Nach den Vorwahlen im Sommer 2020 posieren Demokratie-Aktivisten und -Aktivistinnen für die Medien. Sie sind mittlerweile im Gefängnis oder im Exil.

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Hongkong öffnet – so präsentiert sich in den vergangenen Tagen die Sonderverwaltungszone im Süden Chinas. Nach über drei Jahren Pandemie kündigte der lokale Regierungschef John Lee Ende vergangener Woche an, dass ab dem heutigen Montag sämtliche Einreisebeschränkungen fallen würden. Bei Einreise braucht es also keine Impfung und keinen negativen Test mehr. Auch die letzten Zollstellen nach China werden nun geöffnet. Tags zuvor hatte Lee gar 500.000 Gratis-Flugtickets angekündigt, um Reisen nach Hongkong wieder anzukurbeln.

In der Finanzmetropole werden nun viele aufatmen: Die Öffnung ist für viele überfällig. 3,5 Prozent ist die Wirtschaft im vergangenen Jahr geschrumpft.

Dabei ist aber nicht nur Covid schuld an den schlechten Wirtschaftsdaten. Beobachter zeigen sich zunehmend besorgt über die Situation der eigentlich semidemokratisch ausgebauten Sonderverwaltungszone. Ab 2019 ging Peking mit zunehmender Härte gegen teilweise hunderttausende Menschen vor, die für mehr Demokratie in der ehemaligen britischen Kronkolonie eintraten.

Ein Bericht der britischen Regierung bemängelte erst Mitte Jänner wieder die Erosion von Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheiten. Auch die Selbstzensur würde in Hongkong steigen, heißt es darin. Außenminister James Cleverly meinte gar, dass es keinen Zweifel daran gebe, dass China die sino-britische gemeinsame Erklärung zu Hongkong nicht einhalte. Als Großbritannien 1997 die Kolonie an China übergab, haben sich die zwei Länder vertraglich darauf geeinigt, dass Hongkongs semidemokratischer Sonderstatus mindestens 50 Jahre aufrechterhalten bleibt.

Prozessbeginn nach langem Warten

Am Montag öffnet Hongkong nicht nur die Grenzen für Reisende. Im Schatten der Öffnung hat auch der bis dato größte Prozess gegen Demokratie-Aktivisten und -Aktivistinnen begonnen, die unter dem sogenannten Nationalen Sicherheitsgesetz (NSG) angeklagt sind. Es war vor allem dieses Gesetz, das Peking ab Juli 2020 noch nie dagewesenen Zugriff auf Hongkong eröffnete und die monatelangen Massenproteste gegen Pekings Einfluss niederschlug: Unter dem recht breit gehaltenen Vorwurf von Aufwiegelung, Separatismus oder Aufruhr können Menschen sogar lebenslänglich inhaftiert werden.

Am Montag herrschte großer Andrang im zuständigen Gericht in Hongkong. Auch Vertreter internationaler Länder stellten sich an, um den Anhörungen beizuwohnen. Darunter war auch ein Vertreter des österreichischen Konsulats, genauso wie Vertreter von Großbritannien, den USA, Tschechien, Italien oder des lokalen EU-Büros.

Die 47 Demokraten und Demokratinnen, die nun vor Gericht stehen, sind quasi all jene, die von der Demokratiebewegung in Hongkong noch übrig geblieben sind. Prominente Aktivisten wie Nathan Law sind längst im Exil. Die, die zurückgeblieben sind – wie etwa Joshua Wong – stehen nun vor Gericht.

Der Prozess ist eine rechtlich äußerst langwierige und komplexe Sache. Seit Monaten gab es Voranhörungen beziehungsweise Verschiebungen aufgrund von Formalien. Wenn es am Montag also losgeht, wird davon ausgegangen, dass sich 31 der 47 schuldig bekennen werden, sich verschworen zu haben, einen Umsturz zu planen – so lautet der Vorwurf.

"Illegale" Vorwahlen als Umsturzplan

Konkret steckt hinter dem Vorwurf, dass die Aktivistinnen und Aktivisten im Sommer 2020 Vorwahlen organisiert hatten. Im Zuge der Protestwelle hatten sie probiert, über "illegale" Vorwahlen – wie Peking meint –, all jene Kandidaten zu ermitteln, die die größten Chancen auf Sieg bei den Wahlen zum Lokalparlament hätten. Das Ziel dieser Kampagne war, alle frei wählbaren 35 Sitze des 70 Sitze großen Lokalparlaments zu ergattern und mit dieser Mehrheit dann ein volldemokratisches System in Hongkong zu implementieren. Am Ende fanden diese Lokalwahlen nie statt, als Grund wurde Covid genannt.

Den fünf Hauptorganisatoren der Vorwahlen droht bis zu lebenslange Haft, die geringste Strafe wäre drei Jahre. Der Prozess soll rund drei Monate dauern. In den kommenden Wochen wird es vor allem um die 16 Menschen gehen, die sich nicht schuldig bekennen.

Lange U-Haft

Der prominente Aktivist Joshua Wong gehört zu jenen, die sich laut Anwalt schuldig bekennen wollen. Es geht dabei vor allem um die Abwägung, welche Strategie günstigere Ergebnisse erzielen kann. Die meisten der Aktivisten sitzen bereits seit rund zwei Jahren in Untersuchungshaft, was deren Anwälte ebenfalls kritisieren. Nur wenigen wurde Kaution gewährt.

Beobachter kritisieren nicht nur die Erosion demokratischer Freiheiten, sondern auch die Unabhängigkeit der Gerichte in Hongkong. Ende des vergangenen Jahres hat Peking zum Beispiel angeordnet, dass bei Anklagen nach dem NSG keine Geschworenen urteilen sollen, sondern nur Richter, die vom Regierungschef, also John Lee, bestimmt werden. Der Regierungschef selbst wird wiederum über ein System gewählt, das die Wahl von Peking-treuen Kandidaten absichert.

Nur lokale Anwälte

Außerdem sind nun auch keine ausländischen Anwälte mehr zugelassen – was in Hongkong eigentlich lange Tradition hatte. Es braucht dafür nun spezielle Erlaubnis von Lee. Das betrifft vor allem den prominenten Angeklagten und Ex-Medientycoon Jimmy Lai, der ebenfalls seit Monaten inhaftiert ist und in einem separaten Prozess behandelt wird.

Wie es zu dem neuen Schritt kam, ist in dem Zusammenhang ebenfalls beachtlich: Ursprünglich waren Hongkonger Gerichte daran gescheitert, Lais britischen Anwalt auszuschließen. Daraufhin rief Lee das höchste gesetzgebende Organ in Peking an, den Nationalen Volkskongress . Dieser erteilte Lee die Befugnis, das Urteil des Gerichts außer Kraft zu setzen.

Andrew Cheung, ein Hongkonger Höchstrichter, verteidigte das System Mitte Jänner: "Egal, ob sie Richter unter dem Hongkonger NSG sind oder nicht, sie wenden das Gesetz alle gewissenhaft nach ihren besten Fähigkeiten an, basierend auf den Beweisen, die ihnen vorgelegt wurden." (Anna Sawerthal, 6.2.2023)