Absurditäten einer Zeitenwende: Bild aus der Serie "Snow Land – Tourism in the Era of Climate Change" des italienischen Fotografen Marco Zorzanello.

Foto: Marco Zorzanello

Schmale weiße Bänder in grünen Wiesen. Tieflader, die bei 14 Grad über null Schnee durch die Gegend karren. Bilder wie diese kursieren jeden Winter, auch in diesem. Der Jänner 2023 war, wie Geosphere Austria meldet, der achtwärmste seit Beginn der Messungen. Noch wird fröhlich gewedelt, doch das Ablaufdatum für den Wintersport rückt vielerorts näher, auch wenn manche von Tourismusmillionen gemästeten Seilbahnkaiser noch das letzte weiße Gold aus den Schneekanonen wringen wollen.

Dabei wissen wir längst, dass sich die Alpen wandeln werden, dass sie grüner, aber dadurch nicht kühler werden, weil die Reflexionswirkung der Schneedecke wegfällt. Wie der dramatische Gletschersturz in den Dolomiten im Juli 2022 bereits zeigte, sind Gipfelsilhouetten nicht in Stein gemeißelt. Auch Berge können kaputtgehen.

Dieser Wandel der Landschaft beschäftigt auch die Architektur. Der von der Schweiz und Liechtenstein ausgelobte Preis "Constructive Alps" honoriert Projekte in allen Alpenländern, die ökologisch und ästhetisch in gleichem Maße überzeugen. Aber wie genau reagieren Architekten und Architektinnen, die in den Alpen tätig sind, auf die heißen Zukunftsszenarien?

Regionale Ressourcen

"Hier im Bregenzerwald sehen wir, dass sich die Skigebiete zunehmend auf höhere Lagen konzentrieren und die anderen verschwinden", sagt Markus Innauer vom Büro Innauer Matt aus Bezau, deren edel-raue Stationen für die neue Patscherkofelbahn in Tirol 2018 eröffnet wurden. "Das ist positiv, weil der Raum in den niederen Lagen der Natur zurückgegeben wird. Andererseits besteht das Risiko, dass die höheren noch mehr Verkehrsinfrastruktur benötigen."

In Zukunft, ergänzt Büropartner Sven Matt, werde es noch wichtiger, nur dort zu bauen, wo es wirklich Sinn macht. "Zu Beginn der Tourismus-Ära hat man Seilbahnen dort gebaut, wo es sinnvoll war. Zu diesem ressourcenschonenden Umgang mit Material und Landschaftsraum müssen wir zurückfinden." Regionale Bauweisen seien seit langem auf extreme Temperaturunterschiede abgestimmt und könnten darauf reagieren.

Ähnlich denken auch Sonja Hohengasser und Jürgen Wirnsberger aus Kärnten, die sich mit sorgfältigen Sanierungen wie dem Sprungturm am Millstätter See und Bauten in Ortskernen wie den "Kaslab’n" in Radenthein einen Namen gemacht haben. "Vielleicht können wir in Zukunft zu einer Einfachheit im Bauen zurückkehren, die nicht ärmlich ist, sondern die reichhaltige kulturelle Unterschiedlichkeit der Alpentäler wieder betont," so Wirnsberger. Eine Reduktion, die keinen Verzicht bedeuten muss.

Im größeren Maßstab, in der Überlagerung von Architektur und Landschaft, arbeiten Kathrin Aste und Frank Ludin vom Innsbrucker Büro LAAC. Ihr hochalpiner Ausguck "Top of Tyrol" setzte einem Grat über dem Stubaier Gletscher 2009 eine luftig geschwungene Krone aus Stahl auf, der Landhausplatz in Innsbruck wurde zur bewegten steinernen Landschaft. Ihr aus Eigeninitiative entwickeltes Forschungsprojekt "Sustainable Design for Alpine Infrastructures" untersucht, wie erneuerbare Energieträger ein harmonischer Bestandteil der Landschaft werden können. Dafür analysierte LAAC Topografie und Mikroklima alpiner Regionen, in denen sich Photovoltaikpaneele wie elegante Schneeflocken verteilen könnten.

"Viele Seilbahnbetreiber haben Solarpaneele installiert, aber ohne sich die Landschaft vorher anzuschauen", sagt Kathrin Aste. "Man müsste Photovoltaik wie Vegetation behandeln und geeignete Felder dafür definieren, und zwar auch aus der Perspektive des Landschaftsbilds heraus."

Neue Energielandschaften: Photovoltaik-Paneele für hochalpine Landschaften, entwickelt als Forschungsprojekt von LAAC Architekten aus Innsbruck.
Foto: LAAC

In der Photovoltaik sieht Aste mehr Potenzial als in der Windkraft, die in zerklüfteten Felsen wenig effizient ist. Sie bedeute weniger extreme Eingriffe in die Landschaft als die Wasserkraft mit ihren Staukraftwerken.

Paneele auf Almwiesen und Felsen, ist das nicht auch ein Eingriff? Ja und nein, denn unberührt sind die Alpen schon lange nicht mehr. "Die Landschaft ist bereits anthropogen überformt", sagt Aste. "Die Frage ist, wie man möglichst umweltbewusst mit ihr umgeht und wie man sie richtig liest und analysiert. Die Landschaft liefert uns Informationen, und aus diesen Informationen können neue Formen entstehen."

Wie sich die alpine Landschaft umformt und formbar wird, erforscht man am Lehrstuhl des Landschaftsarchitekten Günther Vogt an der ETH Zürich, etwa mit der Installation Common Water – The Alps auf der Architekturbiennale Venedig 2021, die das Schwinden der natürlichen Speicherkapazität im Inneren des "Wasserturms Alpen" sicht- und spürbar machte. Eine klimawandelbedingte Veränderung, die den Wasserhaushalt weit über die Hochalpen hinaus beeinflussen wird.

Doch der Wandel der Landschaft berührt auch die Frage des helvetischen Selbstverständnisses. "Der Bundesstaat Schweiz gründet sich auf der Vorstellung eines Bergmassivs, das alles überdauert", sagt Thomas Kissling vom Lehrstuhl an der ETH. "Jetzt beginnt dieses Massiv sich aufzulösen, und damit ändert sich auch unsere Wahrnehmung. Denn die alpine Landschaft verändert sich unglaublich schnell. Vegetation und Tierwelt wandern, Grenzen verschieben sich, die Urbanisierung nimmt zu, und es gibt immer mehr Ansprüche an den Raum."

Postglazialer Kolonialismus

Diese Veränderung erforschen und entwerfen Vogt und Kissling mit ihren Studierenden derzeit unter dem Titel "Profile der Alpen". Der Vorteil der Hochschule ist, dass Aspekte wie Kantonsgrenzen und die laut Kissling in Bezug auf das Hochalpine sehr rudimentären Rahmenbedingungen der Raumplanung ausgeblendet werden können. "Wir analysieren die großen Zusammenhänge und entwickeln daraus kleine Landschaftsprofile, in denen wir entwerfen. Denn eine Qualität des alpinen Raums liegt in den maximalen Unterschieden zwischen Talschaften, deren Eigenheiten heute kaum noch zu erkennen sind." Kurz gesagt: Mehr Lokalität, aber ohne Provinzialität.

Werden die Alpen im Jahr 2050 ganz schneefrei sein? Nein, so Kissling, jedoch werde sich die Schneegrenze auf circa 2300 bis 2500 Meter verschieben. Das wirbelt auch den Tourismus und seine Begehrlichkeiten durcheinander. "Durch das Abschmelzen der Gletscher werden in der Schweiz insgesamt 800 Quadratkilometer Gelände freiwerden und hunderte neue Seen entstehen", so Kissling.

Um diese neuen Territorien ringen schon Naturschützer, Touristikerinnen und Kraftwerksbauer in einer Art postglazialem Kolonialismus, und der Schweizer Alpen-Club lässt in Studien untersuchen, wo es im Jahr 2050 neue postkartenschöne Landschaftspanoramen geben wird, in denen seine künftigen Berghütten stehen können. (Maik Novotny, 6.2.2023)