Der Henker Jochanaans (Pablo Delgado) legt die Gesichtshaut des getöteten Propheten an und tanzt mit Salome (Malin Byström).

Taylor

Wir sind bei einem Bankett des Herrn Herodes, der mit seinen "Allerliebsten" offenbar seinen Geburtstag feiert. Wohl würde ihn der eine oder andere gerne abgemurkst sehen, um seine Position einzunehmen. Heute Abend werden Mörderintrige und Waffen aber bitte draußen an der Garderobe abgegeben! Lasst uns alles weggrinsen und runtersaufen! Schließlich sind da Fotografen, um Bilder der Ausgelassenheit für die infogeile Außenwelt zu produzieren. Töten könne wir einander später immer noch!

Es hieß nun an der Wiener Staatsoper also tapfer sein und Abschied nehmen von Boleslaw Barlogs jugendstilartiger Fin-de-Siècle-Inszenierung der Salome, in der es keine so zwielichtige Abendgesellschaft gab. Der Version von 1972, bei der Jochanaans Prophetenkopf der Prinzessin auf dem Tablett serviert wird, folgt nun ein Operngelage, das schließlich blutig aus dem Ruder läuft und zu Salomes letztem Abendmahl wird.

Wie sich die Katastrophe anbahnt, zeigt eine Livekamera. Sie fokussiert sich auf die halbversteckte Übergriffigkeit des Stiefvaters Herodes (eindringlich Gerhard Siegel) gegenüber Salome. In Nahaufnahme sieht man ihn ihre Hand begrapschen, während der leere Blick der Angewiderten Langweile und Endzeitstimmung ausdrückt. Salome kennt den Ekelstil dieses Typen. Außerdem hat Herodes ihren Vater ermordet und ihre Mutter Herodias geheiratet (profund Michaela Schuster).

All das würde reichen, Salome zu einer psychisch Schwerverletzten zu deformieren. Offenbar aber, so zeigt es Regisseur Cyril Teste, war da auch früher Missbrauch, was sich später im Tanz der sieben Schleier zeigen wird.

Kuscheln mit dem Scheinvater

Salome ist hier somit kein verwöhntes Girlie, das die Abweisung durch den Propheten nicht erträgt, da sie sonst ja immer alles bekommt. Auch ist Jochanaan nicht einfach nur der Unnahbare, der sich nicht betören lässt. Salome erblickt im Propheten eher den getöteten Vater. Durch die Begegnung mit Jochanaan scheint sie retraumatisiert und kippt psychisch Richtung Selbst- und Fremdzerstörung. Der Ansatz wird plausibel durchinszeniert. Es ist Salome gleichgültig, dass der in sie verliebte Hauptmann, den Daniel Jenz stimmlich profund, szenisch eher starr gibt, Selbstmord begeht. Sie ist längst der Außenwelt abhandengekommen und fantasiert sich an anderer Stelle Sehnsuchtsszenen herbei.

Da kuschelt sich ihr junges Alter Ego (Jana Radda), dem die erwachsene Prinzessin zusieht, an den Propheten heran, als ginge es darum, die idyllischen Vater-Tochter-Szenen, die es nur zu selten gab, im Wahn nachzuer-leben. Das sind eindringliche Momente. Facettenreich wird die Inszenierung aber auch durch Malin Byström. Vokal fehlte es da zwar an Nuancen, wobei in einem Kraftakt die dramatischen Höhepunkte exzellent und bis zum Schluss gelingen. Dazwischen ist jedoch viel Sprechgesang, wenig Wortdeutlichkeit und manch sandiger hoher Ton, der an einen szenisch blass geratenen Propheten gerichtet war. Wolfgang Koch gibt ihn vokal prägnant zumindest in jenen Momenten, da man ihn außerhalb der Zisterne sah.

Tanz als aggressives Kunststück

Wie Byström Richtung selbstzerstörerischer Besessenheit rast, war aber essenziell für den Zusammenhalt der Inszenierung, die im Schleiertanz die Geschichte eines Missbrauchs schildert: Die erwachsene Salome bewegt sich zunächst scheinlasziv. Es bleibt nur ein kurz simulierter Dienst an der Geilheit des Stiefvaters, der ihr hernach den Kopf des Jochanaan wird servieren müssen. Von Takt zu Takt dringt aus Salome immer mehr eine auch autoaggressive Zerstörungswut hervor. Und wenn sie den Tanz schließlich an ein junges Alter Ego übergibt (toll Nachwuchsballerina Anna Chesnova), wird das ganze Drama einer kindlichen Gewalterfahrung sichtbar. Angstdurchschüttelt zitternd kriecht die kleine Salome um den Banketttisch.

Dass im Schleiertanz ein Moschusduft, den Parfümeur Francis Kurkdjian entworfen hat, in Zuschauerreihen versprüht wird, trägt dabei durchaus zur Verdichtung der Atmosphäre bei. Teste hat sich jedoch nie hinter dem Gag einer Duftoper versteckt und gewährt Salome auch eine Art zweiten Tanz, der die Seelenanalyse vertieft. Der blutüberströmte Henker Jochanaans (Pablo Delgado) legt die abgelöste Gesichtshaut des getöteten Propheten als Maske an und wiegt sich mit der entrückten Prinzessin im Rhythmus der Musik, bis Salome in ihrem Delirium niedersinkt. Wange an Wange liegt sie mit dem Rest dessen, was von Jochanaan blieb, am Boden. Der einst blaue Mond über ihr ist längst blutrot.

Richard Strauss’ Besessenheitsoper ist aber nicht nur eine vokale Grenzerfahrung, sondern auch für jene im Orchestergraben. Musikdirektor Philippe Jordan bemüht sich mit dem Staatsopernorchester mitunter vergeblich, die Intensität der Klangmassen mit den Ansprüchen der Ausgewogenheit abzugleichen. Ekstasen wirken oft derb, während die kammermusikalischen Feinheiten immer delikat leuchten. Applaus für ein gutes Gesamtensemble. Wenige Buhs für die Regie und wieder Blumenspenden für Philippe Jordan. Wegen der Gewaltdarstellung wird der Besuch der Vorstellung erst ab 16 Jahren empfohlen.

Der Henker Jochanaans (Pablo Delgado) tanzt mit der entrückten Prinzessin Salome (Malin Byström), während diese das Gesicht des toten Propheten in Händen hält. (Ljubiša Tošić, 3.2.2023)