"Heute.at" hat mit der Veröffentlichung von Chatnachrichten den Persönlichkeitsschutz und die Intimsphäre von Susanne Thier verletzt. Sie ist die Lebensgefährtin von Ex-Kanzler Sebastian Kurz.

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Wien – Die Gratiszeitung "Heute" hat auf ihrem Onlineauftritt "heute.at" mit der Berichterstattung über Chatnachrichten der Lebensgefährtin von Altkanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gegen den Ehrenkodex für die österreichische Presse verstoßen. Der Bericht verletzt nach Ansicht des Presserats den Persönlichkeitsschutz und die Intimsphäre Susanne Thiers.

In dem im Oktober 2022 erschienenen Bericht rund um Ermittlungsergebnisse in der Chatcausa ging es um den Vorwurf des Ex-Öbag-Chefs Thomas Schmid, wonach Altkanzler Sebastian Kurz über ihn ungerechtfertigt eine Gehaltserhöhung und Bonuszahlungen als Mitarbeiterin im Finanzministerium (BMF) für seine Lebensgefährtin erwirkt haben solle. Die Zahlungen seien aber nach gleichbleibendem Schema an alle Abteilungsbediensteten derselben Planstellenstufe erfolgt.

Unerhebliche Nachrichten

Niedriger eingestufte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten zwar proportional weniger Bonusgelder erhalten, doch sei eine direkte Bevorzugung nicht ersichtlich, hieß es in dem Bericht. Im Zuge der Berichterstattung wurde in dem Artikel aus mehreren Chatnachrichten zwischen Susanne Thier und ihrer Arbeitskollegin zitiert. Ein Leser wandte sich an den Presserat und kritisierte die im Beitrag zitierten Chats, da es sich seiner Meinung nach dabei um höchstpersönliche, völlig unerhebliche Nachrichten handle.

"Heute" verteidigt Vorgehensweise

"Heute" nahm am Verfahren teil, wobei Chefredakteur Christian Nusser ausführte, dass mit Blick auf die Beschuldigtenvernahmen von Thomas Schmid ein öffentliches Interesse an der Causa bestanden habe. Hinzu komme, dass Thier im Finanzministerium aus Steuermitteln bezahlt werde, das BMF habe sich selbst zu Wort gemeldet und Kurz den Gehaltszettel seiner Lebensgefährtin gegenüber Medien offengelegt. Der Faktencheck all dieser Behauptungen sei der Redaktion dann einige Tage später anhand eines Aktenvermerks der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gelungen, nämlich dass eine direkte Bevorzugung Thiers nicht ersichtlich sei. Um diesen Aspekt näher zu erläutern, habe sich das Medium einiger weniger, sorgfältig ausgewählter Chatnachrichten Thiers bedient; diese würden zeigen, dass sie im BMF keine Sonderbehandlung erhalten habe, sondern vielmehr darunter gelitten hätte, so der Chefredakteur.

Privatbereich

Der Senat hielt zunächst fest, dass der Artikel ein für die Allgemeinheit wichtiges Thema betrifft, nämlich mutmaßliche Interventionen im Finanzministerium zugunsten der Lebensgefährtin des damaligen Bundeskanzlers. Weiters stimmte der Senat mit dem Chefredakteur darin überein, dass Thier weniger Persönlichkeitsschutz als eine reine Privatperson genießt: Obwohl ihre Position nicht vergleichbar mit der ihres Lebensgefährten ist, war auch sie während der politischen Tätigkeit von Sebastian Kurz in den Medien regelmäßig präsent. Dennoch sei ihr ein Privatbereich zuzugestehen, in dem sie sich unbeobachtet fühlen kann und den die Medien respektieren müssen.

So vertrat der Senat die Auffassung, dass der erste Teil des Artikels über das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft aus medienethischer Sicht nicht zu beanstanden ist. Im zweiten Teil, in dem aus Chatnachrichten zitiert wurde, überwiege aber der private Charakter; für die strafrechtlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft seien sie nicht relevant.

Wortgetreue Wiedergabe als Problem

Demnach wäre es "zumindest erforderlich gewesen, die vorliegenden Chats auf eine sachliche Art und Weise zusammenzufassen", wie es heißt. Die wortgetreue Wiedergabe der Chatnachrichten über die Arbeitskollegen und den Vorgesetzten könne jedenfalls das berufliche Fortkommen von Susanne Thier negativ beeinträchtigen.

Der Presserat forderte "Heute" dazu auf, freiwillig über den Ethikverstoß zu berichten. Überdies merkt der Senat kritisch an, dass der Beitrag online nach wie vor unverändert abrufbar ist, und empfiehlt eine Anpassung im Sinne der vorliegenden Entscheidung. (APA, 3.2.2023)