Publikumsservice is his success: Dirigent Lorenzo Viotti bei der Arbeit.

Foto: Viotti/Instagram

"In diesem Wetter, in diesem Braus" (Rückert) noch hinaus? Aber wenn die Münchner Philharmoniker, Lorenzo Viotti und Gautier Capuçon rufen, dann soll man Sturm und Regen trotzen.

Am Freitagabend eröffnen die Bayern ihr Gastspiel zwei Wochen vor dem Opernball mit einem Faschingsgruß, Antonín Dvořáks Karneval. Unter Viottis Leitung musiziert der Klangkörper die Ouvertüre zackig und straff, versteht es aber bald auch mit elegischer Eleganz zu wärmen. Diese Doppelgesichtigkeit setzt sich nach der Pause bei Richard Strauss‘ Frühwerk Aus Italien fort.

Die dynamischen Höhepunkte geraten beim 32-jährigen Dirigenten zweidimensional platt; klangliche Plastizität geht flöten. Doch immer, wenn in der Symphonischen Fantasie Melodieseligkeit und instrumentaler Belcanto angesagt sind (Auf der Campagna, Am Strande von Sorrent), blühen die Philharmoniker auf und alles Eis um die Herzen der Zuhörenden schmilzt dahin.

Viotti mag als Dirigent ein mittleres Talent sein, als Gesamtpaket ist er top: Erholt von seinem Urlaub in Fernost (siehe Instagram), erzählt der fotogene Chef der Niederländischen Philharmoniker (und Porträtkünstler des Musikvereins) immer vorab ein bisschen was über die präsentierten Werke. Nicht nur Intendanten wie Stephan Pauly wissen solche serviceorientierte Nahbarkeit zu schätzen, auch die Konzertbesucher.

Säuerliche Strenge

Top ist natürlich auch Gautier Capuçon: faszinierend die Intensität und der hohe Erzählton des Cellisten in Ernest Blochs Hebräischer Rhapsodie Schelomo. Mimisch an die angesäuerte Strenge eines Herbert von Karajan erinnernd, fesselt der französische Solist in diesem freien Gedanken- und Redefluss des biblischen Königs Salomon, von Bloch in ein prunkvolles orchestrales Klangbett gefügt. Berührend auch die Zugabe, Prayer aus Blochs Jewish Life, arrangiert für fünf Celli.

Die Münchner Philharmoniker wirken insgesamt etwas müde und bedröppelt: die Tourneestrapazen? Der graue Jänner? Perspektivisch bestünde Grund zur Freude: Vor wenigen Tagen wurde verlautbart, dass der tolle Lahav Shani das Orchester ab der Saison 2026/27 als Chefdirigent leitet. In den letzten Jahrzehnten hat man diesbezüglich ja eher leidvolle Erfahrungen gemacht: Christian Thielemann schied im Streit um Kompetenzen aus München, Lorin Maazel verschied im Amt, Putin-Freund Valery Gergiev wurde entlassen. Mögen mit Shani sonnigere Zeiten folgen. (Stefan Ender, 5.2.2023)