Er hätte nie gedacht, dass es so weit kommen werde, sagt Arno Pichler. Der Tag, an dem er seinen Mitarbeitern eröffnen musste, dass er seine Filialen nicht weiterführen könne, sei der schlimmste seines Lebens gewesen. "Ich stehe immer noch neben der Spur."

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Im Keller vieler Österreicher liegt nagelneue Skitourenausrüstung. Der Boom im Handel ist vorbei.
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Pichler ist Eigentümer der Sporthandelskette Northland. Sein Vater, der als Bergführer auf den höchsten Bergen der Welt unterwegs war, legte 1973 in Graz den Grundstein für die weltweite Expansion. Mit Outdoorausrüstung war das Familienunternehmen über Partner von Chile über Russland bis China in mehr als 30 Ländern vertreten. In Österreich zählte die Marke vor drei Jahren noch 30 Geschäfte.

Vor einem knappen Jahr schlitterte Northland infolge hoher Verluste im Ausland, allen voran in der Ukraine und Russland, in die Insolvenz. Im Juli wurde das Sanierungsverfahren aufgehoben. Pichler war zuversichtlich, den Betrieb mit weniger Shops über Wasser zu halten. Nun zieht er dennoch die Reißleine – und gibt bis auf den Stammsitz in Graz die hierzulande verbliebenen 15 Standorte auf.

"Arbeit für Vermieter und Energieversorger"

Der finale Nackenschlag war die Energierechnung im Dezember, sagt der frühere Extremsportler im Gespräch mit dem STANDARD und erzählt von einer knappen Verzehnfachung der Stromkosten. Man habe schon seit längerem zu wenig verdient und privat Geld zugeschossen. "Am Ende des Tages macht es einfach keinen Sinn mehr. Wir können nicht mehr nur für unsere Vermieter und Energieanbieter arbeiten."

Pichler wird seine Zentrale anderwertig vermieten. Aus dem Onlinehandel zog sich Northland schon zurück. Eingestellt wurde auch das gesamte Auslandsgeschäft. Bis in den März hinein laufe der Verkauf in Österreich jedoch noch "mit allem Sortiment auf vollen Touren".

Northland-Eigemtümer Arno Pichler: "Am Ende des Tages macht es einfach keinen Sinn mehr. Wir können nicht mehr nur für unsere Vermieter und Energieanbieter arbeiten."
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200 Angestellte zählte Northland hierzulande 2020. Von den verbliebenen 78 müssen nun 63 gehen. Viele unter ihnen seien fast 30 Jahre im Unternehmen, rechnet Pichler vor. Er habe mit ihnen in Pension gehen wollen und mache sich um sie mehr Sorgen als um sich. "Ich darf ins Beiboot steigen. Meine Mitarbeiter aber schwimmen in Rettungsringen."

Auf den klassischen Einzelhandel sieht Pichler schwere Zeiten zukommen: Die Branche stehe im Sog großer Onlinekonzerne mehr denn je in einem strukturellen Umbruch.

Markt bereinigt sich

Er rede nicht alles schlecht, denn das schlage zu sehr aufs Gemüt, sinniert Manuel Winninger. An Marktbereinigung führe jedoch kein Weg vorbei. Winninger ist einer von fünf Eigentümern der Intersport Austria und betreibt 15 Standorte im städtischen Raum. Das Gute sei der Boom des Outdoorsports, meint er. Beim Radfahren leisteten sich die Österreicher teurere Bikes. Und der starke Schneefall im Westen hebe die Umsätze selbst in Wien gleich einmal um ein Fünftel . Dennoch sei die Liquidität vieler Händler im Keller. Das sei der Energiekrise geschuldet, vor allem aber den vollen Lagern.

Winninger berichtet von der Pandemie, die etwa den Bedarf an Fahrrädern nach oben getrieben habe. Statt um fünf Prozent sei die Nachfrage um 20 Prozent gestiegen. Geliefert habe die Industrie jedoch um Monate zu spät. Zuvor wurde weiter ausgiebig bei ihr geordert – ab Sommer bremste sich die Nachfrage aber ein.

Arno Pichler gab bei Northland 30 Jahre lang den Schritt vor. Er sieht auf den Einzelhandel schwere Zeiten zukommen.
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Pulverisiert hat sich auch das Geschäft mit Tourenskiern. In den Kellern zahlreicher Bergsteiger liegt nagelneue Ausrüstung, die bisher nur bedingt zum Einsatz kam. Erst fehlte der Schnee, nun drohen Lawinen. Bei Alpinski dominiert seit Jahren der Verleih. In den Verkauf gehen nur noch 25 bis 30 Prozent der neuen Bretter.

Wettlauf um Marktanteile

Für Winninger liegen Preiskämpfe auf der Hand. "Es ist ein Wettlauf um Marktanteile." Händler wie er stünden diesen durch. Doch wer bereits vor Corona nicht gut gearbeitet habe, werde wegrationalisiert.

XXL zieht sich aus dem Markt wie berichtet zurück. Das Abenteuer der Norweger in Österreich währte nur sechs Jahre. Sports Direct schmolz auf 20 Standorte, das Eigenkapital ist laut Bilanz negativ. Das Interesse des Einzelhandels an den verbliebenen Outlets ist nach wie vor gering.

Neu ihr Glück versuchten zuletzt vor allem Bike-Spezialisten. Die britische JD Sports übt sich seit 2019 in vier Geschäften vor allem mit Sneakern und Freizeitkluft. Die französische Decathlon wuchs mit Fokus auf Eigenmarken auf ebenso viele Filialen heran. Der alteingesessene Diskonter Hervis investiert vor allem in die Modernisierung seiner mehr als 100 Märkte. Die Bilanz 2021 weist für den Konzern mehr Umsatz bei anhaltenden Verlusten aus.

"Digitale Müdigkeit"

2022 haben die Österreicher unter dem Strich um rund zehn Prozent mehr für Sportartikel ausgegeben, schätzt Holger Schwarting, Chef der Genossenschaft Sport 2000 und Sprecher des Verbands der Sportartikelerzeuger. Bis zu sechs Prozent davon seien preisgetrieben. Dass seine Branche Ware aufgrund hoher Lagerbestände verschleudere, beobachtet er noch nicht. "Keiner kann es sich erlauben, Margen zu verbrennen."

Den Vormarsch der Onlineriesen sieht Schwarting gebremst. Digitale Müdigkeit und mehr Sinn für Nachhaltigkeit machten sich nach der Pandemie unter Konsumenten breit. Stationäre Händler könnten davon zumindest einige Jahre profitieren.

Frische Energie verspricht er sich für Teamsportarten. Mehr Schwung in Radverkäufe könnten Schwarting zufolge Leasingmodelle bringen. In Deutschland werde bereits die Hälfte der E-Bikes derart finanziert.

Touristen sparen nicht

Im Westen Österreichs ist derzeit auf zwei Rädern freilich kein Fortkommen. Christoph Bründl, der mit seinem Sporthandel in neun Tourismusdestinationen 31-mal vertreten ist, schwärmt von einem halben Meter Neuschnee in Schladming. Der Salzburger macht 70 Prozent seines Geschäfts mit Urlaubern. "Der Skiverleih geht heuer durch die Decke." Während Einheimische sparten, ortet Bründl bei Touristen weder im Handel noch in der Gastronomie finanzielle Zurückhaltung. "Wer auf Urlaub ist und Geld hat, der gibt es auch aus. Die Leute wollen feiern." (Verena Kainrath, 4.2.2023)