Noch heißt es Brüssel und Bregenz – ob Claudia Gamon bei der nächsten Landtagswahl als Spitzenkandidatin für die Neos ins Rennen geht, lässt sie noch offen.

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Zehn Jahre ist es her, dass Claudia Glamon gleich zwei Wahlkämpfe bestritt: Für die Jungen Liberalen war die Vorarlbergerin Spitzenkandidatin im ÖH-Wahlkampf, für die Neos engagierte sie sich in deren erstem Nationalratswahlkampf. Seit dem Wochenende hat Gamon wieder eine Doppelrolle: Die EU-Abgeordnete ist nun auch Landessprecherin der Vorarlberger Neos.

STANDARD: Ihre politische Laufbahn führte Sie vom Nationalrat ins EU-Parlament – warum nun die Kandidatur als Vorarlberger Landessprecherin der Neos?

Gamon: Das hat mehrere Gründe, aber natürlich auch die Frage: Warum nicht? Es ist eine andere Art von Verantwortung. Das Ziel ist es, in der nächsten Landesregierung zu sein. Mich reizt es aber auch, neue und andere Aufgaben zu übernehmen und mich selbst zu fordern. Vorarlberg ist mein Zuhause, und deswegen möchte ich auch Politik machen, wo ich wohne und wo ich die Leute, deren Lebensumstände man positiv verändern will, persönlich kenne.

STANDARD: Kann man daraus schließen, dass Sie auch Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl werden?

Gamon: Zuerst kommt jetzt einmal die Aufgabe, die Landespartei zu leiten.

STANDARD: Zum Ziel mitzuregieren: Die ÖVP steckt in einem Umfragetief. Eine Koalition dürfte rein rechnerisch sehr schwierig sein.

Gamon: Ich finde es schwer, da nur auf Umfragen zu schauen. Entscheidend ist, was am Wahltag passiert. Wir arbeiten an einem Programm, mit dem wir klar zeigen, warum wir regieren wollen und mehr Verantwortung übernehmen wollen. Ich weiß auch nicht, ob taktisches Wählen den Leuten hilft. Man soll das wählen, was am besten für das Land ist. Und dann wird abgerechnet.

STANDARD: Warum sollte die ÖVP nicht wieder mit dem langjährigen Partner, den Grünen, koalieren?

Gamon: Das muss man die ÖVP fragen. Es ist nicht meine Aufgabe, sie zu beraten oder eine familientherapeutische Aufstellung zu machen. Mir geht es darum, was unser Neos-Angebot ist. Und das ist ganz klar: Wie kann man wirklich mehr für das kriegen, was Menschen in das Land einzahlen? Viele Leute haben, denke ich, das Gefühl, dass sie unheimlich viel leisten. Aber was Kinderbetreuung oder Unterstützung für leistbares Wohnen betrifft, kommt relativ wenig zurück. Das muss sich ändern.

STANDARD: Was auf den Weg gebracht wurde, ist ein strengeres Parteienfinanzierungsgesetz, das mehr Transparenz garantieren soll. Reicht das?

Gamon: Ich denke, es ist ein positives Beispiel dafür, dass man auch überparteilich etwas zustande bringen kann, wenn es notwendig ist. Die Neos haben viel geleistet und hart verhandelt für dieses Gesetz. Ich bin gespannt, wie es dann in der Praxis funktioniert und was es für die Kultur in einem Wahlkampf heißen kann. Ich glaube, Vorarlberg hat hier schon etwas vorgelegt. Natürlich kann man sich immer mehr wünschen.

STANDARD: Die Verhandlungen fielen mit der Wirtschaftsbund-Affäre zusammen. Ein U-Ausschuss dazu scheint derzeit recht unwahrscheinlich, weil man sich nicht auf eine Schlichtungsstelle einigen kann. Wäre es nicht besser, hier den Vorschlag der ÖVP zu akzeptieren, als die ganze Reform platzen zu lassen?

Gamon: Diese Verhandlungen überlasse ich meinen Kollegen und vor allem der Klubobfrau Sabine Scheffknecht. Natürlich wäre es wichtig, dass der U-Ausschuss ein praktikables Instrument wird, der zu Aufklärung beiträgt. Der Reformdruck und der Zeitdruck sind jetzt groß. Ich bin mir sicher, dass man zu einer Lösung kommt.

STANDARD: Es gibt auch Stimmen, wonach es so manchen in der Opposition gar nicht unrecht wäre, wenn es keinen Wirtschaftsbund-U-Ausschuss gibt, weil man den potenziellen Koalitionspartner nicht zu sehr ärgern will.

Gamon: Wenn das irgendwer so sieht, dann verstehe ich nicht, warum man überhaupt in der Politik ist. Unser Ziel ist es, zu regieren, weil wir gestalten wollen. Es ist aber auch wichtig, dass man frisch und mit Vertrauen in die nächste Legislaturperiode startet. Dafür muss alles, was in den vergangenen Monaten passiert ist, aufgearbeitet und die politische Verantwortung geklärt werden.

STANDARD: Vorarlberg ist, was Kinderbetreuung betrifft, Schlusslicht in sämtlichen Rankings. Die Positionen der Neos sind da teilweise weit entfernt. Wie könnte eine Zusammenarbeit klappen?

Gamon: Nochmal: Es ist nicht meine Aufgabe, die ÖVP zu überzeugen, was richtig ist. Meine Aufgabe ist es, die Vorarlbergerinnen und Vorarlberger zu überzeugen, dass es richtig ist, die Kinderbetreuung auszubauen. Mich ärgert vieles an dem Thema, unter anderem, dass die Leute in Vorarlberg ja gleich viel Steuern und Abgaben wie im Rest von Österreich zahlen, aber viel weniger bekommen, was das Thema Kinderbetreuung anbelangt. Da muss einfach eine kostenfreie Betreuung drinnen sein. Das Angebot ermöglicht es den Leuten derzeit nicht, ein selbstbestimmtes, eigenständiges, freies Leben zu führen. Weil man eingeschränkt davon ist, was der Bürgermeister denkt, was 'ghörig' wäre. Das geht nicht.

STANDARD: Woher sollen die Mittel kommen?

Gamon: Natürlich ist es für viele Gemeinden ein großes Budgetproblem. Das ist aber kein Grund dafür, aufzuhören, sondern ein Grund dafür, die Finanzierung zu ändern. Die Mittel sollen auch vom Land zur Verfügung gestellt werden.

STANDARD: Vielerorts fehlt schlichtweg das Personal.

Gamon: In anderen Bundesländern geht es auch. Es geht hier natürlich um die Frage, wie wichtig uns dieser Beruf ist, und die Funktion, die Elementarpädagoginnen in der Gesellschaft einnehmen. Es sollen attraktive Arbeitsplätze sein. Klar geht es da auch um Bezahlung.

STANDARD: Ein ebenso heißes Thema im Wahlkampf dürfte das Wohnen werden. Die Neos treten für Erleichterungen bezüglich Eigentum ein, etwa die Streichung von Nebenkosten.

Gamon: Wir sind eine Partei, die sagt, dass Leistung etwas bedeuten soll. Das ist in Vorarlberg in der Form nicht mehr gegeben. Jeder, der sich etwas erarbeitet hat, das er seinen Kindern vererben kann, kann stolz darauf sein. Aber es ist skandalös, dass es in Vorarlberg in vielen Gegenden ohne Erbe gar nicht mehr möglich ist, zu Eigentum zu kommen. Das ist so ungerecht jungen Leuten gegenüber. Die haben das Gefühl, es geht sich eh nicht aus. Dass man da resigniert, sollte nicht überraschen. Bei der Rückvergütung der Grunderwerbssteuer muss man nicht auf den Bund warten, da kann ruhig das Land schon etwas unternehmen.

STANDARD: Sind das nicht oft Peanuts und das wirkliche Hindernis die enormen Quadratmeterpreise?

Gamon: Das ist ja nur eine Forderung von vielen. Wir wollen zum Beispiel auch Flexi-Miet-Kauf-Modelle fördern. Es geht auch darum, wie man mehr Angebot schaffen kann, um Raumplanung, höhere Baunutzungszahlen zu ermöglichen. Natürlich ändern die Nebengebühren nicht die Entscheidung, ob man in Richtung Eigentum geht oder nicht. Aber das soll für die Politik kein Grund sein, diese Dinge nicht anzugehen. Am Schluss soll die Summe an kleinen Dingen einen Unterschied machen.

STANDARD: Machen sich die Neos auch Gedanken darüber, was unternommen werden muss, damit bei der Vorarlberger Landtagswahl nicht die FPÖ als der große Gewinner übrig bleibt? Oder sind diese Menschen als potenzielle Wähler zu weit weg?

Gamon: Ich sehe das schon als Thema. Auch all jene, die sich nie vorstellen könnten, die FPÖ zu wählen, betrifft es ja, wenn es ein immer größerer Teil der Gesellschaft macht. Ich hoffe, dass auch die ÖVP jetzt gemerkt hat, dass es nichts bringt, auf rechts zu blinken. Das war ein Schuss ins eigene Knie. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das verstanden wurde. Es ist sicher auch eine Unzufriedenheit mit dem Rest der Politik, weshalb die Menschen FPÖ wählen. Es mag langwieriger und mühsamer sein, aber wir müssen zeigen, dass wir da sind, um etwas zu tun, nicht nur zum Streiten oder zum Reden und es passiert nix.

STANDARD: Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm bezeichnet die aktuellen Klimaproteste als großteils respektlos, sie würden außerdem getätigtes Engagement beschädigen. Was denken Sie über die Klimakleber?

Gamon: Die Frau Jugendstaatssekretärin tut sich wahrscheinlich schwer damit, anzuerkennen, dass das größte Hindernis für den Klimaschutz in Österreich nun mal die ÖVP in der Regierung ist. Ich kann verstehen, dass viele junge Menschen verzweifelt sind, wenn sie sehen, wie wenig weitergeht. Anstatt sich über das Engagement junger Bürgerinnen zu empören, sollte die Politik sich besser daran machen, endlich etwas weiterzubringen. (Lara Hagen, 9.2.2023)