Ja, aber das macht nichts

Die Dampfmaschine ist eine großartige Erfindung. Sie hat der Menschheit nicht nur zu beispiellosem Wohlstand verholfen, sondern ihr auch viele körperlich schwere Arbeiten abgenommen. Sie hat allerdings einen Nachteil: Sie hat uns Menschen leider körperlich schwächer gemacht. Schließlich arbeiteten statt Männern mit Spitzhacken in Minen nun Maschinen, ebenso in Webereien und irgendwann in Zügen und Autos.

Was müssen wir noch wissen, wenn die KI für uns denkt?
Bild: Midjourney

War die Dampfmaschine deshalb eine schlechte Idee? Wohl kaum. Statt Muskelkraft zählte zunehmend Hirnschmalz, eine logische Entwicklung. Der Barcode hingegen sägte zunächst an unseren kognitiven Fähigkeiten. Eines der Erfolgskonzepte der Discounter war, dass sie nur wenige Artikel führten – Kassiererinnen und Kassierer wussten die Preise anfangs auswendig, tippten diese direkt und schnell in die Kassa, anstatt nach Preisschildern zu suchen. Dann kam der Barcodescanner – heute muss sich kein Kassenmitarbeitender mehr Preise merken. Auch wie man die Gangschaltung eines Fahrrades einstellt oder einen Zwetschenkuchen bäckt, muss niemand mehr wissen – denn dafür gibt es das Internet.

Und nun also künstliche Intelligenz (KI). In ihrer derzeit gehyptesten Gestalt – als Chat GPT – schreibt sie Geschäftsberichte, programmiert einfache Software und erklärt einem Fünfjährigen Schrödingers Katze. Müssen wir deshalb jetzt weniger über Bilanzbuchhaltung, Programmiersprachen und Quantenmechanik wissen? Die meisten von uns wohl schon.

Wenn Dummheit die Absenz von Wissen meint, dann ja, dann wird uns KI erst einmal dümmer machen. Doch das muss nichts Schlimmes heißen. Denn guter technologischer Fortschritt definiert sich dadurch, dass er uns Arbeit abnimmt – und dazu gehört auch Wissensarbeit.

Doch ist es wirklich Wissen, das uns menschlich macht? Oder nicht doch eher die Fähigkeit zur Kreativität und zur Empathie? Vielleicht verschaffen uns die atemlosen Fortschritte in der KI-Forschung irgendwann eine Atempause, um uns auf diese Qualitäten zu konzentrieren – so pathetisch das auch klingen mag.

Ganz ohne Menschenhirn wird es aber auch in Zukunft nicht gehen: Es wird in Zukunft nicht nur künstliche, sondern auch menschliche Intelligenz sein, die uns als Gesellschaft voranbringt. Dazu gehört auch Wissen, dass nicht direkt anwendbar ist – und in dem die KI keinen Nutzen sieht. Wir müssen dieses Wissen in einer Zukunft, in der die KI uns immer mehr zur Seite steht, wieder stärker kultivieren, etwa in der Schule. Auch damit wir der maschinellen Intelligenz, die unser Menschheitswissen zunehmend verwaltet, kritisch auf die Roboterfinger schauen können.

Nein, KI ist nicht fehlerfrei

Untergäriges Bier – darunter das beliebte Lagerbier – braucht zum Gären niedrigere Temperaturen, die auf natürlichem Weg schwer konstant gehalten werden können. Daher wurde früher hauptsächlich obergäriges Bier gebraut. Das änderte sich mit der Erfindung der Kältemaschine durch Carl von Linde in den 1870er-Jahren, ab dann eroberte das Untergärige die Welt. Ein Comeback feiert das Obergärige nun wiederum durch den Hype um Craft Biere, die unter Hopfen-Fans für Vielfalt und Handarbeit stehen.

Warum ist diese Anekdote für die Debatte um künstliche Intelligenz (KI) relevant? Weil sich Geschichte wiederholt. Oft haben neue Technologien zuerst Arbeitsplätze vernichtet, damit später neue und vor allem qualifiziertere Jobs entstehen konnten. Ebenso wurden alte Produkte verdrängt, nur um sie später in besserer Qualität zurückzuholen: "Handgemacht" ist ein Label, das bei Bier, Kleidung und Lebensmitteln gleichermaßen für Qualität steht.

Und so nehmen uns Produkte wie Chat GPT nun angeblich das Denken ab – es gibt jedoch zwei Gegenargumente, die diese These widerlegen. Denn erstens sind diese Technologien längst nicht frei von Fehlern: Viele von Chat GPT produzierte Antworten bestehen entweder aus inhaltslosen Plattitüden oder sind schlichtweg falsch. Es wird also noch Menschen geben müssen, welche die Antworten auf Richtigkeit überprüfen und durch ihre eigene Kreativität ergänzen.

Ein untergäriges Bier im Stil des Kubismus – nur wer etwas von der Welt versteht, kann mit der KI kommunizieren.
Bild: Midjourney

Gerade diese Kreativität macht zugleich den zweiten und weitaus wichtigeren Punkt aus. Denn KIs werden mit der Zeit besser darin werden, Leistung auf einer kognitiven Ebene zu zeigen. Dadurch können sie den Menschen entlasten, der wiederum mehr Raum und Zeit für jene Formen von Intelligenz hat, die ihn auszeichnen und die ein Roboter ihm nicht abnehmen kann: spontane Kreativität, bei der durch "Spinnereien" gänzlich neue Ideen entstehen. Soziale Intelligenz – indem wir in Gesprächen mit anderen Menschen mehr Energie haben, um empathisch auf das Gegenüber zuzugehen.

Und schließlich die methodische Kompetenz, mit der KI derart zusammenzuarbeiten, dass das bestmögliche Ergebnis daraus entsteht: Der "Prompt Designer", der die KI mit möglichst einfallsreichen und konkreten Aufgaben füttert, wird ebenso eine Zukunft haben wie die Verantwortlichen für die anschließende Qualitätskontrolle. Und diese Jobs erfordern eine entsprechende Bildung: Ein in Kunstgeschichte versierter Mensch wird einer Bilder-KI bessere Ergebnisse entlocken als ein reiner Techniker.

Dies alles wird die Menschheit in Summe weiterbringen, indem einerseits Mensch und Maschine kollaborieren, um effizienter zu Lösungen zu kommen, und andererseits als Gegenbewegung dazu das Handgemachte auch in den Kreativ- und Wissensberufen eine neue Wertigkeit bekommt.

(Philip Pramer, Stefan Mey, 5.2.2023)