Den Hansi Hinterseer hat die KI drauf: "Wir schifahren den ganzen Tag, wir lachen und singen / Dort wo die Berge wohnen, da ist mein Zuhause."

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"Ich bin der Sünder, ich bin der Heilige. Ich bin die Dunkelheit, ich bin das Licht." Als Nick Cave neulich befragt wurde, was er denn von diesem Refrain eines Songs halte, den eine künstliche Intelligenz in seinem Stil geschrieben habe, reagierte der Australier darauf eher nicht wohlwollend. Kunst habe schließlich auch mit Leiden, Erfahrungen, Kämpfen, Gefühlen und kreativer Erlösung zu tun. Ein Programm könne das alles nicht.

Davon kann die Japanerin Hatsune Miku schon seit Ende der Nullerjahre mehr als ein Lied singen. Sie ist der erfolgreichste virtuelle Popstar, ein Hologramm, das mit verzerrter Mickey-Mouse-Stimme unter anderem mit Lady Gaga auf Tour geht und dessen Fans für sie bis jetzt an die 100.000 Songs (!!!) auf KI-Basis in verschiedensten Sprachen und Stilen geschrieben haben.

Und immer droht die Kopie

Der neuesten Revolution auf dem Musikmarkt dürfte sich aufgrund derzeitiger rechtlicher Unklarheiten bezüglich der Verletzung von Urheberrechten erst etwas später Bahn brechen. Die auf 280.000 Stunden Musikdaten beruhende Google-KI MusicLM wird derzeit allerdings noch zurückgehalten. Die Gefahr scheint groß, dass Musik produziert wird, bei der es sich zu einem gewissen Prozentsatz um Kopien bereits existierender Produkte handelt.

Kumo no Sekai 3.0

Die Musik bei MusicLM wird anhand möglichst ausführlicher Texteingaben generiert: "Schreibe ein deutsches Durchhaltelied einer Frau, die von ihrem Freund verlassen wurde. Wähle dafür einen mit Streichersamples versehenen Discoschlager im Stile der Pet Shop Boys, die sich auf Gloria Gaynors I Will Survive berufen." Das Ergebnis lautet: "Verlassen, aber nicht gebrochen / Ich werde überleben, ich werde nicht aufgeben / Ich bin stärker als alles, was mich niederdrückt / Ich bin bereit, mich zu erheben."

Das so produzierte Lied dürfte ziemlich gut auf ein Album von Helene Fischer oder Andrea Berg passen. Speziell bei Fischer ist es wahrscheinlich ähnlich wie bei Beyoncé ohnehin längst egal, ob ich pro Lied eine halbe Reisebusladung Komponisten beschäftigen muss, die beim ohnehin unterkomplexen musikalischen Spektrum zwischen Party-Schlager, Song-Contest-Durchhalteballade, Goldene-Hochzeit-Techno, Reihenhaus-Rock sowie lyrischem Bullshit-Bingo für ausgleichende Parameter sorgen – und auf barrierefreie Verkaufstauglichkeit setzen. Wir werden uns noch wundern, was auf Radio Burgenland alles geht!

Wenn man das derzeitige KI-Textprogramm ChatGPT befragt, wie man am besten einen Liedtext schreibt, der etwa beim Eurovision Song Contest oder dem Grand Prix der Volksmusik Chancen hat, bekommt man vorab gute Ratschläge.

Emotion ist eine Waffe

Nicht nur die Sängerinnen müssen sich den Text merken können, auch das Publikum. Der Text muss starke Gefühle hervorrufen. Emotion ist eine mächtige Waffe. Der Text muss eine universelle Botschaft beinhalten. Die Worte müssen einfach sein und für alle Menschen verständlich sein. Die Melodie ist sehr wichtig. Sie trägt die Botschaft. Man muss sehr kreativ sein und schließlich auch versuchen, dass sich das Lied von den anderen Liedern des Song Contests oder des Grand Prix unterscheidet.

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Speziell der letztgenannte Tipp mag sich als schwierig erweisen. Immerhin kommt beim zumindest für Schlagermusik optimalen Programm ChatGPT im Zeichen des "Malens nach Zahlen" relativ platte Lyrik heraus. Für deren kreative Eigenständigkeit möchte man eher nicht die Hand ins Feuer legen. Nehmen wir zum Beispiel den beliebten Da-wo-die-Berge-wohnen-Sänger Hansi Hinterseer. Einen KI-Text wie den folgenden kriegen wir mit unserem eigenen neuronalen Netz und Trash-Algorithmus gerade noch selber hin: "In den Bergen, da ist mein Glück / Ich genieße die Zeit mit Freunden und einem Glas Wein / Wir skifahren den ganzen Tag, wir lachen und singen / Dort wo die Berge wohnen, da ist mein Zuhause."

In der grauen Vorzeit hat man gelernt, dass man nicht alles wissen muss. Man muss nur wissen, wo man nachschaut. Für Schlagermusik empfiehlt sich etwa auch eine altmodische Glückwunschpostkartenseite: "Greif nach den Sternen und fliege zum Mond. / Reite ein Einhorn und tanze mit Elfen. / Glaube an Wunder und Liebe. Und höre nie auf zu träumen." Wunderbar! (Christian Schachinger, 7.2.2023)