Stefan Wallner, jetzt Geschäftsführer des Bündnisses für Gemeinnützigkeit.

Foto: Christian Fischer

Mit 28 wurde Stefan Wallner Generalsekretär der Caritas. Mit Anfang 50 ist er als Koordinator der Ukraine-Hilfe für Nachbar in Not zu seinen Wurzeln im Sozialbereich zurückgekehrt. Jetzt will er den stark fragmentierten Sozialbereich und tausende gemeinnützige Vereine mit ihren hunderttausenden Freiwilligen unter einem Dach, dem Bündnis für Gemeinnützigkeit, vereinen und eine starke Stimme sein – "um den wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Ganzen" sichtbar zu machen, Rahmenbedingungen zu verbessern und den Zusammenhalt zu fördern, wie er in seiner Funktion als Geschäftsführer des Bündnisses sagt.

13 Verbände mit rund 3000 Mitgliedsorganisationen plus 70 Einzelorganisationen sind derzeit dabei. Neben Feuerwehren und Sportvereinen fehlen auch noch Berufsverbände. Wie groß dieser Bereich exakt ist, dazu fehlen Zahlen und Daten. Das Institut für NonProfit-Wirtschaft (NPO) der Wirtschaftsuni Wien schätzt, dass etwa 2,3 Millionen Menschen in Österreich in einer Organisation tätig sind, etwa sechs Prozent aller unselbstständig Beschäftigten in NPOs arbeiten und der Sektor mindestens vier Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beisteuert.

Wallner gehört wohl zu den erfahrensten Netzwerkern des Landes und kennt wie kein anderer aus intensiver Tätigkeit den Sozialbereich und die For-Profit-Wirtschaft und die Politik: 2009 wechselte er von der Caritas in die Bundesgeschäftsführung der Grünen. Ab 2017 war er fast vier Jahre lang für die Erste Group im Marken- und Transformationsmanagement tätig, um schließlich wieder auf die grüne Seite der Politik zurückzukehren – zuletzt war er bis Frühjahr 2022 Kabinettschef von Vizekanzler Werner Kogler.

STANDARD: Als Sie 2009 von der Caritas-Spitze in die Politik wechselten, haben Sie von einer "Liebesehe" gesprochen. Ist die Liebe vergangen?

Wallner: Ich hab vor allem gesagt, dass es keine Vernunftheirat ist. Ich bin mit dem Animo der Veränderung eingestiegen. Einiges ist gelungen. Politik ist aber ein emotional stark abnutzendes Geschäft. Es gibt keinen Sektor, wo so viel – auch persönlich – gegeneinander geht. Das habe ich auch in der Wirtschaft so nicht erlebt. Wettbewerb gibt es natürlich auch im Sozialbereich – aber es steht viel stärker das gemeinsame Anliegen im Zentrum. Es ist ein Unterschied, ob ich selbst besser werden will oder den anderen schlechter machen will, um besser dazustehen.

STANDARD: Ist also etwas dran an dem Vorurteil, dass Politik ein "schmutziges Geschäft" ist?

Wallner: Nein, das kann man nicht sagen. Zum Teil sicher. Aber ich kann allen, vor allem Jungen nur empfehlen, politische Verantwortung zu übernehmen. Wir brauchen Leute mit Erfahrung und Engagement. Das Wichtige ist, sich nicht abhängig zu machen von der Politik. Der Ausstieg ist oft schwierig, vor allem wenn man ihn selbstbestimmt gestalten will.

STANDARD: Was zieht Sie im Bereich der Gemeinnützigkeit jetzt wieder so stark an?

Wallner: Wir erleben in der Gesellschaft eine Zunahme an Aggression, an Spaltung. Ich will die Menschen und Organisationen unterstützen, die das Miteinander fördern. Wir verbrauchen derzeit sehr viel vom Kapital des Miteinander. Wer baut es wieder auf? Die Politik trägt mehr denn je viel zur Spaltung bei, die vielen Krisen führen zu Angst, Sprachlosigkeit und Verhärtung im Umgang miteinander. Echtes Miteinander braucht Tun, nicht Posten, was uns trennt.

STANDARD: Womit haben Ihre Ex-Kolleginnen und Ex-Kollegen in der Politik zu rechnen?

Wallner: Wir brauchen eine Stärkung des Freiwilligenengagements – Versicherungsschutz für Freiwillige aus öffentlichen Mitteln, eine Verankerung des Freiwilligenbonus, Aufwertung und Ausbau von Koordinierungszentren. Wir brauchen einen Energiekostenzuschuss auch für alle Gemeinnützigen, eine Ausweitung der Spendenabsetzbarkeit, langfristige valorisierte Förderungen.

STANDARD: Und einen fixen Platz am politischen Entscheidungstisch?

Wallner: Natürlich, weil die gemeinnützigen Organisationen täglich an den Problemen der Gesellschaft arbeiten und sowohl Know-how als auch Know-what und Know-why haben. Das fehlt mitunter bei politischen Entscheidungen. Wir werden stark und laut sein!

STANDARD: Der Sektor ist nicht nur vielfältig, sondern auch intransparent, es gibt kaum Daten. Wie bringen Sie Licht hinein – und wie schaffen Sie im Bündnis den Spagat zwischen den großen, gut verankerten Organisationen mit viel Sichtbarkeit wie der Caritas oder der Volkshilfe und ganz kleinen Initiativen ohne schnell messbare Wirkung, etwa den in der Bewusstseinsbildung tätigen Organisationen?

Wallner: Wir haben verschiedene Funktionen. Wir sind Ort der Positionierung des Sektors und der Willensbildung, sind beratend, etwa für Vereinsgründungen, da. Die Expertise und das jeweilige Wissen liegen ja in den Organisationen. Wir wollen auch mit wissenschaftlicher Begleitung die Leistungen und die Wirksamkeit klar sichtbar machen.

STANDARD: Sie haben auf Gage verzichtet?

Wallner: Ja, aber das war nie der wesentliche Entscheidungsgrund bei der Jobwahl. Man verdient im gemeinnützigen Bereich deutlich weniger als in einer Bank und in einem Regierungskabinett. Es geht mir um Wirksamkeit. Unser Auftrag ist "pursuit of happiness", wie es in der amerikanischen Verfassung steht: zu helfen, dass möglichst alle Menschen ein geglücktes Leben führen können. (Karin Bauer, 4.2.2023)