Eine Demonstration gegen weibliche Genitalverstümmelung am 6. Februar, dem internationalen Tag gegen FGM, vor vier Jahren in der deutschen Hauptstadt Berlin.

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Weltweit haben 200 Millionen Mädchen und Frauen Female Genital Mutilation (FGM) erfahren, in Österreich geht man von 8.000 Betroffenen aus. Umyma El-Jelede führt seit mehr als 15 Jahren Beratungen bezüglich FGM durch und spricht gemeinsam mit Sonia Koul, Leiterin des Frauenzentrums des Österreichischen Integrationsfonds, über den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung, Ablauf und Möglichkeiten der Beratungen und die Herausforderung, Männer zu erreichen.

STANDARD: Warum hält sich FGM bis heute?

El-Jelede: In den Ländern, in denen FGM praktiziert wird, hat es einen hohen Stellenwert, es hat Bedeutung. Hier spricht man von Genitalverstümmelung, aber die Frauen etwa aus dem Sudan, Somalia oder Ägypten bezeichnen sich als "rein". Allein welche Worte man wählt, macht einen Unterschied. Es werden auch medizinische Gründe genannt, die aber nichts mit Schulmedizin zu tun haben. Sie denken, es steigert die Fruchtbarkeit, schützt die Gebärmutter und das Kind. Es gibt keine Aufklärung in den Ländern, in denen es praktiziert wird, in den Communities selbst. Man lernt nicht, was Frauengesundheit, schmerzfreie Regelblutung und Frauenrechte bedeuten. Man kann es auch nicht klar in Kultur oder Religion trennen: Islam, Christentum, afrikanische Naturreligion – alle praktizieren FGM.

STANDARD: In vielen Ländern gibt es mittlerweile Verbote. Geht FGM dadurch zurück?

El-Jelede: Die Gesetze gibt es, glaube ich, nur, damit man in puncto Menschenrechte sagen kann: Wir haben das. In Wirklichkeit gibt es aber keine richtige Arbeit gegen FGM. Es gibt keine Beratungsstellen, weil das dort Normalität ist, es ist Teil des Frauenlebens.

STANDARD: Welche Formen von FGM gibt es?

El-Jelede: Die WHO unterscheidet drei Hauptformen: Klitoridektomie, Exzision, Infibulation. Bei der Klitoridektomie werden "nur" die Klitorisspitze mit der Klitorisvorhaut entfernt. Bei der Exzision werden Klitorisspitze mit Klitorisvorhaut und die kleinen Schamlippen zum Teil oder ganz entfernt und dann zugenäht. Die extremste Form ist die Infibulation, wo zusätzlich die großen Schamlippen entfernt werden und dann bis zu einer kleinen Minimalöffnung zugenäht wird.

Umyma El-Jelede, 1972 in der sudanesischen Hauptstadt Khartum geboren, ist Beraterin im Frauengesundheitszentrum FEM Süd mit Schwerpunkt FGM.
Foto: FEM Süd

STANDARD: Was sind die Folgen für Betroffene, physisch und psychisch?

El-Jelede: Die Menstruationsblutung kann sehr schmerzhaft sein, einige nehmen 20 bis 30 Schmerztabletten am Tag. Häufig treten auch Entzündungen auf, Unterleibsschmerzen, Schmerzen beim Sex. Bei einer Exzision und Infibulation sind Vaginaluntersuchungen sehr schwierig, eine vaginale Geburt ist eigentlich nicht möglich. Die Rückoperation wird hier empfohlen. Über die psychischen Auswirkungen wird in den betroffenen Ländern wenig gesprochen. Depression, posttraumatische Belastungsstörung – das sind übliche Sachen hier. Ich arbeite mit den Frauen seit 15 Jahren zusammen, ich komme aus dem Sudan, einem Land mit hoher Betroffenheit, wenn ich ihnen diese Krankheiten nenne, lachen sie mich manchmal nur aus. Sie erleben hier eher Trauma, wenn sie zum Beispiel beim Arzt sind und hören: "Um Gottes willen, was ist Ihnen passiert, wie schlafen Sie mit Ihrem Mann." Viele wissen nicht, welche Verletzungen sie haben.

STANDARD: Wie erreichen Sie Betroffene?

El-Jelede: Die meisten nehmen direkt über die Community Kontakt auf, Mundpropaganda ist für uns sehr wichtig. Andere kommen über Asyleinrichtungen oder Spitäler zu uns.

Koul: Wir merken auch in der Praxis, dass diese Mundpropaganda ganz wichtig ist. Von einem Seminar erzählt die Person zum Beispiel ihrer Mutter oder Schwester, beim nächsten Mal nimmt sie ihre Freundinnen oder Cousinen mit. Der ÖIF versorgt die Frauen im ersten Schritt mit allgemeinen Informationen, etwa im Frauenzentrum. Dann folgen oft Seminare zu dem Thema, die in Kooperation mit FEM Süd und eben Umyma El-Jelede stattfinden. Das ist ein guter Weg, und es steckt sehr viel Beziehungsarbeit dahinter. Mit Umyma El-Jelede kommt jemand mit viel Verständnis auf sie zu, sie weiß, wo sie herkommen, sie spricht die Sprache, Betroffene können sich mit ihr identifizieren. Man fühlt sich geborgener, wenn man weiß: Diese Person kann mich verstehen.

STANDARD: Wie laufen die Seminare dann ab?

El-Jelede: Wir sind sehr vorsichtig. Wir sagen nicht: Heute geht es um FGM. Das Thema ist zum Beispiel allgemein "Frauengesundheit". Das Setting ist für Frauen angenehm, wir sitzen wie Freundinnen zusammen. Es ist sehr wichtig, wie wir mit ihnen sprechen: In der Muttersprache, kultursensibel, wir verstehen ihre Werte, was das für sie bedeutet. Wir vermeiden zu sagen, dass ihnen Gewalt angetan wurde, dass sie unrein sind. Es geht viel um Konsequenzen: Schmerzen bei der Regelblutung, Risikogeburten, Probleme mit Infektionen.

Koul: Dann gibt es noch Multiplikator:innen-Seminare. Zielgruppe sind etwa Personen, die im öffentlichen Dienst stehen, Polizeibeamte, AMS-Berater:innen, Sozialarbeiter:innen, Pädagog:innen, Hebammen.

El-Jelede: FGM betrifft nicht nur die praktizierenden Communities, sondern auch Multiplikator:innen, die direkt oder indirekt in Kontakt mit den Betroffenen sind. Die Sensibilisierung ist ganz wichtig. Praktizierende Länder werden oft als gewalttätig und mit der Verletzung von Frauenrechten in Verbindung gebracht – wenn sie aber nur mit diesem Gefühl in eine Frauengruppe gehen oder mit einer Betroffenen in Kontakt kommen, verletzt das die Frauen und löst Stress aus.

Sonia Koul ist Leiterin des Frauenzentrums des österreichischen Integrationsfonds (ÖIF). In Zusammenarbeit mit FEM Süd werden unter anderem Seminare zu FGM angeboten.
Foto: Gregory Culbengan

STANDARD: Wird FGM in Österreich durchgeführt?

El-Jelede: Theoretisch kann es sein. Ein Arzt oder eine Ärztin, die es in ihrer Heimat getan hat, kann es auch hier tun. Aber ich habe das noch nie aus der Community so kommuniziert bekommen. Die meisten kommen schon "beschnitten" oder sind es nach einem Urlaub. Einmal bin ich gefragt worden, ob ich eine Beschneidung durchführen kann. Das war ein Schock – aber andererseits hatte ich die Möglichkeit, etwas zu verhindern.

STANDARD: Sie waren jahrelang die einzige FGM-Beraterin in Österreich. Hat sich die Situation, das Bewusstsein für das Thema verändert?

El-Jelede: Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist die Arbeit gegen FGM in Österreich sehr gut strukturiert. Es gibt jetzt deutlich mehr FGM-Ambulanzen, aber noch nicht in jedem Bundesland Anlaufstellen. Seit 2017 gibt es auch mehr Beraterinnen, etwa aus Somalia und Ägypten. Ich kann nicht alle Communities erreichen, nicht jede ist meine Stärke. Positiv sehe ich auch, dass die Rückoperationen von der Krankenkasse bezahlt werden. Die Unterstützung ist da, die Aufmerksamkeit der Regierung ist sehr groß. Problematisch sind aber befristete Projekte, etwa auf ein bis zwei Jahre. Arbeit gegen FGM braucht eine lange Zeit, jedes Jahr kommen 100 Mädchen und Frauen aus praktizierenden Ländern dazu.

STANDARD: Wie viele Betroffene entscheiden sich für eine Rückoperation?

El-Jelede: 2009, bei der Eröffnung der ersten FGM Ambulanz in Wien, waren es etwa zwölf in einem Jahr. Mittlerweile sind es mehr als 50. Die meisten sind schwangere Frauen, die eine vaginale Geburt haben wollen.

STANDARD: Hinter FGM stehen patriarchale Strukturen und Männer, die die Praxis forcieren. Erreicht man die?

El-Jelede: Es ist schwierig, aber nicht unmöglich. Wenn man den richtigen Zugang zur Community hat, erreicht man sie, aber man muss sehr sensibel und sehr vorsichtig sein. Wir reden nicht über das Patriarchat oder Gewalt, so wie wir jetzt in diesem Interview. Man redet über Männergesundheit und Frauengesundheit, dann kommt man zu Regelblutung und Schwangerschaft. Und dann kommt man zum Thema FGM. Es ist wichtig, dass es diese Angebote und auch ein Budget für Männergesundheit gibt, denn die Männer wurden zurückgelassen. Die Frauen haben sich sehr schnell entwickelt, es gibt viele Angebote für sie, sie sind gut informiert, sie bekommen Unterstützung. Und die Männer stehen da, wo sie vorher waren. Wenn man ihnen das nicht erklärt, etwa dass FGM nichts mit Reinheit zu tun hat, ändern sie ihr Verhalten nicht. (Noura Maan, 6.2.2023)