Es tut mir leid, aber ich kann das gerade nimmer hören: Wir sind erwachsen. Niemand wir gezwungen, sich zu bewegen. Zu laufen. Sich aufs Rad zu setzen oder ins Fitnesscenter zu gehen. Wer will, der tut – wer nicht will, nicht. Denn auch Nixtun ist legitim. Gerade wenn es draußen eisig stürmt und das Wetter "wää" ist.

Nur will ich dann bitte auch kein Geseiere und Gejammere über das Nichterreichen der "Sommer-", vulgo "Strandfigur" bis zum Beginn der Badesaison hören.

Das geht nämlich spätestens Ende März los.

(Ach ja: Da Männer und Frauen da längst in etwa gleich jammern, versuche ich das Wort "Bikinifigur" seit Jahren zu vermeiden. Sollte es hier dennoch aufpoppen, bitte ich um Dispens: Das Dilemma hinter dem Begriff ist geschlechtsneutral – "Badehosenfigur" klingt aber zu fad.)

Foto: Tom Rottenberg

Worum es geht? Um einen ganz einfachen Satz: Sommerkörper werden im Winter geformt, lautet er. Er stimmt. So oder so: Sei es durch gemütliches Durchtauchen von Kalt- und Schlechtwetterperioden auf der Couch. Oder ganz und gar nicht gemütliches Durchbeißen draußen, um Trainingsziele zu erreichen. Manchmal helfen eh auch Adaptionen von Outdoor-Trainingseinheiten nach Indoor, wenn man wetterbedingt keinen Hund vor die Tür jagen würde.

Wobei dieses Bild nicht stimmt: Gerade mit Hund ist Rausgehen alternativlos. Aber anstelle von so abgeschmackten wie wahren Plattitüden, dass es kein schlechtes Wetter, sondern nur falsche Ausrüstung gibt, wiederhole ich, was mir mein erster Hund beibrachte: Sogar bei Sprichwort-Wetter kann "draußen" Spaß machen. Sehr sogar. Einstellungssache.

Foto: Tom Rottenberg

"Sommerkörper" bezieht sich hier aber längst nicht ausschließlich darauf, was am Strand dann an (sic!) Bikini-, Sixpack- und sonstigen Figuren zu sehen ist oder gezeigt wird. Egal ob von einem oder einer selbst oder den Menschen ringsum.

Denn der Konnex zwischen "Sommerkörper" und "Form" ist auch in meiner Sportwelt offensichtlich: Ziele setzt man sich besser mittel- bis langfristig.

Die meisten meiner Buddies haben ihre Wettkampfplanung für diese Saison spätestens im Herbst des Vorjahres fixiert.

Nicht zuletzt aus logistischen Gründen: Der Versuch, bei angesagten, also großen, Bewerben überhaupt an Startplätze zu kommen, bedingt oft mehrjährige Warte- oder Vorlaufzeiten. Ungeachtet von Training und Sport.

Foto: Tom Rottenberg

Dem unterwirft sich dann alles. Also auch die Urlaubs- und Reiselogistik. Ein Jahr? Ja: Versuchen Sie mal, jetzt noch ein akzeptables Quartier in Startnähe für den Ironman in Klagenfurt (Anfang Juli) zu bekommen. Oder in Roth (Ende Juni). Oder melden Sie eine Woche vor der Tri-Langdistanz von Barcelona (Oktober) zwei Fahrräder als Sportgepäck auf einem Flieger dorthin an: Es wird schon irgendwie klappen, aber ich wünsche Ihnen trotzdem Glück – und gute Nerven.

Aber viel, viel wichtiger: eine Familie, die mitspielt. Denn auch wenn es Ihnen "nur" um die Mega-Marathons von Boston, Tokio oder London geht, brauchen Sie ein Umfeld, das Ihnen diese "Stunts" ermöglicht. Oder verzeiht, dass sich zeitlich und sportlich ein Jahr lang alles um dieses eine Ziel drehen wird. Ja eh: Das gilt auch für das berufliche Zeitmanagement.

Foto: Tom Rottenberg

Abgesehen davon ist aber noch etwas wichtig: Der Sommerkörper, die Wettkampfform also, kommt aus dem Winter. Da wird das Fundament gelegt, der Rohbau errichtet. Ohne Wintertraining geht gar nix.

Ja, klar ist das auch eine No-na-Ansage. Weil man sich Kraft, Technik und Ausdauer nicht drei Tage vor einem Wettkampf (egal in welcher Sportart) aus einem Youtube-Tutorial holt: Das dauert – und setzt Wollen und Durchhaltevermögen voraus. Sie meinen, das sei alles eh klar?

Dann fragen Sie einmal Trainer oder Vereinssportler und Vereinssportlerinnen in Ihrem Umfeld über die Vorstellungen, mit denen Menschen mit frisch gefassten sportlichen Vorsätzen oft daherkommen.

(Im Bild: Gudrun und Andreas sind Surfer. Um ihre Paddelskills nicht zu verlieren, trainieren sie auch im Jänner in der Alten Donau.)

Foto: Tom Rottenberg

Dass ein Marathon (im Bild: der "Seeschlacht"-Weihnachtslauf in Langenzersdorf) meist länger als zweieinhalb Stunden dauert, ist vielen, die seit ihrer Schulzeit keine fünf Kilometer am Stück gelaufen sind (wenn überhaupt je), oft wirklich nicht bewusst. Sätze wie "in drei Trainingswochen krieg ich das schon hin: Da rennen ja auch Dicke mit", fallen da tatsächlich.

Mich fragte ein Nachbar einmal, ob beim Triathlon zwischen den einzelnen Disziplinen jeweils ein oder zwei Tage Pause lägen – er wolle das "mit einem Hawaii-Urlaub kombinieren".

Mich wundert das nicht (mehr): Wer nur 20-Sekunden-Videoclips kennt, hat keinen Bezug zu irgendetwas. Der Durchschnittsskigast glaubt ja auch, die Streif in einem durch fahren zu können.

Lauftraining im Winter? Wer soll bitte so was brauchen?

Foto: Tom Rottenberg

Aber es geht um noch etwas. Etwas, das über reine Leistungsfähigkeit hinausgeht: um den Kopf. Auch der braucht Zeit. Muss "ankommen" – und sich einstellen. Subjektiv, also ganz unabhängig von der in Zahlen fassbaren Intensität: Ich habe in einer Laufgruppe eine Frau, die seit dem ersten Tag von mittlerweile drei Schwangerschaften keinen Schritt gelaufen ist. Davor eher auch nicht.

Jetzt, nach angeblich "14 absolut sportfreien" Jahren, sind ihre Ziele (der Fünfer beim Frauenlauf, "vielleicht sogar der Zehner in der Wachau") für sie wohl eine auch mental größere Herausforderung als alles, was ich für mich auf dem Plan habe: Ich weiß, worauf ich mich einlasse. Dass ich es kann oder mal konnte. Und: Auch Scheitern kenne ich.

Doch für sie ist jeder Schritt Neuland. Das braucht Mut, Hingabe – und Vorbereitung. Körperlich und im Kopf. Das beginnt Monate bevor man sich die Startnummer umschnallt: jetzt nämlich.

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Das große Problem ist immer der erste Schritt. Seit jeher – aber im Winter besonders. Manchmal auch im Wortsinn.

Den Satz von der Sommerform, die im Winter entsteht, abnicken? Eh klar, das kann und tut jeder, solange die Füße trocken und warm sind.

Ihn umzusetzen, ins kalte Wasser zu (äh, in dem Fall) steigen, ist aber etwas anderes. Nicht nur auf individueller, sondern auch auf – sagen wir mal – "institutioneller" Ebene: bei Firmenlaufgruppen etwa. In der Regel beginnt da die Saison Mitte März oder im April – und endet nach dem Businessrun.

Als Ziel geben die meisten Läuferinnen und Läufer da die "großen" Läufe an. Läufe, für die Arbeitgeber oft Startplätze stellen: Frauenlauf, Wings for Life, VCM, Kärnten läuft, Wachau-Marathon, Nightrun …

Keine Frage: Das ist wirklich super.

Foto: Tom Rottenberg

Aber. Wer ein bisserl ernsthafter an die Sache herangeht, beginnt nicht erst im März mit dem Training: Wien-Marathon ist heuer am 23. April. Wer dort auch nur einen Staffelteil laufen will, sollte längst trainieren: Die VCM-Macher bitten ja nicht ohne Grund seit Jahren zu ihren winterlichen Vorbereitungsläufen (hier: der von vorletzter Woche).

Dass Firmenlauftrainingsgruppen meistens dennoch erst im Frühjahr starten, hat trotzdem Anlass und Berechtigung: Bis auf eine Handvoll "Die Hards" kommt im Winter nämlich exakt niemand zu den organisierten Lauftreffs. Und die, die kommen, laufen auch ohne Arbeitgeber-Anschubser.

Foto: Tom Rottenberg

Nicht das einzige Henne-Ei-Ding: So wie mir Ski fahren mittlerweile nur noch abgeht, wenn in der Stadt Schnee liegt (und ich nicht zeitgleich mit Videos von Staus auf überfüllten Pisten zugespamt werde), ist das wohl für viele Menschen auch mit dem Laufen: Das Bild im Kopf muss zum Bild vor der Nase passen.

Wenn das nicht so ist, bleibt man eben drin – und lässt es. Gerade wenn es "ungemütlich" ist: Laufen, Sport, bedeutet ja an sich schon das Verlassen von Komfortzonen. Räumlich wie körperlich.

Und das Wetter der letzten Tage und Wochen war weder verlockend noch überzeugend. Man musste schon lange überzeugt sein, um da überhaupt rauszugehen.

Foto: Tom Rottenberg

Wer drinbleibt, weiß und spürt irgendwann sogar, wie sich die Summe der aufgeschobenen oder gestrichenen Trainingsläufe auf die Formkurve auswirkt. Das tötet die Lust. Auf "Auf ein Mal kommt's nicht an" folgt "Eh schon wurscht". Das führt zu "Lassen wir es einfach ganz" – sogar wenn dann draußen die Sonne wieder scheint.

Denn das erste Newtonsche Axiom ist nicht nur in der Physik, sondern auch auf der Couch ein Naturgesetz: "Jeder Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit, wenn der Körper nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern." Sofasitzen ist eine gleichförmige Bewegung bei konstanter Geschwindigkeit und "wäää"-Wetter keine "einwirkende Kraft", die zu Bewegungsänderungen "zwingt". Eher im Gegenteil.

Auch so werden Sommerkörper im Winter geformt – das ist nämlich keine Einbahn.

Foto: Tom Rottenberg

So weit, so unspektakulär. Dachte ich, lag aber falsch. Denn der "Sommerkörper"-Satz kann Wut auslösen. Etwa dann, wenn er (warum wohl?) als Hinweis auf etwas verstanden wird, woran man selbst auf gar keinen Fall erinnert werden will. Etwa dass Bewegungsmangel zu den Auslösern von 1.001 "Zivilisationskrankheiten" gehört.

Wenn man den Spieß umdreht, kann man diesen Satz dazu instrumentalisieren, weder kritisiert zu werden noch Themen wie "Bewegungsmangel", "falsche Ernährung" oder "Übergewicht" je wieder auf die Agenda zu lassen. Wie? Ganz einfach: Eine Prise "Wokeness", und schon wird das Wort "Strandkörper" als "Bodyshaming" gelesen. Ein Übergriff also: Ab seiner bloßen Behauptung ist schon der frei hineinassoziierte BMI-Bezug diskriminierend – und das darf nicht sein.

Foto: Tom Rottenberg

Klingt grotesk, funktioniert aber. Der Satz trug mir in einer Online-Debatte unlängst einen fein choreografierten Shitstorm ein: Die Begriffe "Sommerkörper" und "Strandfigur" ("Bikinifigur" war nicht gefallen) seien "übelstes Bodyshaming" und "patriarchalisch-sexistische Boomer-Angriffe auf Personen, die sich den Normen der Schönheitsindustrie verweigern". Jo eh.

Aber die erwünschte Wirkung trat ein: Von Bezügen zu Übergewicht und Bewegungsarmut, baten die Moderatorinnen und Moderatoren, möge man in dieser Gruppe "bis auf Weiteres" bitte absehen – "da es zu Verletzungen führt".

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Was man auf so etwas antwortet? Gar nichts: Es ist sinnlos.

Doch vor ein paar Jahren lachte mir aus der "Zeit" oder der "Süddeutschen" ein Satz entgegen: "Sie kaufen einen Bikini. Sie haben eine Figur. Wenn Sie den Bikini tragen, haben Sie eine Bikinifigur," lautete er sinngemäß – stammte aber aus einer Prä-Gendersprech-Zeit.

Heute würde man neutraler formulieren: "Dort ist der Strand, hier Ihr Körper. Wenn Sie an den Strand gehen, haben Sie einen Strandkörper."

Oder einfacher: "Sie haben einen Körper. Im Sommer ist das Ihr Sommerkörper." Und es ist Ihre ureigenste, private Entscheidung, wie Sie den formen – aber Sie tun es. Genau jetzt. Im Winter. (Tom Rottenberg, 7.2.2023)


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