Bereits zuvor gab es Stromausfälle in der Hafenstadt – wie auf dem Foto Ende Jänner – doch die Lage spitzt sich zu.

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Anders als sonst, wenn Russland vom einen Moment auf den anderen seine Raketen und Drohnen vom Meer und aus der Luft gen Südukraine schickt, kündigte sich das Unheil diesmal quasi mit Anlauf an. Samstagvormittag machten in den lokalen sozialen Medien erste Aufnahmen von Rauchwolken am Stadtrand von Odessa die Runde.

Obwohl die mit dem Smartphone geschossenen Videos großteils unscharf waren und sich die Poster hüteten, den genauen Ort des Brandes bekannt zu geben, wusste jeder mit der Geografie der Schwarzmeer-Metropole vertraute User, was da in Flammen stand: ein Elektrizitätswerk vor den Toren der Stadt, das im Lauf der vergangenen fünf Monate regelmäßig Ziel der russischen Angriffe gewesen war.

Ein paar Stunden später folgte die Hiobsbotschaft, überbracht von den Repräsentanten der höchsten Regierungsebene. Laut Premierminister Denys Schmyhal habe sich in einer für die Stromversorgung Odessas entscheidenden Umspannstation ein schwerer Unfall ereignet: "Die Situation ist schwierig, das Schadensausmaß erheblich. Eine schnelle Wiederherstellung der Stromversorgung ist nicht möglich."

"Powerships" aus der Türkei

Die vollständige Reparatur der durch die Angriffe entstandenen Schäden würde Wochen dauern – vorausgesetzt, dass es nicht weitere Angriffe gebe. Um dem Rest der Welt die Dramatik der Lage zu vermitteln, baten Schmyhal und Außenminister Dmytro Kuleba die Türkei um die umgehende Entsendung von sogenannten "Powerships" übers Schwarze Meer – Schiffe, die quasi als schwimmende Kraftwerke dienen.

Zusätzlich befahl der ukrainische Energieminister German Galuschtschenko, sämtliche im Land verfügbaren Hochleistungs-Stromgeneratoren noch vor Montag nach Odessa zu bringen. Eine beispiellose Hilfsaktion, die schon am späten Sonntagnachmittag Wirkung zeigte. Zu diesem Zeitpunkt waren aus dem freien Teil der Ukraine bereits 25 Generatoren eingetroffen und über die Hälfte der Haushalte wieder ans Stromnetz angeschlossen. Wenn auch nur vorübergehend und für die maximale Dauer von zwei Stunden.

Wenige Stunden Strom

Schon vor dem Unfall musste die Mehrheit der laut neuer offizieller Schätzung 500.000 in der Stadt verbliebenen Menschen – vor Kriegsausbruch zählte Odessa knapp über eine Million Einwohner – meist mit nur sechs Stunden Strom und Warmwasser am Tag auskommen. Einzig Straßenblocks, die für die Grundversorgung essenzielle öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser und Behörden beherbergten, kamen bisher in den Genuss von mehr. Zum Zeitpunkt des totalen Blackouts schwankte die Außentemperatur in Odessa je nach Standort zwischen zwei bis drei Grad Celsius. In den Abend- und Nachtstunden fiel sie überall unter den Gefrierpunkt, wo sie laut den Vorhersagen der Meteorologen mindestens die kommende Woche über bleiben und auf bis zu sieben Grad minus sinken wird. Vom Meer her wehender Starkwind verschärft die Lage zusätzlich.

Von dem Blackout betroffen waren diesmal auch weite Teile der Wasserversorgung. In Gebäuden im Zentrum wie in den Vororten, die mehr als vier Stockwerke zählen, fielen durch den Stromausfall massenhaft die Pumpen aus. Die Stadt reagierte auf den Wassermangel mit der kurzfristigen Aufstockung der "Invincibility Points". Das sind öffentliche und halböffentliche Räume, in denen sich die Bürgerinnen und Bürger aufwärmen und ihre elektronischen Geräte aufladen können – mit Trink- und sogenanntem "technischem", sprich destilliertem Wasser, mit denen sie ihre Toiletten spülen können.

Ressourcen eigentlich ausreichend

Zustände wie in der seit Ende Februar 2022 unter Dauerbeschuss stehenden Nachbarstadt Mykolaiv und in dem im November befreiten Cherson, das mittlerweile laut offiziellen Informationen der Regierung 80 Prozent der Menschen verlassen haben, die dort vor dem Krieg lebten. Sollte es Russland binnen der kommenden zwei Monate gelingen, die angeschlagene Stromversorgung Odessas endgültig kaputt zu schießen – was laut der Definition der Genfer Konventionen ein Kriegsverbrechen darstellt – steht auch ihr ein ähnliches Schicksal bevor.

Obwohl die Ressourcen für die dauerhafte Versorgung der Stadt laut Energieminister Galuschtschenko eigentlich ausreichend wären. Der 49-Jährige, der bis zur Berufung in sein jetziges Amt als Anwalt und Universitätsprofessor für internationales Privatrecht arbeitete, hatte erst Mitte der Woche verlauten lassen, dass die ukrainischen Energietechniker trotz aller Herausforderungen den Kampf an der "Energiefront" erfolgreich aufrechterhalten würden. Laut Galuschtschenko verfüge die Ukraine über genügend Energiereserven, um die noch bis Ende März dauernde Heizperiode abzuschließen: "Bis heute befinden sich mehr als elf Milliarden Kubikmeter Gas in unseren Speichern und etwa 1,2 Millionen Tonnen Kohle in den Lagern. Das sind ausreichende Mengen, um diese für unser Land sehr schwierige Heizperiode zu überstehen und abzuschließen." (Klaus Stimeder aus Odessa, 5.2.2023)