Beyoncé in Pose: Sein und Schein des Popstars klafften zuletzt auseinander.

Foto: Sony Music

Wenn Beyoncé sich am Sonntag für die Grammys schön macht, ist es Routine für sie. Insgesamt 28 solcher Trophäen hat sie schon gewonnen, ebenso viele wie das Multitalent Quincy Jones, aber der ist mit 89 Jahren mehr als doppelt so alt wie die 41-jährige Musikerin. Dennoch gelang ihr bisher nur ein Sieg in einer Topkategorie, noch nie gewann sie in der Kategorie "Album des Jahres".

Quincy Jones wird sie bei der Gala in der Crypto.com-Arena in Los Angeles wohl hinter sich lassen: Beyoncé ist in neun von 91 Kategorien nominiert. Dahinter steckt mehr als nur eine erfolgreiche Musikerin. Die 1981 in Houston, Texas, als Beyoncé Giselle Knowles Geborene ist ein Popphänomen, das die Grenzen der Unterhaltungsindustrie längst überschritten hat. Sie und ihr Mann Shawn Corey Carter, der Rapper und Musikmogul Jay-Z, sind in der Popkultur, was Michelle und Barack Obama in der Politik waren: eine gesellschaftspolitische Kraft.

Role-Model ...

Beim Inaugurationsball Obamas 2009 wurde das allen deutlich vor Augen geführt. Das erste Tänzchen des First Couple der USA wurde begleitet von Beyoncé, die den von Etta James unsterblich gemachten Titel At Last sang – endlich! Es war ein Triumph für alle Schwarzen – und Beyoncé war live dabei, okay, Playback, aber sie war der dritte Star des Augenblicks.

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Beyoncés Karriere begann in den 1990ern mit der enorm erfolgreichen Girlgroup Destiny’s Child. 2003 zeigte sie mit ihrem Debüt Dangerously in Love erstmals Abspaltungstendenzen. 2004 hieß das finale Album der Gruppe Destiny Fulfilled, seit damals veröffentlichte Beyoncé sechs eigene Alben. Das im Vorjahr erschienene und von Publikum und Kritik gleichermaßen umarmte Renaissance könnte ihr am Sonntag eine Grammy-Dusche bescheren. Für die Fans des Queen Bey gerufenen Stars, die Bey-Hives, stehen ihr die alle zu.

... Marke ...

Beyoncé ist eine Marke. Neben den dahinter versammelten wirtschaftlichen Unternehmen, die Musik, Film, Design oder Mode abdecken, ist sie zudem eine Art lebendiges Statement geworden.Beyoncé ist nah- und unnahbar zugleich. Sie vereint in sich den übersexualisierten Popstar und die liebende Mutter dreier Kinder, die die Familie und die Rolle der Frau darin neu definiert hat. Sie gilt als feministisches Role-Model, das Selbstbestimmung, Sexyness und Erfolg personifiziert. Die Zeit dafür nimmt sie sich.

Beyoncé

Bei einem Haushaltsvermögen von über einer Milliarde Dollar können gewisse Alltagsbelastungen wie Kochen oder Zehennägelschneiden natürlich ausgelagert werden. Hinzu kommt, dass Jay-Z offenbar kein Problem damit hat, wenn die Mehrzahl der Scheinwerfer auf Beyoncé gerichtet ist. Die Anerkennung der Marke ist universell. Fehlen eigentlich nur noch ein paar Grammys in Topkategorien.

Das blieb ihr bisher verwehrt. Deshalb stürmte 2009 der Rapper Kanye West bei der Verleihung des Musikpreises die Bühne, um der Welt mitzuteilen, dass es falsch sei Taylor Swift statt Beyoncé auszuzeichnen. 2015 protestierte er wieder – aus Unmut gegen eine Entscheidung zugunsten von Beck. Und als die Britin Adele zwei Jahre später den Preis für das "Album des Jahres" gewann, war es ihr richtig unangenehm. Es bleibt spannend für Beyoncé.

... Aktivistin ...

Die setzt sich mit und ohne Musik für die Black-Lives-Matter-Bewegung ein. Als sie 2016 beim Superbowl auftrat und dort den Song Formation mit Anleihen an die Black Panther Party aufführte, empörte das konservative Politiker und die Polizei. Beyoncé stellte klar, nicht mit der Polizei habe sie ein Problem, aber mit Polizeibrutalität.

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Das macht sie zu einer Advokatin der Bewegung, ebenso wie ihr Lied Black Parade, das auf den Schwarzen George Floyd Bezug nahm, der von einem weißen Polizisten getötet wurde. Doch nicht immer bringt sie alles so auf den Punkt.

Als sie 2020 einen Musikfilm zu ihrem Album The Lion King: The Gift drehte, geriet das Ergebnis in die Kritik. Black Is King, so der Titel, strotzte vor Banalitäten. Dabei sollte der Film "die Vielfalt und Schönheit des schwarzen Kulturerbes feiern", wie Beyoncé mitteilte. Herausgekommen war eine Kitschorgie, die sich derselben Afrikaklischees bediente, die der weiße Blick auf den Kontinent oft zeitigt. Dazu geriet der Film als Aneinanderreihung verschiedener Szenerien ohne Dialoge etwas unterkomplex.

... oder nur eine Heuchlerin?

Der jüngste Kratzer am Image entstand vor zwei Wochen. Da gab Beyoncé für eine kolportierte Gage von 24 Millionen Dollar ein privates Konzert in Dubai. Ausgerechnet. Dass sie als Fürsprecherin für Geschlechter- und Minderheitengerechtigkeit in einem Land auftrat, in dem Homosexualität unter Strafe steht, mündete in Vorwürfe, sie sei auch nur eine käufliche Heuchlerin. Zumal ihr Album Renaissance eine Hommage an die Clubkultur ist, in der sexuelle Minderheiten Wesentliches geleistet haben.

Sein und Schein klaffen da auseinander – immerhin hat sie mit dem Konzert einen neuen Weltrekord aufgestellt: 24 Millionen für 19 Songs; das gab es vorher noch nie. Den nächsten Rekord könnte sie am Sonntag brechen.

Sollte sie vier Kategorien gewinnen, würde sie den bisherigen Rekordhalter, den 1997 gestorbenen Dirigenten Georg Solti, überholen. Nachdem der Musikindustriepreis meist seine Zugpferde bedenkt, ist das möglich. Wenn nicht, könnte West zum dritten Mal die Bühne stürmen. Auch das wäre ein Rekord. (Karl Fluch, 5.2.2023)