Ende Jänner präsentierten die Studierenden der FH Joanneum ihre Abschlussprojekte.
Foto: J.J.Kucek

Ganz unscheinbar hängt er an der Wand – der große, schwarze Kopfhörer. Er verrät nicht, welche Welt sich hinter ihm verbringt. Ein Kabel verbindet den Kopfhörer mit einem kleinen Apparat. Ich gebe mir einen Ruck. Greife hin. Hänge mir den Apparat um. Setze den Kopfhörer auf. Plötzlich höre ich meinen Atem als starken Windzug.

Diese Soundmaschine entwickelte Noah Rachdi. Sie ist ein Exponat der Ausstellung Creating Atmospheres der Studierenden des Masters Design und Kommunikation der FH Joanneum in Graz. "Viele Geräusche wie zum Beispiel die unseres eigenen Körpers verarbeiten wir unterbewusst und blenden sie aus. Ich programmierte ein System, das genau diese Laute verstärkt und verändert", erklärt er.

Noah Rachdi entwickelte eine besondere Soundmaschine.
Foto: J.J.Kucek

Mikrofone an den Kopfhörern zeichnen die Umgebungsgeräusche auf, verändern sie und spielen sie wieder ins Ohr, teilweise zeitversetzt. Die Klänge um einen herum bleiben trotzdem weiterhin gut hörbar. Ich blättere das Ausstellungsheft um. Das dabei entstehende Geräusch hört sich an, als würde eine Person mit Absatzschuhen durch eine weite, hohe Halle schreiten. Ich versuche, Geraschel zu erzeugen, um immer mehr Klangwelten zu erschaffen. Als würde man eine Virtual-Reality-Brille aufsetzen – nur eben als Klangwelt.

Hat Netflix ausgedient?

Könnte nicht genau diese Vermischung von Wirklichkeit und Fantasie eine neuartige Realitätsflucht sein, die viele von uns suchen? Statt Netflix and Chill einfach einmal mit dieser Soundmaschine den Abend verbringen. Die Beliebtheit von Podcasts zeigt, es gibt ein großes Potenzial für Ablenkung durch Töne. Vielleicht werden wir in Zukunft noch mehr Soundwelten konsumieren. Ich setze den Kopfhörer ab, gehe weiter zu den nächsten Ausstellungsstücken. Die Welt klingt nun wieder eindimensional. Langweilig. Ich vermisse die außergewöhnlichen Klänge.

Mit den Prokrastinationskarten von Miriam Leitinger und Valerie Zengerer lässt sich wunderbar die Zeit vertreiben.
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Spaß beim Zeittotschlagen

Apropos Ablenkung: Ein weiteres Abschlussprojekt macht genau das zum Thema. Mit den sogenannten Prokrastinationskarten möchten die Studentinnen Miriam Leitinger und Valerie Zengerer das Nichtstun positiv konnotieren. Sie saßen vor einem ihrer FH-Projekte und drückten sich davor anzufangen. Stundenlang. In dieser Zeit fühlt man sich oft schlecht und lenkt sich mit sinnlosen Tätigkeiten ab.

"Wieso machen wir in dieser Phase nicht etwas, was Spaß macht oder sinnvoll ist?", sagt Valerie Zengerer. Genau dafür entwickelten sie 23 Karten, mit denen die Zeit wunderbar vertrieben werden kann. Die Ablenkungsmöglichkeiten sind sehr vielfältig: Gemälde freirubbeln und Künstler erraten, Blindenschrift lernen und entziffern, Origami-Frosch basteln, Karte zerschneiden und damit puzzeln oder sie aufweichen und wieder Papier daraus machen und vieles mehr. Punkte verraten, wie lange die Ablenkung dauert – drei, 13 oder 23 Minuten. Die Karten sind nicht nur hübsch anzusehen, sondern auch haptisch interessant. Man möchte sie gar nicht mehr aus der Hand geben.

Die neue Designerinnen-Generation ist auch bereits unternehmerisch aktiv und erfolgreich. Bereits 2020 gründete die damals 21-jährige Valerie Zengerer mit drei weiteren Studienkolleginnen eine eigene Branding- und Design-Agentur mit dem Namen Unerwartet. Für einen ausgiebigen Test der Karten reicht für mich die Zeit heute leider nicht aus. Ich muss zur nächsten Ausstellung.

Wieso haben Menschen eine so große Faszination für Serienmörder? Dieser Frage gingen Tobias Kaindlbauer und Anja Trummer nach.
Foto: J.J.Kucek

Die Monster in uns

19 Uhr. Auf der Murinsel findet gerade eine Podiumsdiskussion statt. Dort spricht die etablierte Kunstgesellschaft über die Zukunft der ehemaligen Kulturhauptstadt Graz. Antworten finden sich mitunter direkt gegenüber der Insel in einem Haus am Ufer. Hier findet die Ausstellung der nächsten Design-Generation statt, der 57 Studierenden des Bachelorstudiengangs Informationsdesign der FH Joanneum. Der Raum ist rappelvoll, Bierkorken ploppen, die Luft ist stickig, die Stimmung ausgelassen. Die Studierenden haben Filme, Plakate, Magazine und Installationen zum Thema Monster erstellt.

Dem Monster in uns widmen sich zum Beispiel Tobias Kaindlbauer und Anja Trummer. Sie stellten sich die Frage: Wieso finden wir Serienmörder spannend, und macht uns das selbst zu Monstern? Sie kritisieren die Glorifizierung von Mörderinnen und Mördern und den Profit, der aus der Vermarktung dieser Geschichten geschlagen wird. In ihrem Magazin zeigen sie die Menschen, die oft in den Hintergrund geraten – die Opfer, deren Umfeld und deren Leid.

Hält man ein Smartphone oder ein Tablet vor Michelle Hartingers Bild verändert sich dieses. Das Monster tritt in den Vordergrund und verändert sich.
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Michelle Hartinger entschied sich dafür, ein Monster zu malen. Damit aber nicht genug. Hält man ein Handy mit der geöffneten App Artivive vor das Bild, wird es erkannt und verändert sich auf dem Bildschirm. Die Studiengangleiterin Birgit Bachler wird auch in Zukunft ihre Studierenden motivieren, neue technische Möglichkeiten auszuprobieren: "Zu programmieren oder online zu designen wird immer wichtiger." Die Ausstellungen zeigen: Eine junge Generation kritischer und innovativer Design-Studierender steht in den Startlöchern. (Natascha Ickert, 9.2.2023)