Im Community-Artikel schreibt Daniel Moser über die koloniale und imperiale Vergangenheit Österreichs und verortet einen akuten Handlungsbedarf.

Während offizielle Entschuldigungen für Verbrechen, die unter öffentlich-staatlicher Verantwortlichkeit während der Ära des modernen Kolonialismus und des Imperialismus begangen wurden, bis dahin vereinzelt, anlassbezogen und fokussiert auf einzelne Phänomene erfolgt sind, hat sich im zweiten Halbjahr des Jahres 2022 eine eigene Dynamik an öffentlichen Entschuldigungen für koloniale und imperiale Verbrechen in Europa eingestellt.

Während im Juni 2022 der belgische König Philippe noch lediglich ein Bedauern über die Ausbeutung, die Gewalt und den Rassismus im Freistaat Kongo, einem De-facto-Privatbesitz des belgischen Königshauses Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, ausgedrückt hat, haben sich seitdem die Stadt Edinburgh und die niederländische Regierung für die ihrerseitige Verantwortlichkeit für Kolonialismus, Sklaverei und Rassismus entschuldigt. Nicht mehr ein Phänomen wie etwa ein bestimmter Kunstraub oder ein unmoralisches soziales Experiment stand im Vordergrund dieser Entschuldigungen, sondern die gesamte kollektive Verantwortlichkeit für vergangene Verbrechen. Die Entschuldigungen können auch nicht auf einen bestimmten Anlass wie eine bestimmte Konferenz und ein bestimmtes Treffen auf politischer Ebene zurückgeführt werden, sondern sind von sich aus erfolgt.

Andere Länder haben sich in den letzten Jahren mit ihrer kolonialen und imperialen Vergangenheit auseinandergesetzt. In Österreich ist bisher noch keine offizielle Entschuldigung für Taten vor 1918 ausgesprochen worden.
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Eine rollende Lawine

Die Entschuldigungen dieser politischen Verantwortungsebenen kam jedoch nicht von ungefähr. Als Folge der Armenienresolution des Deutschen Bundestages im Jahr 2016, welche die Vertreibungen und den Massenmord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten im Osmanischen Reich in den Jahren 1915 und 1916 als Genozid bezeichnete und neben dem Osmanischen Reich auch die Rolle des Deutschen Reiches dabei verurteilte, wurde die Bundesrepublik Deutschland gezwungen, auch den Genozid an den Herero und Name im damaligen Deutsch-Südwestafrika in den Jahren 1904 bis 1908 anzuerkennen und dafür Entschädigungen zu leisten, was auf offizieller Ebene im Mai 2021 erfolgte.

Parallel dazu bemühte sich die im Jahr 2007 gegründete Benin-Dialog-Gruppe darum, dass afrikanische Kunstschätze, die sogenannten Benin-Bronzen, welche im Jahr 1897 durch die Britische Armee gewaltsam in Benin City (Nigeria) entwendet und nach Europa verbracht wurden, restituiert werden. Nach der britischen Regierung im Jahr 2018 hat sich im Jahr 2021 auch die deutsche Bundesregierung dazu verpflichtet Benin-Bronzen zu restituieren. Zeitgleich hat sich auch die Republik Frankreich unter der Führung von Präsident Macron der Restitution von gewaltsam entwendeter afrikanischer Kunst verschrieben, was im Jahr 2020 auch gesetzlich verankert wurde.

Die Verantwortung Österreichs

Die Republik Österreich stellt neben der Republik Ungarn eine der beiden rechtlichen Nachfolgestaaten der österreichisch-ungarischen Monarchie dar, womit sich die Frage stellt, welche Verwerflichkeiten der Habsburgermonarchie im Zusammenhang mit Kolonialismus, Imperialismus, Sklaverei und Kunstraub im Ausland zu Last gelegt werden können.

Hierbei lässt sich etwa ein Teil der österreichischen Mitverantwortung für Sklaverei und Kolonialismus bereits auf die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts zurückdatieren, als der Habsburger Karl V sowohl die Habsburgischen Erblande um das heutige Österreich herum als auch Kastilien und die dazugehörenden Überseegebiete auf den amerikanischen Kontinenten erbte, wo zu dieser Zeit die Versklavung von Afrikanern und Afrikanerinnen betrieben wurde. Ein Relikt dieser Ära ist auch die Tatsache, dass sich die weltberühmte Federkrone Moctezumas heute in Wien befindet, die jedoch trotz Anfragen von mexikanischer Seite wegen ihrer Fragilität nicht nach Mexiko zurückgebracht werden kann.

Jedoch auch in der Hochphase der Imperialismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben Österreicher und Österreicherinnen ihre Spuren hinterlassen. So hat der Österreichische Lloyd, eine ab 1833 in Triest situierte Reederei, in dieser Zeit Sklaven und Sklavinnen in das Osmanische Reich transportiert. Einzelne Österreicher waren auch zum Teil in fremden Diensten bei der europäischen Eroberung und Kolonisation Afrikas beteiligt, wie etwa in britischen Diensten bei der Eroberung und Kolonisation des Sudan einschließlich der Niederschlagung des Mahdi-Aufstandes. Schließlich war ein Vertreter Österreich-Ungarns auch bei der Berliner Westafrika-Konferenz 1884 und 1885 anwesend, wo Österreich-Ungarn zwar kein eigenes Kolonialgebiet in Afrika, jedoch Schifffahrtsrechte zugesprochen bekam.

Dadurch lässt sich auch erklären, warum sich heute hunderte Objekte afrikanischen Ursprungs in österreichischen Museen befinden, von denen unklar ist, ob sie legal erworben wurden oder nicht. Eine international besetzte Kommission soll im Frühjahr 2023 eine Empfehlung abgeben, was mit diesen Objekten geschehen soll.

Unentschuldigte Kriegsverbrechen

Die imperiale Vergangenheit Österreich-Ungarns ist jedoch nicht allein durch potentiell geraubte Kunst belastet, sondern auch durch die Tatsache, dass einzelne Habsburg'sche Besitzungen in Süd- und Osteuropa vom Zentrum der Macht aus de facto als Kolonien betrachtet wurden, wie etwa Galizien, die Bukowina oder, sehr exemplarisch dafür, Bosnien und Herzegowina.

So lässt es sich auch erklären, dass bereits kurz nach der Annexion Bosnien-Herzegowinas durch Österreich-Ungarn im Jahr 1908 dort Schutzkorps rekrutiert wurden mit dem Auftrag, potentiellen Aufruhr zu unterdrücken. Diese Schutzkorps waren nach dem Ausbruch des 1. Weltkrieges im Jahr 1914 auch für die Inhaftierung von tausenden und Exekutierung von hunderten Serbinnen und Serben verantwortlich. Jedoch nicht allein dort kam es während dem Ersten Weltkrieg zu österreichisch-ungarischen Kriegsverbrechen. Nach der Okkupation von Serbien im Jahr 1915 wurden bis zu 200.000 Serbinnen und Serben in Gefangenenlager verbracht. Insgesamt wird geschätzt, dass bis zu 40.000 von ihnen während dem Krieg, zum Teil durch Hunger oder Seuchen, um ihr Leben gekommen sind. Allein im Gefangenenlager in Mauthausen bei Linz, wo während des Ersten Weltkriegs neben Serbinnen und Serben auch Kriegsgefangene aus Italien und Russland interniert waren, sollen bis zu 7.000 von ihnen ihr Leben gelassen haben.

Handlungsbedarf

Die Institutionen der Republik Österreich wären gut beraten, sich um Entschuldigung von imperialen Verbrechen, die in der Zeit vor dem Jahr 1918 begangen wurden, zu bemühen und, wenn überhaupt noch möglich, irgendeine Form von Entschädigung. (Daniel Moser, 6.2.2023)