Im Daviscup setzte es für Thiem zwei Niederlagen. Er ist aber nach wie vor überzeugt, wieder an die Spitze zu kommen.

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Der Glaube, sagt Dominic Thiem, sei noch da, "auch wenn er noch so klein sein sollte". Der Glaube daran, dass der Tennisprofi wieder an alte Erfolge anknüpfen kann. Thiem ist nach wie vor ein Grand-Slam-Sieger, die Nummer drei der Welt ist er schon länger nicht mehr. Er will noch einmal um große Titel spielen, wieder zum Spitzenfeld seiner Sportart zählen. "Wenn ich keinen Glauben daran hätte, würde ich aufhören und ein anderes Leben leben."

Am Wochenende setzte es eine Enttäuschung. Beim Daviscup in Rijeka verlor er am Samstag gegen Borna Gojo, die Nummer 121 der Welt. Am Sonntag folgte eine Niederlage gegen Borna Coric. Österreich unterlag Kroatien mit einem Gesamtergebnis von 1:3, auch Dennis Novak verlor gegen Coric, den einzigen Punkt für das Team von Kapitän Jürgen Melzer holte das Doppel mit Alexander Erler und Lucas Miedler.

Thiem spricht von einer "schwierigen Situation" in seiner Karriere. Er sieht nur eine Chance, wieder sein Toplevel zu erreichen: "Ich muss auf dem Platz alles geben, bis zum letzten Ball kämpfen." Immerhin habe die Einstellung gepasst, findet Thiem. Bestätigt und bekräftigt wurde er von Kapitän Jürgen Melzer, der Thiems Kampfgeist lobte. Thiem sagt deshalb auch: "Vom Auftritt her war es ein kleiner Hoffnungsschimmer."

Sich zusätzliche Unterstützung in seinen Betreuerstab zu holen – Stichwort Mentalcoach – hält Thiem für falsch. "Es hängt nur von mir allein ab." Würde er nicht zu hundert Prozent den Willen aufbringen, "kann ich mir einen Roger Federer holen, der würde mir auch nicht helfen".

Am Freitagabend, am Tag vor seinem ersten Match gegen die Kroaten, nahm sich Thiem Zeit für ein Interview mit dem STANDARD. Es war nicht einfach, ihn zu sprechen: Seine Tage sind eng durchgetaktet. Zum Interview kam er nach einer Stunde im Online-Italienischkurs.

STANDARD: Wie kommt es, dass Sie Italienisch lernen?

Thiem: Mein Trainer Nico Massu spricht perfekt Spanisch und Englisch, dazu Italienisch und ein bisschen Französisch. Ich finde es eigentlich bitter, dass ich nur zwei Sprachen spreche. Deshalb habe ich mit Italienisch begonnen, auch weil ich etwas für den Kopf machen will. Das Tennisleben kann sehr einseitig werden. Die Tage sind strukturiert und können oft lang werden, dann driftet man oft ab. Wenn zwischendurch Zeit ist, ist die Versuchung groß, im Zimmer zu bleiben, fernzuschauen und am Handy zu picken. Wenn das zu häufig passiert, fühle ich mich nicht wohl.

STANDARD: Geht es Ihnen besser, wenn Ihre Tage durchgetaktet sind?

Thiem: Ich fühle mich wohl, wenn eine Struktur da ist, wenn es Sachen zu erledigen gibt. Seitdem ich fit und wieder voll auf der Tour bin, ist jeder Tag von früh bis spät durchgeplant. Da gibt es keine Schwierigkeiten, eine Struktur zu halten.

STANDARD: Haben Sie aktuell Spaß an Ihrem Beruf?

Thiem: In Melbourne konnte man nach dem Finale sehen, wie Novak Djokovic unter Anspannung stand und es förmlich aus ihm herausgebrochen ist. Es ist eigentlich eine harte Phase, wenn man erfolgreich ist. Spaß macht es nicht wirklich. Ich fand es immer schwierig, Siege richtig zu genießen. Ich versuche, davon wegzukommen, eine Maschine zu sein. Nicht mehr stundenlang trainieren, ohne über irgendetwas nachzudenken. Ich versuche, die schönen Dinge mehr zu genießen. Für mich sind das schöne Schläge oder gute Punkte. Aber das ist bei Weitem nicht leicht.

STANDARD: Wie gehen Sie mit der hohen Erwartungsh altung aus der Öffentlichkeit um?

Thiem: Ich habe mir die Latte ja selbst dorthin gelegt, wo sie jetzt ist. Viele Sportfans, die Tennis nicht intensiv verfolgen, wissen vielleicht nicht Bescheid, wie dünn die Luft ganz oben in der Tenniswelt ist. Das ist ja völlig normal, mir geht es auch so, wenn ich Fußball schaue und mich frage, warum das Match nicht genauso ausgeht wie früher. Die Leute sehen, dass meine Ergebnisse nicht so sind wie damals, als ich die US Open gewonnen habe und in den Top drei der Welt war. Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht realistisch.

STANDARD: Haben Sie das Gefühl, etwas zu verpassen, weil Sie aktuell nicht zur Weltspitze gehören?

Thiem: Überhaupt nicht. Mir ist am wichtigsten, dass die Entwicklung passt. Natürlich wäre ein richtiger Durchbruch wieder schön, sogar sensationell. Auf der anderen Seite sehe ich, dass ich noch ein Stückerl davon entfernt bin, vor allem wenn ich mir die späte Turnierphase der Australian Open anschaue. Dann denke ich daran, dass ich derjenige war, der vor drei Jahren gegen einen Novak Djokovic in Hochform im Finale knapp in fünf Sätzen verloren hat. Das war unglaublich, was ich geleistet und wie gut ich gespielt habe. Ich muss ehrlich zu mir selbst sein: Ich bin Realist genug zu wissen, dass ich nicht in der Situation bin im Moment. Ich arbeite daran, wieder auf meine hundert Prozent zu kommen, das Feuer wieder voll zu entfachen.

STANDARD: Zuletzt haben Sie sich bei den Australian Open im Match einen Muskelfasereinriss in der Rippengegend zugezogen. War das schwer zu verarbeiten, sich ausgerechnet bei einem Major-Turnier wieder zu verletzen?

Thiem: Ich habe schon kurz gehadert. Im Match dachte ich, es ist nur ein Wirbel blockiert, und habe gehofft, der Physio könnte das wieder einrichten. Aber es ist schlimmer geworden, ich fand mich damit ab, dass es schwierig wird gegen Andrej Rublew.

STANDARD: Manche fragten sich: Warum haben Sie nicht aufgegeben?

Thiem: Es ist eine Frage des Respekts vor dem Gegner. Nicht w. o. zu geben ist eine Ehrensache. Ich will nur aufgeben, wenn es wirklich gar nicht mehr geht.

STANDARD: Der Agentur Kosmos wurden die Vermarktungsrechte des Daviscups entzogen, weil Preisgelder nicht ausgezahlt wurden. Sie werden von dieser Firma gemanagt. Sind Sie beunruhigt?

Thiem: Mir hat Kosmos gesagt, dass sich an meiner Situation nichts ändern wird. Ich glaube, das sind zwei völlig verschiedene Geschäftsbereiche. Es war von Beginn an schwierig, dass die Reform im Daviscup mit dem neuen Format aufgeht. Hoffentlich bekommt er jetzt, wo er wieder zurück zur ITF geht, das Format, das er sich verdient; es kann ein richtig geiler Bewerb sein. Aber es müssen so viele Dinge zusammenspielen, ATP, ITF und die Grand Slams müssen sich einig sein, dass man gute Termine findet. Das ist schwierig.

Anm.: Am späten Montagabend wurde die Trennung von Thiem und seiner Managementagentur Kosmos bekannt.

STANDARD: Ist Novak Djokovic aktuell unbesiegbar?

Thiem: In Australien war er mit Abstand der Beste. Ich glaube, dass Rafael Nadal in Paris noch einmal richtig stark zurückkommt. So bitter es für uns aus der neuen Generation auch ist, Nadal auf Sand und Djokovic bei den anderen Grand Slams sind die zwei stärksten Spieler, die es zu schlagen gilt. (Lukas Zahrer, 6.2.2023)