Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und ehemaliger Wissenschaftsminister, kennt beide Seiten.
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Das Bild ist noch immer in den Köpfen der Menschen gespeichert: Verantwortliche aus Politik und Wissenschaft traten auf der ganzen Welt gemeinsam vor die Öffentlichkeit, um über die aktuelle Corona-Lage zu informieren. Der Soziologe Alexander Bogner vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) meint heute, man wollte dabei sicher zur Beruhigung beitragen, Ängste nehmen und Bedenken zerstreuen.

Die Botschaft lautete: Hier stehen wir. Die, die sich auskennen, und jene, die sich von ihnen beraten lassen und dann entscheiden müssen. Vertraut uns. Ein Gedanke, den man Ex-US-Präsident Donald Trump aufgrund seiner wissenschaftsfernen Aussagen im Beisein des US-amerikanischen Virologen Anthony Fauci nicht wirklich zubilligen kann. Bogner schränkt seine positive Analyse über gemeinsame Auftritte von Politik und Wissenschaft aber auch ein: "Viele Zuschauerinnen und Zuschauer dürften gemeinsame Pressekonferenzen als Beweis für die Komplizenschaft der beiden Bereiche gesehen haben. Sie leiteten daraus ab, dass man unter einer Decke steckt", sagt er.

In der Pandemie gerieten der damalige Präsident Donald Trump und der US-amerikanische Immunologe und Weiße-Haus-Berater Anthony Fauci oft aneinander.
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Aufarbeitung der Krise

Man könnte angesichts dieses offenkundigen Widerspruchs zwischen Intention und Wahrnehmung leicht verzagen. In den Wissenschaften wird aber nicht fatalistisch reagiert, sondern lösungsorientiert gedacht. Also hat man sich nun, rückblickend auf drei Corona-Pandemie-Jahre, zu einem Thesenpapier durchgerungen – über die Rolle von Wissenschaft als Beratungsinstanz für die Politik.

Die "Wiener Thesen" (PDF) wurden von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gemeinsam mit der deutschen Leopoldina verfasst und anlässlich eines Treffens hochrangiger Verantwortlicher beider Gelehrtengesellschaften vorgestellt. Das Papier ist eine Handreichung für die Zukunft, ein Leitfaden, wie man sich künftig in Fällen wissenschaftlich fundierter Politikberatung in Krisenzeiten verhalten sollte. Einer der Autoren, Soziologe Bogner, sieht die Wiener Thesen als Anregung für weitere Diskussionen. Es müsse sich einiges verbessern: Die Entwicklung von Expertise müsse transparent sein, der Mut zu Konflikten sei eine Voraussetzung für Arbeiten über die Disziplinen hinaus.

Ein Konsens könne trotz aller Bemühungen um Klarheit in einer Krisensituation kein Selbstzweck sein. Unter Umständen sei es besser, der Politik einen geordneten Dissens zu präsentieren. Für Heinz Faßmann, den Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, steht fest: Wissenschaft und Politik sollen zusammenarbeiten, dürfen aber nicht die Rollen tauschen. In Krisenzeiten wie während der Corona-Pandemie waren die Grenzen manchmal verschwommen: Wissenschafter agierten wie Politiker, und die Politik versteckte sich hinter der Wissenschaft."

Keine allein gültige Lösung

Für Faßmann sind Wissenschafter und Wissenschafterinnen in einer noch nie dagewesenen Situation wie die der Corona-Pandemie stets auf der Suche nach der idealen Lösung und nie Repräsentanten der allein gültigen Lösung. Als Berater könne man daher nur mehrere Zugänge vorschlagen, um eine Krisensituation für die Menschen leichter bewältigbar zu machen. "Wer ohne evidenzbasierte Daten nur eine Möglichkeit vorschlägt, betreibt keine Wissenschaft", ist Faßmann überzeugt. Der Akademiepräsident bezieht sich dabei auf die erste der Wiener Thesen: Die Wissenschaft solle sich in der Rolle eines "ehrlichen Vermittlers" sehen, der der Politik Entscheidungsalternativen und Wahlmöglichkeiten auf Basis wissenschaftlicher Evidenz aufzeigt. Dieses Denken in Optionen basiere auf der Einsicht, dass eine disziplinär vielfältige Wissenschaft mit Blick auf aktuelle Problemstellungen selten mit einer Stimme spreche.

Oft seien Szenarien und Prognosen mit erheblichen Unsicherheiten belastet, die klar benannt werden müssen. Und selbst wenn es einen weitreichenden Konsens unter den maßgeblichen Fachleuten geben sollte, gelte es, daran zu erinnern, dass politische Streitfragen letztlich nicht durch – noch so überzeugende – Zahlen und Fakten entschieden werden, sondern in der Abwägung konkurrierender Werte und Interessen, also im Bereich der Politik.

Verschwommene Grenzen

Bogner erkennt Fehler der Wissenschaft im Umgang mit der Öffentlichkeit und bezieht sich wieder auf die insinuierte Komplizenschaft. "In der Pandemie wurden die Grenzen zwischen Wissenschaft und Politik manchmal unscharf. Zweifler haben dadurch wahrgenommen, dass die Wissenschaft zum sogenannten politischen Establishment gehört."

Wissenschaftsskepsis oder gar Wissenschaftsfeindlichkeit könne genau diese Ursachen haben. Es sei eine Frage der Haltung, ob Forschende beim Publikum als glaubwürdig gesehen werden. Wenn sie eine solche bei politisch heiklen Themen einnehmen – pro oder kontra Lockdown, pro oder kontra Impfpflicht –, dann gelten sie bei einem Teil der Bevölkerung als parteiisch. Die beratende Wissenschaft sei darum selbst gut beraten, nicht als Verkünderin absoluter Wahrheiten aufzutreten. (Peter Illetschko, 12.2.2023)