Im März beginnt die EZB – im Bild ihr Hauptsitz in Frankfurt – mit dem Abbau ihrer aufgeblähten Anleihebestände, wenngleich zunächst nur sehr zögerlich.

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Im Vorjahr hat die Europäische Zentralbank (EZB) Erfahrung mit dem sogenannten Ketchup-Effekt gemacht. Ihr erging es bei den jahrelangen Versuchen, die zu tiefe Inflation in der Eurozone anzufachen, ähnlich wie vielen bei früher in Glasflaschen serviertem Ketchup: Erst kommt lange gar nichts, dann plötzlich fast alles auf einmal. Diese Erfahrung machte die EZB, als die Teuerung im Jahr 2022 in der Eurozone völlig aus dem Ruder gelaufen ist – und sie ihre inflationär wirkende Geldpolitik rasch umkehren musste. Der Leitzins wurde seit Juli von null auf drei Prozent gehievt und die Anleihekäufe eingestellt. Aber was passiert mit den billionenschweren Staatsanleihen, die die Notenbank seither in ihrer Bilanz mitschleppt?

Die Ratsmitglieder unter EZB-Chefin Christine Lagarde sind sich natürlich bewusst, dass dies ein heikles Unterfangen ist, will man keine Marktverwerfungen riskieren. Schließlich geht es um insgesamt fast fünf Billionen Euro an Schuldpapieren, welche die Zentralbank seit 2015 aufgekauft hat und damit dem Markt an Liquidität zur Verfügung gestellt hat. Also eine Summe von mehr als einem Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung der Eurozone, die nun den Finanzmärkten wieder entzogen werden muss, ohne Verwerfungen auszulösen.

Pro Monat 15 Milliarden Euro

Damit dies nicht passiert, hat die EZB bisher wie folgt gehandelt: Zahlt ein Staat eine ausgelaufene Anleihe zurück, hat die Notenbank diese Summe zeitnah wieder in andere Papiere des Landes investiert. Damit soll jetzt Schluss sein – zumindest teilweise und auch nur mit jenen Schuldverschreibungen mit Wert von 3,26 Billionen Euro, die die EZB unter dem normalen Kaufprogramm App zwischen März 2015 und Juni 2022 erworben hat. Vorerst nicht angetastet werden weitere 1,71 Billionen Euro aus dem Corona-Notprogramm Pepp, die zumindest bis Ende 2024 vollständig wie zuvor beschrieben reinvestiert werden.

Ab März werde die EZB die Bestände aus dem Kaufprogramm App jeden Monat um 15 Milliarden Euro verringern, bestätigte Lagarde vergangene Woche. Das bedeutet, dass dann nur noch jeweils etwa die Hälfte der getilgten Papiere wieder investiert wird. Warum geht die Notenbank dabei so langsam vor? Schließlich würde es bei diesem Tempo mehr als 18 Jahre dauern, um die Anleihen wieder aus ihrer Bilanz zu bekommen. Man möchte zunächst abwarten, wie der Markt auf die verringerte Nachfrage der EZB reagiert – konkret die Anleihezinsen Italiens, das mit einem Schuldenstand von 151 Prozent der Wirtschaftsleistung als Achillesferse der Eurozone gilt.

Zunächst keine Schwierigkeiten

Wird es tatsächlich zu Problemen kommen? "Wir glauben, dass das keine besonderen Schwierigkeiten für den Markt darstellt", sagt Konstantin Veit, Portfoliomanager beim Vermögensverwalter Pimco. Dieser Schritt sei erwartet worden, zudem gehe die EZB marktschonend vor. Allerdings erwartet der Experte, dass die Notenbank im zweiten Halbjahr das Tempo des Bilanzabbaus, wie das Abschichten der Anleihebestände auch genannt wird, erhöhen wird – zumal einige Ratsmitglieder sich bereits dafür ausgesprochen hätten.

Auf längere Sicht dürften die Hauptauswirkungen in einer beträchtlichen Zunahme der Anleiheemissionen am Markt bestehen. "Wir erwarten, dass sich das Nettoangebot an europäischen Staatsanleihen in diesem Jahr mehr als verdoppeln wird", sagt Veit. Es bleibt also abzuwarten, wie sich diese Platzierungen etwa für Italien entwickeln werden. Die zehnjährige Anleiherendite des Landes ist bereits von 0,5 Prozent vor zwei Jahren auf 4,5 Prozent in der Spitze hochgeschossen, bevor wieder eine leichte Gegenbewegung einsetzte. Wo die Schmerzgrenze für die EZB liegt, ist unbekannt – einen Ketchup-Effekt bei italienischen Anleiherenditen will die Notenbank mit dem Bilanzabbau aber sicher nicht riskieren. (Alexander Hahn, 7.2.2022)