auch über Distanzen zu pflegen. Aber auch neue Gründe, zu Hause zu bleiben.

Außerdem nimmt die Mitgliedschaft in Vereinen, in Kirchen oder anderen Organisationen seit Jahrzehnten ab. Die Freizeit hat sich radikal individualisiert. "Statt des einen lebenslangen Hobbys werden Freizeitaktivitäten häufiger gewechselt, oft auch parallel verfolgt, dafür aber weniger dauerhaft und verbindlich", schrieb das Zukunftsinstitut vor einigen Jahren. Viele Menschen haben kein Problem damit, am Samstag in einer Gruppe von Fremden einen Fermentierkurs zu machen; aber sich wöchentlich mit derselben Gruppe zum Training zu treffen, das ist für manche zu viel. Man geht unter Menschen, läuft aber nicht Gefahr, dort engere soziale Beziehungen zu knüpfen.

Zeit der Individualisten

Und nicht zuletzt gibt es eine gewisse "Profanisierung" der Freundschaft. "Unser Leben ist hochgradig individualisiert und durchgetaktet, wir haben unzählige Baustellen", sagt Larissa Pfaller, Soziologin an der Universität Nürnberg-Erlangen. In empirischen Studien würde man beobachten, wie Menschen ihre Freunde da mit eintakten würden: Freunde als ein Punkt in meinem Wochenplan, den ich abarbeiten kann. "Es gibt aber seit jeher auch die Gegenbewegung: Freundschaft wird sowohl funktionalisiert wie idealisiert."

Für Millennials, also in etwa die heute 40- bis 25-Jährigen, wurde die Bedeutung dieser strukturellen Gründe bereits untersucht. In einer Forschungsarbeit aus dem Jahr 2019 kam das Meinungsforschungsinstitut Yougov zu dem Schluss, dass sich die erhöhte Einsamkeit von Millennials im Vergleich zu Babyboomern weitgehend durch Faktoren wie spätere Hochzeiten, geringere Einbindung in religiöse Aktivitäten usw. erklären lässt. Der durchschnittliche Millennial ist also nicht einsamer, weil er im Kopf anders ist als sein Boomer-Großonkel. Sondern weil die Verhältnisse, die auch den Großonkel einsam gemacht hätten, heute häufiger sind als früher.

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Statt eines lebenslangen Hobbys werden Aktivitäten häufiger gewechselt. Man geht unter Menschen, aber knüpft keine engen Kontakte mehr.
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Ein Drittel ohne außerfamiliäre Bezugspersonen

Die "friendship recession" ist kein rein amerikanisches Phänomen, dort ist sie aber am besten erforscht. Auch in Ländern wie Deutschland kamen Wissenschafter zu ähnlichen Ergebnissen. In Österreich ist die Datenlage schlecht – wie häufig, wenn es um globale Trends geht. Eine Annäherung gibt der Freizeitmonitor, eine repräsentative Befragung, die seit 2001 regelmäßig vom Institut für Freizeit und Tourismusforschung durchgeführt wird. Die letzten Zahlen zum Sozialverhalten stammen aus dem Jahr 2018 und zeigen, dass es auch in Österreich einen Trend gibt, der weit früher einsetzte als in der Corona-Pandemie. Gaben 2005 noch 39 Prozent der Befragten an, regelmäßig etwas mit Freunden zu unternehmen, waren es 2018 nur mehr 27 Prozent. Ähnlich schaut es in der Familie aus: Die Zahl der Menschen, die sich regelmäßig mit der Familie beschäftigen, fiel in dem Zeitraum von 65 Prozent auf 46 Prozent.

Eine andere Zahl entfaltet ihre Wirkung erst richtig, wenn man sie umdreht. In einer Studie des Marktforschungsinstituts Integral aus dem Sommer 2022 gaben 61 Prozent der Österreicher an, mindestens einen engen Freund außerhalb der Familie zu haben. Andersherum ausgedrückt heißt das allerdings auch, dass ein Drittel der Österreicher über keine engen, emotional behafteten Beziehungen außerhalb der eigenen Familie verfügt.

Die Pandemie hat dazu geführt, dass Phänomene wie Einsamkeit und seelische Gesundheit langsam die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen. "Die Pandemie war ein gesellschaftlicher Anlass, über Freundschaften zu reden", sagt Pfaller. "Wenn man die Zeitung aufgeschlagen hat, konnte man lesen, wie wichtig Freundschaften ‚gerade jetzt‘ seien." Allerdings ist es nicht nur wichtig zu betonen, dass sich die Entwicklungen in Langzeittrends einfügen. Sondern auch, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht eindeutig sind. Zu einfache Schlüsse sollte man daraus nicht ziehen.

Da verschiebt sich was ...

Das Vienna Center for Electoral Research hat mit dem Corona-Panel über mehr als zwei Jahre lang die Bevölkerung in der Pandemie vermessen. Das Einsamkeitsempfinden der Gesamtbevölkerung ist dabei recht konstant: Über die gesamte Pandemie hinweg sagen etwa zwei Drittel, dass sie sich nie einsam fühlten. Ein Viertel der Bevölkerung fühlte sich an manchen Tagen einsam, knapp 15 Prozent mehrfach die Woche. Es ist allerdings sehr ungleich verteilt: Unter den Menschen 40 plus liegt der Anteil derer, die sich mehrfach die Woche einsam fühlen, um die zehn bis zwölf Prozent. In den Alterskohorten darunter steigt er extrem stark an: Bei den 1990 bis 1999 Geborenen fühlen sich schon 26 Prozent mehrmals die Woche einsam, bei den noch Jüngeren sind es 40 Prozent.

Einer der Gründe, warum Einsamkeit gerade in jungen Jahren problematisch ist, ist, dass wir unsere langjährigen Freundschaften tatsächlich in der Adoleszenz schließen. "In jungen Erwachsenenjahren haben wir eine weite Zukunftsperspektive, die sich mit steigendem Alter verkürzt", sagt Jana Nikitin. "Wenn wir jung sind, wollen wir in diese lange Zukunft investieren und suchen uns automatisch Menschen, die uns auf diesem Weg begleiten können." Je älter man werde, desto wichtiger würde die Perspektive, sich mit den Freunden hier und jetzt wohlzufühlen.

Das alles ist noch kein Grund, den Teufel an die Wand zu malen. Es wird noch viel Forschung brauchen, bis man das Phänomen der "frienship recession" wirklich versteht. Und bis eine seriöse Einschätzung möglich ist, wie groß und wie temporär es ist. Im Moment lässt sich sagen: Es gibt Anzeichen dafür, dass sich da was verschiebt, vor allem für junge Menschen wie Bea. Es spricht einiges dafür, diese Anzeichen ernst zu nehmen. (Jonas Vogt, 5.2.2023)