Die Türkei gehört zu den Ländern, die am häufigsten von Erdbeben heimgesucht werden. Allein im 20. Jahrhundert ereigneten sich dort 111 Erdbeben mit einer Stärke von 5,0 oder höher. In den letzten fünf Jahrzehnten fanden in vier Jahren (2020, 1999, 1983 und 1975) die weltweit tödlichsten Beben in der Türkei statt. Die Weltbank schätzt die durchschnittlichen jährlichen wirtschaftlichen Kosten von Erdbeben in der Türkei auf 100 Millionen US-Dollar.

Der Grund für die beständige Erdbebengefahr liegt darin, dass in der Region zwei der größten Kontinentalplatten aneinanderstoßen, nämlich die afrikanische und die eurasische, während die Türkei selbst zum großen Teil auf der anatolischen Platte liegt. An deren nördlichem Rand – der 1.500 Kilometer langen nordanatolischen Verwerfung – traten die meisten der jüngeren Beben auf, wie der Seismologe Götz Bokelmann (Uni Wien) erklärt: "Dort wird auch ein Megabeben befürchtet, von dem dann auch der Großraum Istanbul betroffen sein könnte."

Die aktuellen schweren Beben am Montag ereigneten sich aber an der ostanatolischen Verwerfung, wo anatolische und arabische Platte aneinanderstoßen und wo es seit der Antike immer wieder zu besonders schweren Erdbeben kommt.

Vergleiche mit dem Jahr 1822

"Das Erdbeben entstand am südwestlichen Ende der ostanatolischen Verwerfung, in der Nähe der Kreuzung mit der verlaufenden Totes-Meer-Verwerfung, in einer Tiefe von etwa 18 Kilometern und breitete sich nach Nordosten aus", sagt Roger Musson vom British Geological Survey.

Der genaue Ort des Bebens von Montagfrüh.
Helmholtz Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ)

Das aktuelle Beben sei vergleichbar mit jenem von 1822, das viele Städte vollständig zerstörte und viele Opfer forderte. "Allein in Aleppo sollen damals etwa 7.000 Menschen getötet worden sein. Die Nachbeben des Ereignisses von Montagfrüh dauern an. Auch das Erdbeben von 1822 hatte viele Nachbeben, die bis in den Juni des folgenden Jahres andauerten."

Das Erdbeben von Montagfrüh hatte laut den Angaben des deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam und des US-amerikanischen Geological Survey (USGS) eine Magnitude von 7,7 oder 7,8, das Nachbeben kurz vor Mittag eine von 7,5 oder 7,6. Da die Magnitude ein logarithmisches Maß für die am Erdbebenherd freigesetzte Schwingungsenergie darstellt, werden die Unterschiede nach oben exponentiell größer.

Konkret bedeutet das am Beispiel des türkischen Bebens, dass es "etwa 250-mal so viel Energie freisetzte wie das Erdbeben der Stärke 6,2 am 24. August 2016 in Amatrice (Mittelitalien), bei dem 300 Menschen starben", erklärt Joanna Faure Walker (University College London): "Die höhere Magnitude und die freigesetzte Energie haben zur Folge, dass ein viel größeres Gebiet betroffen ist." Die Bruchlänge wird auf 300 Kilometer geschätzt. Hier hat sich mit den beiden Beben die Spannung mit verheerenden Folgen abgebaut.

Bausubstanz als wichtiger Faktor

Die Zahl der Todesopfer hängt nicht nur von der Stärke des Bebens ab, sondern vor allem von der Zahl der Menschen, die in dem betroffenen Gebiet leben, sowie von der Qualität und der Bauweise der Gebäude, wie Seismologe Bokelmann betont. Gerade bei der Bauqualität gebe es in der Türkei und in der betroffenen Region an der Grenze zum Irak große Probleme.

Zwar verabschiedete die türkische Regierung aufgrund der verheerenden Folgen des Izmit-Erdbebens von 1999 fünf Jahre später ein neues Gesetz, das vorschreibt, dass alle Gebäude modernen, erdbebensicheren Standards entsprechen müssen. "Es ist aber zu bezweifeln, dass diese Vorschriften eingehalten worden sind."

Kaum Vorhersagemöglichkeiten

Warum erdbebensichere Infrastruktur so wichtig ist, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass Erdbeben nach wie vor nicht genau vorhergesagt werden können. In seltenen Fällen sind Vorbeben ein Warnsignal. Aber selbst nach solchen Vorzeichen sei es natürlich problematisch, konkrete Evakuierungsmaßnahmen einzuleiten, so Bokelmann, da meist unklar sei, ob danach wirklich ein Starkbeben erfolgt.

Dass der Twitter-Nutzer Frank Hoogerbeets, Mitarbeiter des niederländischen Forschungsinstituts Solar System Geometry Survey (SSGEOS), das Ereignis mit erstaunlicher Genauigkeit voraussah, halten Fachleute für einen Zufall. Am Freitag twitterte er:

Hoogerbeets gab aber keinen Zeitpunkt für das Beben an. Da es in der Region bereits mehrere Beben mit mit einer Stärke von 6,0 oder höher gab, konnte man damit rechnen, dass es dort erneut zu einem starken Erdbeben kommen würde, heißt es aus Fachkreisen. (tasch, 7.2.2023)