Irland hat sich lange gegen die Mindeststeuer gestellt – wenig überraschend, wenn man bedenkt, wie viele Konzerne ihren Sitz in der europäischen Steueroase haben.

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Gewinnverschiebungen, Steuerumgehungen, Steuerschlupflöcher – für das, was große Konzerne betreiben, um ihre Gewinne möglichst gering zu versteuern, haben sich viele Begriffe medial etabliert. Angetrieben durch die fortschreitende Globalisierung und Digitalisierung wird das Ausmaß entgangener Steuereinnahmen immer größer. In Österreich sind es mittlerweile rund 1,3 Milliarden Euro, wie der STANDARD berichtete. Weltweit belaufen sich die Steuerumgehungen Schätzungen zufolge auf bis zu 240 Milliarden US-Dollar jährlich.

Seit 2014 versucht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) mit Maßnahmen gegenzusteuern, die wohl mächtigsten Werkzeuge sind aber noch nicht in Kraft: eine Neuzuordnung der Besteuerungsrechte und – groß angekündigt – eine Mindestbesteuerung multinationaler Konzerne. Besonders Letztere hatte für viel Aufsehen gesorgt, nicht zuletzt aufgrund monatelanger Blockaden innerhalb der Europäischen Union.

Umsetzung in EU bis Ende 2023

Dabei gab sich ausgerechnet die EU von Beginn an gewillt, die Konzernbesteuerung auf neue Beine zu stellen – selbst ein Alleingang stand im Raum. Im Oktober 2021 schließlich einigten sich 137 Länder auf eine von OECD und G20 initiierte Reform. Die EU bestimmte mit, bei der Umsetzung übernimmt sie nun gewissermaßen die Vorreiterrolle.

Anfang 2024 soll die 15-prozentige Mindeststeuer in allen Mitgliedsstaaten in Kraft treten. Bis Ende 2023 gilt es, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.

Skandale um Steuerumgehungen großer Techkonzerne waren in der Vergangenheit keine Seltenheit. Auch Apple machte sich durch komplizierte Konzernstrukturen die Schwächen des internationalen Steuersystems zunutze.
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Auf wen die Mindeststeuer abzielt

Doch wie funktioniert die Besteuerung eigentlich? Und auf wen zielt sie ab?

Der 15-prozentige Mindeststeuersatz betrifft nationale wie internationale Unternehmen mit Sitz (Mutter- oder Tochtergesellschaft) in der EU, die einen jährlichen Umsatz über 750 Millionen Euro aufweisen. Die Umsetzung erfolgt über mehrere Ebenen; stark vereinfacht läuft es wie folgt: Betroffene Konzerne ermitteln ihre effektive Gewinnbesteuerung selbst, aufgedröselt auf jedes Land einzeln, in dem sie Steuern zahlen.

Liegt der effektive Steuersatz in einem Land unter dem Mindestsatz, greift die sogenannte top-up tax. Die Differenz zwischen effektivem und Mindeststeuersatz wird also für das jeweilige Land nachbesteuert.

Kritik: Umsatzgrenze zu hoch, Steuersatz zu niedrig

Vorgesehen ist, dass diese von den betroffenen Ländern – oft jene mit besonders niedrigen Steuersätzen – selbst eingehoben wird. Ist dies nicht der Fall, wandert die Nachbesteuerung in das Land des Mutterkonzerns. Wird auch dieses nicht tätig, etwa weil es außerhalb der EU liegt und die Regeln nicht mitträgt, gehen die Besteuerungsrechte letztlich an die Quellenländer über.

"Ein zentrales Problem ist, dass durch die hohe Umsatzgrenze viele kleinere Konzerne gar nicht unter die neue Regelung fallen", kritisiert Martina Neuwirth vom Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC). 750 Millionen Euro seien zu hoch angesetzt, der Mindeststeuersatz von 15 Prozent dafür zu niedrig. Zum Vergleich: In der EU gelten bereits Unternehmen ab einem Jahresumsatz von 40 Millionen Euro als Großbetriebe.

Was die Höhe der Mindeststeuer betrifft, sei diese "selbst in der EU ein bisschen wenig". Im Schnitt beträgt die Unternehmensbesteuerung in der EU knapp über 21 Prozent, die Mindeststeuer sei damit sogar ein Anreiz, die Körperschaftssteuersätze weiter zu verringern.

"Statt dem Minimum könnten die 15 Prozent das globale Maximum werden", warnt die Steuerexpertin des einst von Bruno Kreisky gegründeten Thinktanks VIDC. Unternehmen unterhalb der Umsatzgrenze könnten mit niedrigen Steuern weiter angelockt werden – und auch Großkonzernen sei es letztlich "egal, wo sie die 15 Prozent zahlen".

Keine gerechtere Verteilung

Letzten Endes sorge die Umsetzung der Mindeststeuer dafür, dass erst recht jene Länder davon profitieren, die ohnehin Nutznießer des Steuersystems sind. Die Rede ist zum einen von Niedrigsteuerländern im wohlhabenden Westen – also ausgerechnet jenen Ländern, Irland und Ungarn miteingeschlossen, die sich anfangs quergestellt haben.

Zum anderen – das zeigen Analysen um die globalisierungskritische NGO Attac, die Schweizer NGO Alliance Sud sowie das aus Entwicklungsländern bestehende South Centre – scheinen es auf globaler Ebene einmal mehr die reichen Industriestaaten zu sein, die besonders stark profitieren dürften. Länder des Globalen Südens, in denen der Mehrwert eigentlich geschaffen werde, drohten hingegen leer auszugehen. Ihre Unternehmenssteuersätze sind im Schnitt deutlich höher, gleichzeitig ist die Kaufkraft im Land deutlich niedriger – und damit auch die zu versteuernden Gewinne.

Steuerexperte: Geringere Umsatzgrenze wenig sinnvoll

Dass die Mindeststeuer damit unwirksam ist, lässt Claus Staringer nicht gelten. Der Unternehmensrechtsexperte der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und Partner der globalen Anwaltskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer analysiert nüchtern: "Der Mindeststeuer geht es überhaupt nicht darum, wo sie eingehoben wird – nur darum, dass es passiert." Ziel sei die Wettbewerbsgleichheit aller Unternehmen, was deren steuerliche Belastung betrifft. Eine faire Verteilung entlang der Wertschöpfungskette steht dabei nicht im Vordergrund.

Auch die Umsatzgrenzen hält er für angebracht. "Eine echte Steueroase gibt es dann nicht mehr", ist er überzeugt. Unternehmen mit einem Umsatz oberhalb der 750-Millionen-Euro-Grenze würden unabhängig vom Standort gleichermaßen besteuert, länderspezifische Standortvorteile würden damit deutlich begrenzt werden.

Die Grenze zu senken, um auch Konzerne und Unternehmen mit geringeren Umsätzen mit dem Mindeststeuersatz zu belegen, hält Staringer für wenig sinnvoll. "Das System der Mindeststeuer ist erheblich komplex, für kleine Unternehmen überkomplex." Die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben wäre zu undurchsichtig für kleinere Unternehmen, die entsprechenden Compliance-Costs für viele wohl unverhältnismäßig hoch. (Nicolas Dworak, 7.2.2023)