Verinnerlichte Ekstase, so könnte man den Stil des tunesischen Sängers Dhafer Youssef beschreiben.


Flavien Prioreau

Wer mit dem freundlichen Jungen Peter Parker Filmbekanntschaft geschlossen hat, kennt auch die Stimme von Dhafer Youssef. Dessen emphatisch-melancholische Vokalkoloraturen sind in The Amazing Spider-Man zu hören, während Parker spinnenelegant versucht, die Welt vor dem Bösen zu retten.

Vielleicht hat man Youssef aber auch schon in Graz oder Wien beim Einkauf gesehen. Auch eine Begegnung im Porgy & Bess ist sehr wahrscheinlich wie auch eine im Wiener Konzerthaus. Möglicherweise ist man dem Tunesier öfter auch im Flugzeug begegnet. Der Mann, der die arabische Kurzhalslaute Oud immer dabei hat, war und ist viel unterwegs.

Heftige Zeremonie

Vor ein paar Jahren etwa stieg er in Istanbul aus dem Flieger, um in der Stadt eine inspirierende Erinnerung an seine eigene Vergangenheit zu erleben. "Ich war an einem Sommerabend mit einem kleinen Boot am Goldenen Horn von Istanbul unterwegs und habe dabei einer der verrücktesten Zeremonien meines Lebens beigewohnt." Hunderte Muezzine hätten gleichzeitig einen "zeitgenössischen Klang erzeugt, die Uhr schien stehengeblieben zu sein", erzählt Youssef über die Gänsehauterfahrung.

"Sie hat mich 40 Jahre zurückversetzt, als ich ein kleiner Junge war, der sich so bemühte, seine Stimme inspiriert einzusetzen und per Megafon Leute zum Gebet zu rufen." Die aktuelle Einspielung Street of Minarets, das Youssef am Cover in einem Meer aus Megafonen zeigt, ist von diesem "Muezzinchor" inspiriert und nimmt Bezug auf Youseffs Historie. 1976 im tunesischen Térboulba geboren, war er in einer Koranschule, wurde ein praktizierender Muezzin, der auf Hochzeiten sang, um sich eine Oud zu finanzieren. Allerdings war da auch ein per Radio gestilltes Interesse an westlichen Klängen.

Ab nach Österreich

Nach dem Schulabschluss ging es denn nach Europa. Youssef blieb in Österreich hängen; Tellerwäscher, Pizzaverkäufer, alles dabei, während in Wien das Porgy & Bess zur zentralen Konzertoase wurde, die den Karrierestart befeuerte. Im Radio mag Youssef einst auch jene gehört haben, die nun auf Street of Minarets mit ihm im Dialog zu hören sind. Da wäre der bisweilen für Dhafer sanfte Akkordflächen legende, dann wieder in funkige Phrasen eintauchende Keyboarder Herbie Hancock. Er schrieb nicht nur mit Miles Davis Jazzgeschichte.

Und als wäre das nicht prominent genug, sind da auch Bassist Marcus Miller und Trompeter Ambrose Akinmusire, der zu den wesentlichen jungen Jazzern der Gegenwart zählt. Nicht zu vergessen Bassist Dave Holland. Er war unter anderem an der Geburt des Jazzrock dabei – also bei Miles Davis’ Aufnahme Bitches Brew. Wie bekommt man all die Unerreichbaren eigentlich zusammen? Da bleibt Youssef poetisch-wolkig: "Die Musikerwelt ist wie eine Familie, die auf einer kleinen Insel lebt. Ich habe die Musik jedenfalls so vorbereitet, dass sich jeder der Beteiligten wie zu Hause fühlt."

In den Sunset Studios

Was Youssef auf die Kollegen hin speziell komponierte und was ab 2017 im Sunset Boulevard Studio in Los Angeles aufgenommen wurde, ist ein Mix aus kontemplativen Momenten und einer Art orientalischem Jazzrock mit starken Funkeinschlag geworden, bei dem man an Hancocks groovige Head Hunters-Zeit erinnert wird.

Es ist dabei keine Verkrampfung zu hören, wie sie gerne bei künstlich zusammengewürfelten All-Star-Formationen der Fall ist. Es klingt alles wie eine stimmige Wanderung durch Musikfantasien eines Künstlers, der per Selbstdefinition hier auch zeigen wollte, dass er "permanent in Bewegung ist, um nicht als Kitschist oder Exot abgestempelt zu werden". (Ljubiša Tošic, 8.2.2023)