Im Spiegelkabinett der Blicke, auch wenn nur eine Zahnbürste gereicht wird. Die Chemie zwischen Seo-rae (Tang Wei) und Hae-joon (Park Hae-il, re.) ist sinnlich wie komisch zugleich.

Foto: Filmladen

Die chinesische Migrantin Seo-rae (Tang Wei) ist eng mit dem Element Wasser verbunden – in den Bergen hat sie Höhenangst.

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Es ist ja nicht die feine Art, einen asiatischen Regisseur über einen europäischen einzuführen. Man möchte ja nicht andeuten, die asiatische sei der europäisch-US-amerikanischen Kinotradition nachgereiht. Ist sie natürlich nicht. Doch es gab so etwas wie Kulturimperialismus, der in Südkorea der 1970er-Jahre dazu geführt hat, dass der junge Park Chan-wook mit Filmen aus dem Westen aufwuchs. Und das ohne Untertitel, was seine Begeisterung für visuelles Erzählen begründet haben mag.

So regte denn auch ein James-Bond-Film die kinematografische Fantasie des jungen Park an, und nachdem er Hitchcocks Vertigo gesehen hatte, war er sich seiner Berufung sicher. Um 2000 feierte er seine ersten Erfolge und erstritt für Korea endlich einen Platz auf der Kinoweltkarte. Nicht mit Arthouse-Perlen wie China zehn Jahre zuvor, sondern mit populärem Genrekino der ausgefuchstesten Art. Seine "Vengeance-Trilogie" war Anfang der Nullerjahre international ein Riesenerfolg, mit illustren Fans wie Quentin Tarantino und Spike Lee, der seinem Kultfilm Old Boy ein Hollywood-Remake bescherte. Wohl war er auch etwas neidisch, nicht selbst auf die Idee gekommen zu sein, einen Mann, der jahrelang eingesperrt war, ohne zu wissen, warum, auf Rachemission zu schicken.

Von der Rache zur Erotik

Ins heurige Jahr fällt der sechzigste Geburtstag des 1963 geborenen Koreaners, der sich in seinen jüngeren Filmen von der Rache ab- und der Erotik zugewandt hat. Am erfolgreichsten in dem Historien-Erotiktriller The Handmaiden, der im von Japan okkupierten Korea beginnt und als lesbische Befreiungsgeschichte auf hoher See endet. Parks Stil und Witz im Umgang mit dem abgeschmackten Duo Eros und Thanatos ist erfrischend ungewöhnlich und rückt ihn, gepaart mit der gekonnten Art, Blicke zu lenken, dann doch wieder an Hitchcock heran.

Wie ein Remake des Hitchcock-Thrillers Shadow of a Doubt (1943) nimmt sich denn auch Stoker von 2013 aus, eine internationale Produktion mit Nicole Kidman und Mia Wasikowska als Mutter-Tochter-Gespann, das vom plötzlichen Auftauchen des zwielichtigen Onkels Charlie aus dem Konzept gebracht wird. Stoker versteckt bereits Bildmotive, die nun auch in Parks neuem Film Die Frau im Nebel auftauchen: die gefährliche Erotik eines Männergürtels, das Machtgefälle von Treppenaufgängen und die Tragik von Sandhügeln.

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Die Frau im Nebel ist eines der Meisterwerke, die heuer bei den Oscar-Nominierungen "gesnubbt", also übergangen und "brüskiert" wurden. Den Regiepreis in Cannes hat sich Park Chan-wook letztes Jahr aber redlich verdient, denn seine Inszenierung der verschachtelten Kriminalgeschichte ist fesselnd, stilvoll, einfallsreich, obgleich die Story keineswegs neu ist.

Ein arbeitssüchtiger Polizist mit Augenleiden ermittelt in einem Fall, in dem ein Mann von einem eigentümlich alleinstehenden Kletterfelsen gestürzt ist. Ein Unfall wird ausgeschlossen, und der Polizist verhört die Ehefrau des Opfers. Eine junge Chinesin, Altenpflegerin und ehemals illegale Immigrantin, die ihren Ehemann aus Einbürgerungsgründen heiratete.

Eine stille Obsession

Trotz des Mordmotivs fühlen sich die verdächtige Seo-rae und der Ermittler Hae-joon zueinander hingezogen. Unter der Beobachtung der anderen Polizisten werfen sie sich im Befragungszimmer aufgeladene wie misstrauische Blicke zu und versuchen aus Verlegenheit, Sprachbarrieren mithilfe einer Übersetzungs-App zu überwinden. Seiner Obsession erliegt Hae-joon schließlich während der nächtlichen Überwachungen, in denen sich sein Körper sprichwörtlich vom Fernglas löst und sich wie ein unsichtbarer Spion in die Wohnung Seo-raes begibt.

Nach und nach kommt es auch abseits der Fantasie zur Annäherung, trotz Ehefrau und Befangenheit, doch wer – The Handmaiden oder Basic Instinct im Sinn habend – an eine leidenschaftliche Affäre denkt, irrt. Die Spannung verharrt in Blicken und Gesten.

Wiederbegegnung am Meer

Schließlich wird der Fall als Suizid deklariert, und damit endet auch die ungewöhnliche Beziehung Seo-raes und Hae-joons. Ein Jahr später begegnen sich beide in der Küstenstadt wieder, in der er mit seiner Frau lebt – und abermals steht Seo-rae im Zentrum eines Mordes.

Das ist aber mittlerweile ganz unwichtig geworden, denn im Grunde geht es nur noch darum, ob die zwei zueinanderfinden. Davon erzählt Park, indem er von der Vertikalen in die Horizontale geht, vom steinernen Felsen und der hügeligen Großstadt in die flache Küstenregion, ans Meer. Am Ende steht dann eine der schönsten und herzzerreißendsten Schlussszenen, die das Kino seit langem hervorgebracht hat. Ein Hügel aus Sand, der langsam von den Wellen abgetragen wird. (Valerie Dirk, 7.2.2023)