Laut Bröchler waren "viele kleine Puzzleteile" für das Debakel verantwortlich.

Foto: Imago/Mauersberger

Es ist eine Premiere in der Geschichte Deutschlands. Zum ersten Mal wird eine Landtagswahl komplett wiederholt, weil der ursprüngliche Urnengang, laut einem Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofes den "rechtlichen Anforderungen an demokratische Wahlen nicht genügt" hat.

Bei der Wahl 2021 war die SPD als stärkste Kraft hervorgegangen, die Grünen kamen auf Platz Zwei. Die beiden und die Linkspartei bilden seither die rot-rot-grüne Regierung, Bürgermeisterin ist Franziska Giffey (SPD).

STANDARD: Schwere Fehler prägten die letzte Berlin-Wahl. Klappt es diesmal besser?

Stephan Bröchler: Wir tun alles dafür – auch wenn wir in einer Ausnahmesituation sind. Normalerweise hat man ein Jahr Zeit, um sich auf eine Wahl vorzubereiten. Wir hatten nach dem Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofes nur 90 Tage.

STANDARD: Was läuft anders als bei der Pannen-Wahl 2021?

Bröchler: Damals waren an einem Tag Bundestagswahl, Wahl zum Abgeordnetenhaus und für die Bezirksverordnetenversammlungen, Volksentscheid und Marathon.

STANDARD: Klar, da war viel los. Aber muss daran in einem Land wie Deutschland eine Wahl scheitern?

Bröchler: Es gab nicht das eine Schlüsselereignis, das zum Debakel geführt hat, vielmehr waren es einige kleine Puzzleteile – etwa fehlende oder falsch sortierte Stimmzettel. Es gab auch nur zwei Wahlkabinen in Wahllokalen – viel zu wenig.

STANDARD: Ist das diesmal anders?

Bröchler: Wir haben jetzt mindestens drei und mehr Kabinen in den Wahllokalen, und wir haben auch berechnet, dass die Wählerinnen und Wähler mehr Zeit zum Ausfüllen des Stimmzettels brauchen. Wir haben zudem mehr Papier für die Wahlzettel bestellt, was nicht so einfach war, weil Papierfabriken in der Ukraine ausgebombt sind.

STANDARD: Fanden Sie genug Wahlhelferinnen und Wahlhelfer?

Bröchler: Ja. Zuerst fürchteten wir, dass wir nach der Pannenwahl nicht genug Leute bekommen. Aber es gab sogar einen Ansturm. Das Erfrischungsgeld wurde von 60 auf 240 Euro erhöht. 2021 hatten wir 35.000 Wahlhelfer. Jetzt bräuchten wir 42.000, bereit wären 52.000. Ein Gutes hat die Sache ja: In Berlin wurde noch nie so viel über Wahlen gesprochen wie diesmal.

STANDARD: Wird sich das auf die Wahlbeteiligung auswirken?

Bröchler: Die 77 Prozent vom Jahr 2021 werden wir wohl nicht erreichen. Über 60 Prozent freue ich mich, wünschen würde ich mir 70 Prozent.

STANDARD: Es passierten auch jetzt wieder Pannen. In Neukölln stand ein FDP-Kandidat auf dem Stimmzettel, der weggezogen war.

Bröchler: Eine zu einhundert Prozent reibungslose Wahl gibt es nirgendwo. Aber wenn Fehler auftreten, nehmen wir jeden Hinweis ernst und korrigieren ihn, wie auch in diesem Fall. Denn wir müssen mit dieser Wahl jetzt etwas gutmachen. Wir zeigen, dass wir nichts unter den Teppich kehren.

STANDARD: Wie groß war der demokratiepolitische Schaden durch die verpatzte Wahl?

Bröchler: Die Pannenwahl schadet Berlin schon. Sie hat zu einem deutlichen Vertrauensverlust geführt. Meine Hauptaufgabe ist eigentlich, Vertrauen zurückzugewinnen. Berlin kann Wahlen organisieren – das wollen wir zeigen.

STANDARD: Den Preis zahlen die Bürgerinnen und Bürger. Auf den Bürgerämtern passiert noch weniger.

Bröchler: Ja. Sie müssen noch mal zur Wahl gehen, und jetzt sind auch Bürgerämter geschlossen, weil die Mitarbeiter für die Wahlorganisation gebraucht werden. Da zeigen sich die strukturellen Probleme in Berlin. Es wurden in der Verwaltung enorm viele Stellen eingespart. Ich verstehe, dass viele sauer sind. Auch ich wollte meinen alten Führerschein umschreiben lassen und bekomme keinen Termin am Bürgeramt. Aber die Durchführung der Wahl hat Priorität.

STANDARD: Sie haben sogar OSZE-Wahlbeobachter eingeladen. Ist das nicht übertrieben?

Bröchler: Wir wollen Vertrauen zurückgewinnen. Was kann da besser sein als eine Organisation, die von außen draufschaut? Aber die Experten kommen nicht, weil sie der Meinung sind, dass Berlin das schafft. Das war schon ein dickes Lob.

STANDARD: Wann atmen Sie am Wahlsonntag auf?

Bröchler: Wenn um 18 Uhr gemeldet wird, dass es keine Schlangen vor den Wahllokalen, keine Probleme bei der Stimmabgabe beziehungsweise der Stimmauszählung und auch keine Cyberangriffe gegeben hat. Und dann fangen wir mit einer großen Wahlreform erst richtig an. (INTERVIEW: Birgit Baumann aus Berlin, 7.2.2023)