Vom Hauptbahnhof bis zu dem monumentalen Backsteinbau an der Fontanska-Straße Nummer 10 sind es nur ein paar Steinwürfe. Fußgänger finden sich hier trotz der Nähe zum Stadtzentrum nicht. Seit rund einem Jahr ist der Eingang des Mitte des 19. Jahrhunderts vom russischen Architekten Vasily Maas entworfenen Gebäudes mit Sandsäcken und Panzersperren verbarrikadiert. Wer hier Fotos schießt, wandert geradewegs ins Gefängnis.

"Junger Wilder" und "Hardliner": Das Image von Kyrylo Budanow ist vielsagend.
Foto: REUTERS/Valentyn Ogirenko

Obwohl er in der Hauptstadt Kiew geboren wurde und aufwuchs, war es hier, an der altehrwürdigen Militärakademie von Odessa, wo der heute 37-jährige Kyrylo Budanow den Grundstein zu einer Karriere legte, die jetzt in seiner Designation zum ukrainischen Verteidigungsminister ihren vorläufigen Höhepunkt erfährt. Die formale Ernennung verzögerte sich am Montag – vom Tisch ist sie aber nicht.

Gegründet 1865, als die Schwarzmeer-Metropole noch zum Zarenreich gehörte, erlebte die Akademie ihre Blüte in der Bolschewisten-Diktatur. Damals mutierte sie zur führenden Fortbildungseinrichtung für Offiziere des Militärgeheimdienstes der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Nach deren Auflösung wurde sie offiziell geschlossen. Tatsächlich wurde sie nur umbenannt und diente der Ukraine fortan als Kaderschmiede für Männer und Frauen, die eine Laufbahn in den Streitkräften oder den Sicherheitsdiensten anstreben.

"Ehre über alles"

Als Budanow vor knapp drei Jahren seinen Job als Chef des militärischen Sicherheitsdiensts GUR antrat, teilte er mit den Medien die Maxime mit, an die er sich bei seiner Arbeit halten wolle: "Ehre über alles." Seinerzeit wurde das auch als Verneigung vor seiner Alma Mater interpretiert, deren Motto traditionell "Ehre, Mut und Professionalismus" lautet. Tatsächlich scheint es für Budanow, der als Militärgeheimdienstchef erstaunlich oft mit Journalisten redete, nie einen anderen Berufswunsch gegeben zu haben als den Dienst bei den ukrainischen Sicherheitskräften.

Auch wenn keine Details bekannt sind, nahm er im Rahmen dessen bereits lange vor der russischen Invasion in der Ukraine – die er als einziger ranghoher Staatsdiener fast auf die Uhrzeit genau voraussagte – bisweilen extreme Risiken in Kauf. Als Angehöriger einer GUR-Spezialeinheit soll Budanow im vergangenen Jahrzehnt für mehrere Sabotage-Aktionen in den seit 2014 besetzten Teilen des Donbass und auf der Krim verantwortlich gezeichnet haben. Gestern wie heute beteuert der zum Zeitpunkt seiner Nominierung zum Minister im Rang eines Generalmajors stehende Budanow, dass es bis heute zahlreiche ukrainische Agenten gebe, die auf sein Geheiß hin Aufträge auf russischem Staatsgebiet ausführen.

Zielscheibe des Kreml

Für den Kreml macht ihn das alles naturgemäß seit Jahren zur Zielscheibe. Die Zahl der von Putins Schergen versuchten Attentate auf den hochdekorierten Offizier soll sich bisher auf zehn belaufen. Das bisher nachweislich letzte ereignete sich 2019, als Budanow nur dank der Ungeschicklichkeit der auf ihn angesetzten Killer – eine von diesen angebrachte Autobombe explodierte vorzeitig – dem Tod entkam. Über das Privatleben des verheirateten Offiziers ist aus Sicherheitsgründen entsprechend wenig bekannt.

Darüber, inwiefern sich seine Bestellung auf die Kriegslage auswirken wird, gehen die Meinungen in den sozialen Medien der Ukraine auseinander. Einerseits gilt Budanow als kompetent, was seinen bisherigen Job angeht. Andererseits prophezeit er schnelle militärische Erfolge, die zumindest derzeit fragwürdig erscheinen. Beispiel: Die Rückeroberung der Krim noch vor Jahresende. Auch mit Spekulationen wie jenen, dass Wladimir Putin schwer krank oder gar schon tot sei, sorgte Budanow wiederholt für Aufsehen.

Was ändert sich?

Die entscheidende Frage lautet aber, ob sich durch seine Berufung – der Vollzug des Ministerwechsels wurde am Montag überraschend um mehrere Tage verschoben – an der bisherigen Arbeitsteilung zwischen Verteidigungsministerium und Militärführung etwas ändern wird.

Bisher ließen Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj und die Regierung unter Denys Schmyhal Generalstabschef Walerij Saluschnyj die Entscheidungen weitgehend autonom treffen. Der bisherige Verteidigungsminister Oleksij Resnikow konzentrierte sich indes auf die Außendarstellung. Letztere hatte durch einen Korruptionsskandal beim Ankauf von Lebensmitteln für die Streitkräfte zuletzt schweren Schaden genommen. (Klaus Stimeder, 6.2.2023)