In der Barawitzkagasse in Wien-Döbling nimmt demnächst eine Wärmepumpe ihren Betrieb auf.

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Dafür wurden an der Fassade Rohre verlegt, die jede Wohnung von einer zentralen Stelle mit Wärme versorgen werden.

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In Wiens Gasthermen gehen bald für immer die Flammen aus.

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Auf den ersten Blick sieht das Wohnhaus in der Barawitzkagasse in Döbling aus wie jedes andere Wohnhaus auch. Gut, vielleicht ist das in den 1960er-Jahren erbaute und von Harry Glück entworfene Gebäude der Sozialbau AG etwas in die Jahre gekommen. Aber das soll sich bald ändern, das Haus wird thermisch saniert und bekommt sogar eine Fassadenbegrünung.

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Wer jetzt davorsteht und ein zweites Mal hinschaut, sieht bereits silberne Rohre, die sich auf der linken Seite die Fassade entlangschlängeln und in jedem Stockwerk an einer Stelle ins Gebäude führen. Diese Rohre, so könnte man sagen, sind der Beginn von etwas ganz Großem – nicht nur für die Barawitzkagasse 5, sondern für die ganze Stadt. Denn diese silbernen Rohre machen es möglich, dass die Bewohnerinnen und Bewohner bald auf ihre Gasetagenheizungen verzichten können und von einer zentralen Stelle im Haus ihre Wärme bekommen – erzeugt mittels Geothermie, Wärmepumpen und Photovoltaik.

Zentrale Wärmeversorgung

Was hier im 19. Bezirk geschehen ist, steht vielen anderen Häusern in Wien in den nächsten Jahren auch bevor. Denn die Stadt hat sich vorgenommen, bis ins Jahr 2040 alle Gashähne in Gebäuden abzudrehen und diese stattdessen klimaneutral und mit erneuerbaren Energien zu heizen. Noch lange bevor das möglich ist, muss in diesen Gebäuden die Wärmeversorgung zentralisiert werden – "der Christbaum vorgenommen werden", wie es in der Branche heißt, weil die Wärme – bildlich gesprochen – aus dem Boden über den Stamm in die Äste geleitet wird. Aktuell ist das Problem, dass es in Wien rund 500.000 dezentrale Gasetagenheizungen gibt, die alle direkt in der Wohnung für nur einen Haushalt Wärme und Warmwasser erzeugen. Bei einer Zentralheizung hingegen geschieht dieser Prozess an einer zentralen Stelle im Haus, von der aus das warme Wasser in sämtliche Heizkörper des Hauses sowie in Warmwasserspeicher in den einzelnen Wohnungen fließt.

Mehrere Pilotprojekte in Wien zeigen schon heute, wie der Umbau auf ein zentrales Heizsystem ohne große Einschränkungen für die Bewohnerinnen und Bewohner gelingen kann. In der Barawitzkagasse wurden die Rohre außen an der Fassade installiert. "Die Arbeiter mussten nur einmal kurz in die Wohnung", erzählt eine Bewohnerin, die sich sehr freut, ihre Gastherme bald los zu sein. In anderen Projekten verlaufen die Rohre durch die Kamine, die später, wenn die Gasthermen nicht mehr gebraucht werden, frei werden. Im Keller oder auf dem Dachboden gibt es dann Energiezentralen. Dort wird Fernwärme eingeschleust, wenn das nicht möglich ist, stehen dort Wärmepumpen und Pufferspeicher.

Viele Einzellösungen

Im Idealfall kann ein Gebäude an das Fernwärmenetz angeschlossen werden – das wird allerdings nur in sehr dicht besiedelten Gebieten der Stadt möglich sein, weil der Ausbau des Netzes sehr teuer ist und es dementsprechend viele Abnehmerinnen und Abnehmer braucht, um sich zu rentieren. In Neubaugebieten könnten lokale Wärmenetze, die gebäudeübergreifend funktionieren, eine Option sein. Im restlichen und größeren Teil der Gebäude kommen erneuerbare Energielösungen für einzelne Häuser zum Einsatz.

Expertinnen und Experten sind sich einig, dass mit der Umstellung auf eine Zentralheizung nicht gewartet werden sollte, bis die klimaneutrale Wärme eines Tages tatsächlich ins Haus kommt, sondern jetzt mit dem Umbau gestartet werden muss. Eine Möglichkeit ist etwa, bereits zentral, aber noch mittels Gasthermen Wärme zu erzeugen und sie vom Dachboden in die Wohnungen zu leiten. Ein Anschluss an erneuerbare Energien ist dann in Zukunft kein großer Aufwand mehr. Außerdem, so erklärt etwa Michael Cerveny, Energie-Experte von Urban Innovation Vienna, sind Gasthermen ohnehin viel zu groß konzipiert. Ein Gerät könne locker drei oder mehr Wohnungen beheizen.

Viele Hürden

So hat es auch der Architekt Harald Saiko gemacht. Er hat bei der mittlerweile vollständigen Dekarbonisierung eines baufälligen Arbeiterzinshauses in Ottakring auf eine Luftwärmepumpe gesetzt. Saiko hat das Haus vor rund fünfzehn Jahren erworben, komplett saniert und das Dachgeschoß ausgebaut. Zunächst wurde auf eine Gaszentralheizung umgestellt. Weil ein Fernwärmeanschluss nicht realisierbar war, ersetzte er die Gastherme durch eine Luftwärmepumpe. Unterstützt durch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach wurde das Haus mit elf Wohneinheiten, einer Kindergruppe und einem Café bei der Wärme energieautark. So gut das Ergebnis, so herausfordernd war für Saiko die Umsetzung. Er kritisiert das "praxisferne" Beratungsangebot auch seitens der Stadt – was ihn dazu gebracht hat, mit der "Rauskunft" selbst ein Angebot zu schaffen –, fehlende Planungs- und Rechtssicherheit durch den Gesetzgeber und die Behörden sowie "den bürokratischen Förderdschungel". Hinzu kämen die aktuell starke Auslastung und der Fachkräftemangel bei den Betrieben, was für lange Lieferzeiten sorgt.

Das und vieles mehr schürt Skepsis, ob die Stadt Wien ihr ambitioniertes Ziel bis 2040 erreichen wird. Falls ja, müssten Stand heute täglich 75 Wohnungen zentralisiert und auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Doch wie realistisch ist das?

"Ziemlich sportlich"

Expertinnen und Experten haben Zweifel. Größter Kritikpunkt: Es fehlen die gesetzlichen Vorgaben. Das Erneuerbare-Wärme-Gesetz (EWG), das einen verpflichtenden Umstieg auf klimaneutrale Lösungen vorsieht, lässt auf sich warten. Cerveny erklärt, dass anschließend auch die Länder noch regeln müssen, wie sie das EWG umsetzen. Zudem müssen die Förderungen angepasst werden. "Wir sind schon sehr spät dran. Bis alles hochgefahren ist, wird es noch dauern, und obwohl ich es mir sehr wünsche, habe ich meine Zweifel, dass der gesamte Prozess 2040 abgeschlossen sein wird", sagt Cerveny. Und selbst wenn die letzte Gastherme "erst ein paar Jahre später weg sein sollte, wäre das Umstellungstempo ziemlich sportlich".

Cerveny ist sich hingegen sicher, dass es an der Hardware nicht scheitern wird. Die Wärmepumpenindustrie in Europa sei alleine im letzten Jahr um 50 Prozent gewachsen. "Die Unternehmen werden auf den Zug aufspringen, wenn sie ein Geschäft machen können – doch dafür braucht es einen Gesetzgeber, der klarmacht, dass es keinen anderen Weg mehr gibt", sagt Cerveny. Bleibt nur zu hoffen, dass dieser Schritt nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt. (Martin Putschögl, Bernadette Redl, 8.2.2023)