Heide Schmidt, die Gründerin des Liberalen Forums, blickt in ihrem Gastkommentar zurück auf die Anfänge und fragt, wie es die Politik heute hält.

Es war ein mittleres Erdbeben, das unsere Pressekonferenz am 4. Februar 1993 auslöste. Fünf Abgeordnete, Thomas Barmüller, Friedhelm Frischenschlager, Hans Helmut Moser, Klara Motter und ich, gaben bekannt, aus der FPÖ auszutreten und die erste liberale Partei Österreichs zu gründen, das Liberale Forum. Wenige Tage zuvor hatten 300.000 Menschen mit einem Lichtermeer auf dem Heldenplatz gegen ein Volksbegehren demonstriert, das sich unter dem Titel "Österreich zuerst" mit dem Zuzug von Ausländerinnen und Ausländern und ihrer Stellung im Land befasste.

Die Gründung des Liberalen Forums (LIF) wird bei einer Pressekonferenz am 4. Februar 1993 bekanntgegeben: Thomas Barmüller, Klara Motter, Heide Schmidt, Friedhelm Frischenschlager und Hans Helmut Moser (v. li.).
Foto: Rudolf Semotan

Es war der Tropfen, der auch für uns fünf das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Unser Versuch, in und mit der FPÖ liberale Politik zu machen – immerhin war sie zu diesem Zeitpunkt noch Mitglied der Liberalen Internationale –, stellte sich endgültig als Irrweg und undurchführbar heraus. Stimmung gegen Menschen zu machen sollte nicht nur für Liberale unerträglich sein. In Bayern bediente zu dieser Zeit die bürgerliche CSU mit Edmund Stoiber die Ausländerfeindlichkeit, in Sachsen und Mecklenburg kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen, ein Asylwerberheim brannte. Die Fernsehbilder der ungerührten Zuschauerinnen und Zuschauer haben sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Jörg Haider machte damals das "Ausländerthema" zum neuen Markenkern der FPÖ, bis heute gewinnt sie damit Wahlen und liegt in Umfragen im Bund auf dem ersten Platz.

"Würde man nur Dinge anpacken, deren Erfolg sicher ist, wäre der Entwicklungsstand der Welt ein anderer."

Parteien erklären es als ihr Demokratieverständnis, sie als potenziellen Koalitionspartner ins Auge zu fassen. In Deutschland ist als Pendant zur erfolgreichen FPÖ die AfD entstanden. Mit ihr allerdings will niemand koalieren. Wir haben zwar eine vergleichbare Geschichte, aber unterschiedlich aus ihr gelernt. Wie aber geht man wirklich mit einer Partei um, die über den Zuspruch eines Viertels der Wählerschaft verfügt? Parlamentarisches Respektieren und zusammenzuarbeiten ist für mich ein Selbstverständnis. Eine Regierungszusammenarbeit aber ist etwas anderes. Die Zahl der Stimmen entscheidet zwar über die Durchsetzbarkeit, aber nicht über richtig und falsch. Ich halte den Satz "Die Demokratie hat immer recht" für dumm und eine vordergründige Ausrede aus der Schublade "Ich habe nur meine Pflicht getan". Zugleich weiß ich, dass im einen wie im anderen Fall die Sache nicht so einfach ist.

Eine Partei aus Koalitionsüberlegungen auszuschließen engt jedenfalls nicht nur den Spielraum ein, sondern muss auch vor der einschlägigen Wählerschaft demokratiepolitisch so argumentiert werden, dass nicht noch größerer Schaden angerichtet wird. Schon die Ankündigung des Bundespräsidenten, ihr keinesfalls einen Regierungsbildungsauftrag zu geben, hat angeblich zu einem Stimmenzuwachs bei der eben abgehaltenen Niederösterreich-Wahl geführt.

Abgrenzung reicht nicht

Die Abgrenzung allein wird jedenfalls nicht reichen. Kontraproduktiv wird es, wenn FPÖ-Politik einfach als die eigene verkauft wird. Dieses Blendwerk der jüngsten Zeit ist nur ein Saisonverkaufsschlager, der Ablaufdatum und üble Nachwirkungen hat. Notwendig ist vielmehr eine inhaltliche Auseinandersetzung. Nur sie kann Einsichten bringen, Zusammenhänge klarmachen und Überzeugungsarbeit leisten. Dies ist zwar die mühsamste aller Varianten, hat nicht einmal eine Erfolgsgarantie, aber sie bringt Erkenntnisgewinn über die Haltungen aller Parteien, also die Grundlage für künftiges Wählen.

Würde man nur Dinge anpacken, deren Erfolg sicher ist, wäre der Entwicklungsstand der Welt ein anderer. Man packt an, wenn man etwas für richtig und notwendig hält. Wir haben eine liberale Partei gegründet, weil wir dringenden Bedarf sahen. Nicht nur wegen des "Ausländervolksbegehrens". Bürokratische Überregulierung, ein festgefahrenes, geschlossenes Bildungssystem, die zum Teil sogar gesetzlich festgeschriebene Diskriminierung der Frau sowie homosexueller Menschen und als Folge von alldem eine Gesellschaft, in der Eigeninitiative, Individualismus und Selbstbestimmung denkbar schlechte Karten hatten.

Blaue Stimmungsmache 1993: Ein Zuhörer während einer Kundgebung Jörg Haiders anlässlich des "Österreich zuerst"-Volksbegehrens der FPÖ.
Foto: Ulrich Schnarr / APA-Archiv / picturedesk.com

Dazu kam, dass sich SPÖ und ÖVP das Land aufgeteilt hatten: Arbeitsplatz, Aufstiegschancen, Aufträge, Wohnung – alles hing allzu oft vom richtigen Parteibuch ab. So gewöhnte man die Menschen an Korruption, die bei uns verharmlosend Parteibuch- und Freunderlwirtschaft genannt wurde und bis heute wird. Das erklärt, warum sich das Entsetzen über Ibiza-Video und Chat-Protokolle bei manchen in Grenzen hielt, kleingeredet wurde und ranghohe Politikerinnen und Politiker den Mangel an Problembewusstsein selbstbewusst zur Schau zu stellen wagen.

Ich blicke 30 Jahre zurück, freue mich über unsere kleinen und großen Erfolge, den demokratiepolitischen Fußabdruck, den wir hinterlassen haben und dass es wieder eine liberale Partei im Parlament gibt. Früher hat man Menschen, die – bestenfalls – als "anders" bezeichnet wurden, in ihren Rechten beschnitten und zur Anpassung gezwungen. Ich erinnere mich an unseren Kampf um die rechtliche Gleichstellung homosexueller Menschen und dass wir wussten, damit Stimmen zu verlieren. Wir haben es in Kauf genommen.

Warm- und Hartherzige

Heute gewinnt man Stimmen, wenn man gegen "Andere" mobilisiert. Das Sterben-Lassen auf dem Meer und an den Grenzen ist staatlich organisiert und hat den euphemistischen Namen Grenzschutz. Die Aufgabe des Rechtsstaates wird als zulässiges Mittel politischen Handelns vorgeführt – Dehumanisierung als politische Lösung. Auch das ist der Stoff, aus dem rechte Wahlerfolge gewebt sind. Ich frage mich, was die Politik aus der Zeit gelernt hat. Ich lese Armin Thurnher, der mit Blick auf das Lichtermeer meint, die Warmherzigen hätten zwar damals gewonnen, aber heute würden die Hartherzigen triumphieren. Die wichtigste Frage angesichts grassierender Umfragen aber scheint mir: Was hat die Wählerschaft gelernt? (Heide Schmidt, 4.2.2023)