Wiener Forschende haben ein Photon durch die Zeit zurück in seinen Urzustand versetzt.

Foto: Pollak

Die Quantenwelt ist ein unglaublich empfindlicher Kosmos. Allein schon die Beobachtung der Ereignisse auf dieser Ebene aller Dinge kann dort vieles verändern. Im Vergleich dazu ist die Alltagsphysik verhältnismäßig robust: Man kann zusehen, wie ein Glas zu Boden fällt und zerbricht, ohne dass dies den Prozess groß beeinflussen würde. Und man kann sich darauf verlassen, dass sich das Glas nicht wieder zusammensetzt und auf den Tisch springt – mit anderen Worten: Die Zeit rückwärts läuft. Das verhindert der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik, dem zufolge in jedem geschlossenen System der Grad der Unordnung (Entropie) zunimmt.

In der Quantenphysik gelten andere Regeln, aber auch diese erlauben eine Prozessumkehr scheinbar nicht. Eines der Kernprinzipien der Quantenphysik ist, dass sich Systeme allein durch Beobachtung verändern. Dies macht es im Prinzip unmöglich, die Veränderung eines Systems in der Zeit zu verfolgen und den Prozess umkehrbar zu machen.

Doch die Gesetze der Quantenmechanik eröffnen auch ungewöhnliche Wege – und diese haben Wiener Physikerinnen und Physiker zu einer Möglichkeit geführt, in einem Quantensystem gleichsam die Zeit rückwärts laufen zu lassen und dessen Entwicklung wieder in den Anfangszustand zu versetzen. Wie sie im Fachjournal "Optica" berichten, ist es dazu nicht einmal notwendig, den Anfangszustand zu kennen.

Rewinding-Protokoll

Der theoretische Physiker Miguel Navascues vom Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien hat nun ein sogenanntes "Rewinding-Protokoll" erdacht. Damit kann man mithilfe eines eleganten mathematischen Tricks Veränderungen in einem Quantensystem über die Zeit umkehren – und das, ohne zu wissen, wie dieses ursprünglich ausgesehen hat. Vereinfacht gesagt wird dabei die Entwicklung des Systems mit einer anderen Entwicklung gekoppelt.

Dem Team um Philip Walther von der Universität Wien und dem IQOQI ist es nun gelungen, dieses theoretische Rezept experimentell zu realisieren. Bei dem Quantensystem handelt es sich um ein einzelnes Photon, dessen Polarisation mehrfach verändert wird. "Es war eines der schwierigsten Experimente, die wir je für ein einzelnes Photon aufgebaut haben", erklärte Walther.

Ein Wiener Team konnte nun zeigen, dass sich die Zeitentwicklung eines Quantensystems auch ohne das Wissen um den Anfangszustand umkehren lässt. Es muss nicht einmal bekannt sein, wie genau man mit dem System interagieren muss, um die Entwicklung umzukehren.
Foto: Uni Wien/Christine Schiansky

Lichtteilchens Reise

Um das theoretische Rezept zu realisieren, haben die Physiker diese Entwicklung des Photons mit einer zweiten Operation – ebenfalls eine Veränderung der Polarisation – überlagert, "sodass wir nicht mehr wissen, welcher der beiden Prozesse zuerst kommt", so Walther. Die zweifache Anwendung dieses sogenannten "Quantenswitch" ermöglicht ihnen, die Zeit rückwärts laufen zu lassen, und das Lichtteilchen erreicht wieder jenen Zustand, den es zu Beginn seiner Reise hatte. Bemerkenswert dabei ist, dass man dafür nicht wissen muss, wie sich das Photon mit der Zeit verändert hat, was diese Veränderung ausgelöst hat und was der Anfangs- und Endzustand des Lichtteilchens war.

"Wir haben damit eine Maschine gebaut, die eine Entwicklung, die wir nicht kennen, umkehren kann – durch ein allgemeines Rezept, das für diese Größe der Systeme, wie in unserem Fall die Veränderung der Polarisation von Photonen, allgemein gültig ist", sagte Walther. Das sei einerseits "fundamental unglaublich interessant", weil man zu einem Zustand zurückkehren könne, den man gar nicht kenne.

Praktischer Nutzen

"Wir sind aber auch davon überzeugt, dass das auch technologische Anwendungen hat", so der Physiker. Wenn man ein solches "Rewinding-Protokoll" etwa in Quantenprozessoren einbaue, dann könne man damit Fehler oder Entwicklungen, die man nicht will, rückgängig machen. (red, APA, 7.2.2023)