Die Haare auf dem Oberkopf haben bei Männern häufig mehr Hormonrezeptoren als jene an den Seiten, weshalb oft eine Scheitelglatze entsteht.

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Schönheitsideale verändern sich, aber eines bleibt geschlechtsunabhängig hartnäckig bestehen: volles Haar. Viele fühlen sich deshalb unwohl, sind womöglich besorgt, wenn sich in der Bürste übermäßig viele Haare sammeln oder sich diese großzügig auf dem Badezimmerboden verteilen.

Dabei sind ausfallende Haare grundsätzlich normal, das hat mit den unterschiedlichen Phasen im Haarzyklus zu tun. Es beginnt mit der Wachstumsphase, die meist mehrere Jahre dauert. Nach einer Übergangsphase kommt der Haarfollikel in eine Ruhephase, das Haar fällt aus. Nach rund drei Monaten beginnt der Zyklus von vorn. Zwischen 60 und 100 Haaren täglich zu verlieren ist völlig normal, erst wenn es über 200 werden, spricht man von Haarausfall. Wobei auch diese Zahl wenig aussagt. "Man merkt Haarausfall erst, wenn schon über ein Drittel der Haare verloren ist", sagt Johannes Griss, Leiter der Haarambulanz am AKH Wien.

Meist ist Haarausfall erblich bedingt. Frauen verlieren dabei am gesamten Kopf an Haardichte, bei den Männern lichtet es sich am Oberkopf. Das kommt wahrscheinlich daher, dass die Hormonrezeptoren auf den Haaren nicht gleichmäßig verteilt sind. Jene auf dem Oberkopf haben mehr Rezeptoren als jene an den Seiten. Auch Frauen können von erblich bedingtem Haarausfall betroffen sein, allerdings beobachtet man diese Form häufiger bei Männern. "Das hängt wohl mit Testosteron zusammen", sagt Griss.

Koffeinprodukte bringen nichts

Wer gegen den Haarausfall angehen will, findet eine Vielzahl an Produkten in den Geschäftsregalen, Shampoos mit Koffein reihen sich dort an Tinkturen mit Ginsengextrakt. Aber das ist reines Marketing, sagt Griss. Kein Anbieter kann in seriösen Studien nachweisen, dass das Mittel funktioniert: "Es gibt nicht einmal Anhaltspunkte, dass das irgendeine Wirkung hat."

Anders ist es bei Minoxidil. Das wurde ursprünglich als Blutdruckmedikament formuliert. In der Zulassungsstudie hatten dann alle Probandinnen und Probanden die Nebenwirkung, dass die Haare auf dem ganzen Körper wuchsen, weshalb das Medikament nicht auf den Markt kam. "Es wurde dann umformuliert und ist bis heute das einzig klinisch bewiesene Haarwuchsmittel", berichtet Griss. Und das ohne relevante Nebenwirkungen.

Wirkungsmechanismus ungeklärt

Durch welchen Mechanismus Minoxidil die Haare wachsen lässt, ist noch nicht geklärt. Womöglich fördert es die lokale Durchblutung, oder das Medikament blockiert den Hormonrezeptor. Der erblich bedingte Haarausfall bleibt dabei bestehen, Minoxidil hemmt ihn lediglich bei regelmäßiger Anwendung, ein- bis idealerweise zweimal täglich, lebenslang. Der Wirkstoff wird als Lösung oder Schaum lokal aufgetragen und ist rezeptfrei. Je früher man ihn einsetzt, desto besser. Griss erklärt: "Minoxidil stoppt den Haarausfall in etwa 90 Prozent der Fälle, bei 50 Prozent wachsen die Haare nach."

Minoxidil wird als Lösung oder Schaum lokal aufgetragen.
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Ein anderer, vieldiskutierter Wirkstoff gegen Haarausfall ist Finasterid. Das Mittel in Tablettenform wird eigentlich bei Prostatakrebs eingesetzt und hemmt die Testosteronproduktion. Es kann allerdings zu einer irreversiblen Impotenz führen. Griss verschreibt den Wirkstoff deshalb nicht: "Ich schätze das Risiko zu hoch ein."

Bei Spironolacton ist es ähnlich. Das ist eigentlich ein Blutdruckmittel, das das Hormongleichgewicht verändert. "Dem gegenüber bin ich offener, aber auch hier sind die Daten nicht überzeugend. Die besten Daten gibt es für Minoxidil."

Eine andere Option ist die Haartransplantation – vor allem, wenn der Haarverlust schon weit fortgeschritten ist. Dabei werden Haare aus Bereichen, wo das Haar noch dichter ist, entnommen und an anderer Stelle eingesetzt. Weil die "neuen" Haare dadurch keinen Hormonrezeptor haben, sind die Ergebnisse dauerhaft.

Verbesserte Transplantation

In den vergangenen Jahren hat sich die Technik verändert, berichtet der plastische Chirurg Alexandre Pallaoro: "Früher wurde die Kopfhaut mitentfernt, man hatte eine lange Narbe, das war mit größerem Risiko verbunden. Jetzt wendet man FUE an, da sind die Narben minimal." FUE steht für "Follicular Unit Extraction". Follikuläre Einheiten inklusive Haarwurzeln werden aus der Haut extrahiert und am gewünschten Ort wieder eingesetzt. "Mit dieser Technik ist die Haardichte im Spenderbereich nur minimal reduziert", sagt Pallaoro.

Ob man von erblich bedingtem Haarausfall betroffen sein wird, kann man im Vorhinein übrigens nicht sagen. Ein Blick auf die Köpfe der Eltern kann Aufschluss geben, muss aber nicht. "Manche haben mit 20 eine Glatze, andere bekommen erst mit 80 schütteres Haar. Die Natur ist einfach unfair", sagt Griss. (Magdalena Pötsch, 6.2.2023)