
Die Uni Graz ortet nach einer Überprüfung keinen Anlass zur Skepsis gegenüber einem Professor, der mehrfach zu Konferenzen eines obskuren Anbieters von "Fake-Science" beitrug. Er selbst erinnert sich an "sehr interessante" Fachdiskussionen.
Es kommt normalerweise nicht vor, dass Professoren ihren akademischen Lebenslauf kürzen. Aus der wissenschaftlichen Vita von Rudolf Egger, dem Dekan der Bildungswissenschaftlichen Fakultät an der Universität Graz, mussten jüngst aber gleich mehrere Einträge zu Konferenzteilnahmen und Publikationen gelöscht werden, die er zuvor im universitären Forschungsportal aufgelistet hatte. Diese Maßnahme hatte die Österreichische Agentur für Wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) der Uni in einem Schreiben empfohlen, nachdem beide Institutionen einen anonymen Hinweis zu fragwürdigen Aktivitäten Eggers erhalten hatten. Dem STANDARD wurden die Schriftstücke zugespielt, auch die "Kleine Zeitung" berichtete.
Geschäftsmodell ohne Qualitätskontrolle
Es geht dabei um Konferenzen in Neu-Delhi, Mumbai und San Francisco, an denen Egger zwischen 2015 und 2017 nach eigenen Angaben teilnahm. Veranstaltet wurden all diese Tagungen von der World Academy of Science, Engineering and Technology – kurz: Waset. Glaubt man der Webseite der Waset, organisiert sie jährlich zigtausende wissenschaftliche Konferenzen in aller Welt, meist werden hunderte Veranstaltungen in zahllosen Fachgebieten zur selben Zeit am selben Ort angeboten.
Waset, das haben vor einigen Jahren umfassende internationale Medienrecherchen aufgezeigt, ist ein wichtiger Player in der Welt der "Fake-Konferenzen" und Raubverlage. Hinter ihren Tagungen und Zeitschriften steht keinerlei seriöse Qualitätskontrolle. Wer eine Gebühr für Teilnahme und Veröffentlichung zahlt, kann dort so gut wie alles präsentieren und publizieren. Auch absurde Beiträge gelangten im Rahmen der damaligen Recherchen problemlos durch die vorgegaukelten Peer-Reviews, die Vorträge erwiesen sich mitunter als inhaltlich wild zusammengewürfelt.
Manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehen darin wohl einen schnellen Weg, um bei oberflächlicher Betrachtung "wissenschaftliche" Beiträge vorweisen zu können und so dem eigenen Fortkommen auf die Sprünge zu helfen. Andere ahnen womöglich erst nichts vom dubiosen Geschäftsmodell, lassen sich von den klingenden Titeln der Veranstaltungen blenden und kommen in der Hoffnung auf seriösen fachlichen Austausch. Bei seinen Konferenzen habe sich diese Hoffnung tatsächlich jedes Mal erfüllt, sagt Dekan Egger zum STANDARD: "Ich bin wegen der inhaltlichen Diskussionen hingefahren, und die waren immer sehr interessant und fruchtbar. Mir ist überhaupt nichts Ungewöhnliches bei den Konferenzen aufgefallen."
Er habe erst viel später erfahren haben, dass die Waset Fake-Konferenzen mache – die organisatorische Struktur im Hintergrund samt Ablauf der Qualitätskontrolle habe er seinerzeit nicht hinterfragt: "Was im Gesamten bei Waset passiert ist, übersteigt meine Wahrnehmung. Ich kann nur für die Veranstaltungen sprechen, bei denen ich dabei war, und die waren sehr gut." Er verstehe aber, dass das Bild aus heutiger Perspektive problematisch sei und eine Entfernung solcher Beiträge aus dem Uni-Forschungsportal – wie von der ÖAWI angeregt – geboten gewesen sei.
Professor sei "hereingefallen"
Die Uni Graz erklärt, dass "im Nachhinein betrachtet und mit dem heutigen Wissen" eine Teilnahme ihrer Forscherinnen und Forscher an Waset-Konferenzen ausgeschlossen wäre, weil dies mit den Standards der wissenschaftlichen Integrität unvereinbar sei. Jedoch habe es zu Zeiten von Eggers betroffenen Konferenzbesuchen 2015 bis 2017 – zumal das vor den großen Medienberichten 2018 war – noch kein großes Bewusstsein für das System von Fake-Science und deren obskure Anbieter gegeben. Egger sei, meint die Uni, "offensichtlich hereingefallen und wurde getäuscht".
Eine interne Untersuchung im Herbst 2022, zu der auch die ÖAWI geraten hatte, habe "keinen Anlass zu Skepsis" gegenüber dem Professor ergeben. Egger wurde sogar kurz nach dem Aufkommen der Vorwürfe vom Rektorat auf Vorschlag der Fakultät erneut zum Dekan erkoren. Auch ein Rücktrittsangebot habe der Rektor abgelehnt, sagt Egger und betont, dass er die Professorinnen und Professoren seiner Fakultät transparent über die Vorwürfe gegen sich informiert habe.
Uni zahlte 4.000 Euro an Reisekosten
Die Kosten, die Egger seiner Hochschule für die drei Besuche von Waset-Veranstaltungen in Indien und in den USA verrechnet hatte, wird er der Uni trotz der nunmehrigen Löschung aus dem Forschungsportal nicht zurückzahlen. Es gehe ihm nicht ums Geld, doch eine Rückzahlung könne "wie ein Schuldeingeständnis klingen, und darum tue ich mir schwer".
Die Uni Graz schreibt auf STANDARD-Anfrage, dass es sich insgesamt um rund 4.000 Euro handle, die aus dem Budget der Fakultät – öffentlich finanziert – als Reisekostenzuschüsse an Egger geflossen seien. Man habe sich entschieden, diese Kosten auch jetzt nicht von ihm zurückzufordern, da er glaubhaft nichts vom dubiosen Wesen der Konferenzen gewusst habe. Auf der allgemeineren Ebene seien in Reaktion auf die Causa jüngst allerdings die Qualitätsmechanismen verschärft worden, um Fake-Journals besser zu enttarnen und fragwürdige Beiträge gar nicht erst ins Forschungsportal aufzunehmen. (Theo Anders, 7.2. 2023)