Mit einem Müllraum als Tatort muss sich ein Schöffensenat im Prozess gegen zwei Teenager beschäftigen.

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Wien – "Das war eine toxische Freundschaft mit sehr unguter Gruppendynamik", verhehlt Verteidigerin Anna Mair nicht, dass sich Frau Y., ihre Mandantin, besser einen anderen Umgang gesucht hätte. Dann wäre die 15-jährige Arbeitslose wohl nicht mit einer Vielzahl von Anklagepunkten – der schwerste davon Raub – vor einem Schöffengericht unter Vorsitz von Georg Allmayer. Neben ihr sitzt Frau S., die gleichaltrige Zweitangeklagte, eine Schülerin in Obhut des Wiener Jugendamtes. Die ebenso minderjährige Drittangeklagte hat es überhaupt gleich vorgezogen, nicht zu erscheinen. Den beiden Mädchen sagte die Teenagerin noch, die Gerichtsverhandlung sei ihr egal, weshalb der Vorsitzende eine Festnahmeanordnung und anschließende Untersuchungshaft verhängt.

Die anwesenden Angeklagten bekennen sich zu den Vorwürfen großteils schuldig. Y. gibt zu, am 25. Juni eine 14-Jährige nach einer Busfahrt geschlagen zu haben und das Kind im Müllraum eines Gemeindebaus in Wien-Leopoldstadt unter Androhung weiterer Schläge gezwungen hat, den Fußboden sauberzulecken. Ein Motiv für ihre Handlung kann sie eigentlich nicht liefern.

Zwölfjähriger Markenkleidung geraubt

Dafür aber eine Begründung für den angeklagten Raub am 6. Oktober – neuerlich war der Müllraum der Tatort. Die beiden unbescholtenen Angeklagten und eine strafunmündige Bekannte lotsten eine Zwölfjährige zu den Abfallbehältern – um ihr ihre Kleidung zu rauben. "Ich habe ihr Kick und Faust gegeben", erklärt Y., die im April eine Lehre beginnt, dazu. Anschließend sei das Kind gezwungen worden, ihr T-Shirt, ihre Hose und ihre Schuhe einer bekannten französischen Marke auszuziehen und zu übergeben. Die unmündige Täterin habe die Sachen gewollt, meint Y., daher habe sie die Hose mit dem Opfer getauscht. Das T-Shirt wanderte an die Zweitangeklagte. Obwohl diese bereits ein Oberteil derselben Marke trug. "Aber ihres war besser", meint die 15-Jährige dazu lapidar. Was mit den Schuhen passierte, bleibt offen.

Erstangeklagte Y. fotografierte die nur mehr mit Unterwäsche bekleidete Zwölfjährige mit ihrem Mobiltelefon. Bei der anschließenden gemeinsamen U-Bahn-Fahrt forderte sie vom Opfer für den nächsten Tag weitere Markenkleidung, andernfalls würde sie das Unterwäsche-Bild im Internet veröffentlichen. "Ich habe es nicht schlecht gemeint, ich wollte ihr nur ein bisschen Angst machen", lautet die überraschende Erklärung zu dieser versuchten Erpressung.

Brandalarm im Bahnhof Praterstern

Nicht schuldig bekennt sich Y. nur zu einem Zwischenfall am 14. August im Bahnhof Wien Praterstern. Dort soll sie die Glasscheibe eines Brandmelders eingeschlagen und den Alarm ausgelöst haben, was aus Sicht des Staatsanwaltes eine Sachbeschädigung kritischer Infrastruktur ist. "Das war unabsichtlich. Wir hatten eine Wette, wer höher kicken kann", behauptet die Erstangeklagte. "Aber Sie müssen ja mindestens zweimal getroffen haben – erst ging die Scheibe zu Bruch, dann der Alarm los", hält Vorsitzender Allmayer ihr vor. "Es war unabsichtlich", beharrt die 15-Jährige, hat aber offenbar ihre Mimik nicht unter Kontrolle. "Da müssen Sie selbst lachen, gell?", stellt der Vorsitzende nämlich fest.

Wie sich bei der Verlesung der Jugenderhebungen herausstellt, stammen beide Angeklagte aus schwierigen familiären Verhältnissen. Im Fall der gebürtigen Bulgarin Y. hat die Mutter die Familie verlassen, als sie noch klein war, der Vater scheint mit der Pubertät seiner Tochter überfordert gewesen zu sein. Bei der gebürtigen Österreicherin S. starb die Mutter vor zwei Jahren an einer Krankheit, da es keinen Kontakt zum Vater gab, war die Schülerin plötzlich völlig alleine.

Eine Aufarbeitung dieses Traumas lehnt der Teenager aber kategorisch ab. "Bei Ihnen wird ein Anti-Gewalt-Training empfohlen. Würden Sie das machen?", fragt Allmayer sie. "Nein, auf keinen Fall!", schleudert die Angeklagte dem Vorsitzenden entgegen. "Wieso? Das könnte Ihnen helfen", versucht Allmayer sie zu überreden. "Ich hasse Therapie", bleibt die Heranwachsende hart.

Vorsitzender als "Opfer"

Wie Zeugen Allmayer später informieren, sagte S. im Zuge dieses Dialogs auch fast unhörbar "Opfer" zu ihm. Da ist für ihn Schluss mit lustig. "Wollen Sie mich bedrohen?", fragt der Vorsitzende die Zweitangeklagte streng. "Nein, das kommt einfach aus mir raus", entschuldigt die Angeklagte sich.

Die Erstangeklagte erklärt sich dagegen bereit, auf Weisung des Gerichts eine Psychotherapie zu absolvieren. "Sie wollte das sogar schon vorher machen, aber konnte sich keine leisten", verrät ihre Verteidigerin Mair.

Bei einem Strafrahmen bis zu fünf Jahren Haft entscheidet sich der Senat dafür, den Angeklagten die Zukunft nicht völlig zu verbauen. Y. wird rechtskräftig zu zehn Monaten, S. zu sechs Monaten bedingter Haft verurteilt. Beide bekommen Bewährungshelferinnen zur Seite gestellt, die Erstangeklagte zusätzlich die Therapieweisung. Dem zwölfjährigen Opfer muss Y. 600 Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld zahlen, die Zweitangeklagte muss 200 Euro beisteuern. (Michael Möseneder, 8.2.2023)