Puls-4-Moderatorin Miriam Pössnicker (35) litt jahrelang an Bulimie. Heute redet sie offen darüber, auch um anderen in einer ähnlichen Situation zu helfen.

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Das eigene Körpergewicht ist für viele Menschen ein Dreh- und Angelpunkt. Vor allem in Teenagerjahren vergleichen sich – vorwiegend – Mädchen, man schaut, wer die Schlankste ist, wer wie viel essen kann, eifert Vorbildern und Role-Models nach. Das kann so ausarten, dass junge Menschen krank werden. Von hundert Kindern und Jugendlichen in Österreich sind acht wegen einer Essstörung in Behandlung, fast ausschließlich junge Mädchen und Frauen, drei davon leiden an Bulimie.

Bei dieser handelt es sich um eine Ess-Brech-Sucht, bei der es regelmäßig zu anfallsartigen Heißhungerattacken kommt. In kurzer Zeit stopfen Betroffene große Mengen an meist besonders fett- und zuckerreichen Lebensmitteln in sich hinein und erbrechen das Gegessene dann wieder. Auch Miriam Pössnicker hat darunter gelitten. Insgesamt sieben Jahre lang hat sich die 35-jährige Puls-4-Moderatorin bis zu zehnmal am Tag übergeben. Heute hat sie ihre Essstörung im Griff. Im STANDARD-Interview erzählt sie, wie es überhaupt dazu gekommen ist, was ihr geholfen hat, einen Weg aus der Krankheit zu finden und warum sie jetzt öffentlich darüber spricht.

STANDARD: Können Sie die Ursachen für Ihre Bulimie-Erkrankung benennen?

Pössnicker: Ich denke, mehrere Ursachen haben zusammengespielt, die dann bei mir die Essstörung ausgelöst haben. Als ich zwölf Jahre alt war, ist mein Vater gestorben. Die emotionale Leere, die da entstanden ist, habe ich rückblickend wohl mit Essen zu füllen versucht. Dazu kam, dass ich als Kind mit ausländischen Wurzeln – meine Mutter ist Thailänderin – auf dem Land, wo ich groß geworden bin, gemobbt wurde. Und in den 1990er-Jahren gab es viele Vorbilder, die das damalige Körperideal, den sogenannten Heroin Chic, repräsentiert haben. Ich denke da an Paris Hilton oder Christina Aguilera in Hosen, wo man die Hüftknochen sieht. Dieses Körperideal können viele gar nicht erreichen, ohne eine Essstörung zu entwickeln.

An den Auslöser, der dann konkret zum ersten Erbrechen geführt hat, kann ich mich ganz klar erinnern. Ich bin mit 15 oder 16 Jahren in einer Jacke in Größe 40 vor dem Spiegel gestanden, hab mich angeschaut und mir gedacht, was ich da sehe, entspricht nicht dem, wie ich mich selbst wahrnehmen möchte. Ich habe mich viel zu dick gefühlt. Kurz darauf bin ich in der Toilette gestanden und habe mir gedacht, einmal mache ich das und dann nie wieder. Aber es ist natürlich nicht bei dem einen Mal geblieben.

STANDARD: Wie hat sich die Bulimie entwickelt?

Pössnicker: Aus dem ersten Erbrechen hat sich eine Regelmäßigkeit entwickelt. Ich bin da reingerutscht, bis ich bald schon bis zu zehnmal pro Tag erbrochen habe. Meine Gedanken haben sich bald nur noch ums Essen gedreht. Ich hatte dabei das dauernde Gefühl des Kontrollverlusts. Jeden Tag in der Früh habe ich mir exakt vorgenommen, was ich esse und wie viele Kalorien es sein dürfen, das waren im Normalfall rund 1.000. Das war natürlich nicht zu schaffen, und wenn ich einmal drüber war, hatte ich das Gefühl, ich habe versagt, jetzt ist ohnehin schon alles egal, ich kann reinstopfen, was ich will, und mich auch ein paar Mal übergeben. Ich bin dann teilweise stundenlang in der Stadt von Imbissbude zu Imbissbude, von Eisdiele zu Eisdiele und von Toilette zu Toilette gezogen.

STANDARD: Wie hat da Ihr Umfeld reagiert?

Pössnicker: Die wussten nichts davon, ich habe es geheimgehalten. Meine Freunde haben sich immer nur gewundert, wie ich so dünn sein kann, wenn ich so viel esse. Es war eine echte Sucht. Ich hab mich sogar, wenn ich nach einen Fressflash nicht aufs Klo konnte, Stunden später noch erbrochen, obwohl da nur noch Magensäure rauskam. Der Gedanke, dass sich das Essen festlegen könnte, hat mir keine Ruhe gelassen, obwohl die Nahrung längst verdaut war. Irgendwann musste ich mir nicht einmal mehr den Finger reinstecken, weil der Würgereflex weg war. Der ist auch nicht mehr wiedergekommen, ich könnte mich heute noch jederzeit ohne Brechreiz übergeben.

Meine Mutter hat natürlich recht bald gemerkt, was los ist. Und ich habe auch gewusst, dass ich ein Problem habe. Allerdings wurde mir erst wesentlich später klar, wie groß das Problem wirklich war. Ich habe Schmerzen in der Brust bekommen vom ständigen Erbrechen, die Haare sind mir ausgegangen, irgendwann haben mich die Zähne so geschmerzt, weil die Magensäure den Zahnschmelz regelrecht weggeätzt hat. Gleichzeitig hatte ich ständig Hunger, der aber nie befriedigt wurde.

"Eine Essstörung begleitet einen wohl ein Leben lang", weiß Pössnicker. Aber heute dominiert sie ihr Leben nicht mehr.
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STANDARD: Was hat schließlich dazu geführt, dass Sie etwas dagegen unternommen haben?

Pössnicker: Das waren mehrere Dinge, die irgendwann dazu geführt haben, dass mir eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema Essen leichter gefallen ist. Meine Mutter hat mich regelrecht gezwungen, in eine Therapie zu gehen. Die habe ich damals zwar abgebrochen, aber ich habe längerfristig einiges daraus mitgenommen. Ich bin insgesamt körperlich schwächer geworden und habe gewusst, ich muss was ändern. Mein damaliger Freund hat mich auch einfach so genommen, wie ich bin, und mir gezeigt, dass er mich auch mit ein paar Kilo mehr gut findet. Dieses Wissen hat sehr geholfen.

Es hat aber rund fünf Jahre nach meinem ersten Erbrechen gedauert bis zum ersten Tag, an dem ich mich nicht erbrochen habe. Von da an hat es noch einmal zwei Jahre gedauert, bis ich wirklich aufgehört habe damit. Aber es ist langsam besser geworden. Ich war innerlich bereit, in Kauf zu nehmen, dass ich zunehme. Es waren dann auch tatsächlich etwa fünf Kilo, obwohl ich mich beim Thema Essen noch jahrelang unwohl gefühlt habe.

STANDARD: Wie geht es Ihnen heute damit?

Pössnicker: Tatsächlich gibt es dieses leicht beklemmende Gefühl, wenn ich zu viel gegessen habe, auch heute noch. Das ist auch klar, eine Essstörung begleitet einen wohl ein Leben lang. Diese Tatsache hat früher furchtbar geklungen für mich, aber heute dominiert sie mein Leben nicht mehr. In großen Stresssituationen oder auch zyklusbedingt kann es sogar passieren, dass ich noch einen Fressflash habe. Aber ich habe nicht mehr das Gefühl des totalen Kontrollverlusts. Als ich für ein Fernsehinterview erstmals ganz offen über meine Essstörung gesprochen habe, hat mich das ziemlich beschäftigt. Aber seither ist das beklemmende Gefühl eigentlich nicht mehr wiedergekommen. Ich habe es auch geschafft, die Vorstellung, dass man den Teller leer essen muss, aus dem Kopf zu bekommen.

STANDARD: Es ist ein großer Schritt, so offen und so öffentlich über die eigene Erkrankung zu sprechen. Was motiviert Sie dazu?

Pössnicker: Ich denke, man muss einfach mehr darüber reden, damit ein Bewusstsein entsteht. Wenn ich nur einer betroffenen Person damit helfen kann, dann ist es das wert. Es wäre so schön, wenn es die eine Antwort gäbe, wie man da rauskommt, aber die gibt es leider nicht. Würde mich ein junges Mädchen fragen, wie sie es schaffen kann, sich nicht mehr zu übergeben, kann ich nur raten: Umgib dich mit Menschen, die dir wirklich guttun, ehrliche Freunde, die dich so nehmen, wie du bist. Sei nicht so streng mit dir, bestrafe dich nicht noch selbst, wenn du es nicht geschafft hast, deine Vorsätze zu erfüllen. Du bist kein schlechter Mensch, auch wenn du dich einmal übergeben hast. Und am besten wäre: Fang gar nicht erst an damit. Bei Bulimie ist einmal nicht keinmal, man ist ganz schnell drin in diesem Strudel.

STANDARD: Wie ist Ihr Zugang zu Essen heute?

Pössnicker: Ich habe gelernt, dass mir mein Körper zeigt, was er braucht. Wenn ich zum Beispiel Lust auf Eier und Speck habe, dann esse ich das, auch mal zwei Wochen in Folge. Ich weiß aber auch, ich darf aufhören, wenn ich satt bin. Oder ich darf später den Rest essen. Und ich hoffe, dass dieser superschlanke Look des Heroin Chic sich nicht wieder durchsetzt. Weil das wirklich für viele ein unrealistisches Körperbild ist. (Pia Kruckenhauser, 9.2.2023)