Die zahlreichen Hilfszahlungen in den EU-Staaten müssten aufeinander abgestimmt werden, sagt Brunner. Doch nach den EU-Gipfeln "macht jeder das, was in seinem Land eben gerade wichtig ist".

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Seit Dezember 2021 ist Magnus Brunner (ÖVP) Finanzminister – zwei Monate später begann der Ukraine-Krieg. Er führte dazu, dass Inflation wie auch Ausmaß der Hilfen in Höhen kletterten, wie es sie kaum je zuvor gab.

STANDARD: Herr Brunner, in vielen Ländern hat die Inflation ihren Höhepunkt überschritten, in Österreich jedoch lag sie im Jänner auf einem neuen Rekordwert. Woran liegt das?

Magnus Brunner: Wir gehen davon aus, dass sie über das Jahr gesehen deutlich hinuntergehen wird. Dass es im Jänner diesen Ausreißer nach oben gab, ist unerfreulich, aber erklärbar. Beispielsweise sind von der Statistik Austria hohe Netzkosten eingerechnet, obwohl wir schon im Dezember beschlossen haben, einen Teil davon zu übernehmen. Dass Österreichs Inflation im Vergleich zu den Nachbarländern Deutschland und Schweiz höher ist, liegt auch am unterschiedlichen Konsumverhalten. Zum Beispiel wird in Österreich mehr Diesel gefahren als in den Nachbarstaaten – und der Dieselpreis geht gerade hinauf, im Gegensatz zu dem für Benzin.

STANDARD: Vielleicht liegt die Inflation aber auch an den extrem hohen Hilfen gegen die Energiekrise. Laut Währungsfonds fallen sie in kaum einem Land in den Jahren 2022 und 2023 derart großzügig aus wie in Österreich.

Brunner: Es ist immer eine Abwägung. Einerseits wollen wir den Menschen im nötigen Ausmaß helfen, andererseits muss es schnell gehen. Haben wir zu viel geholfen in manchen Bereichen? Ich glaube nicht; es war keine Option, nicht zu helfen in dieser schwierigen Lage.

STANDARD: Man kann es zielgerichteter tun.

Brunner: Wir müssen uns alle zusammen anstrengen in Europa, damit wir treffsicherer werden und die Hilfsmaßnahmen im europäischen Gleichklang setzen. Immer wenn der EU-Rat der Finanzminister tagt, wird das beteuert – aber nachher fährt jeder nach Hause und macht, was in seinem Land eben gerade wichtig ist. Es braucht außerdem eine Verbesserung der Datenlage, etwa eine bessere Verknüpfung von Steuer- und Haushaltsdaten mit denen der Energieversorger. Dieses wichtige Projekt haben wir dem Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky übertragen.

STANDARD: Spanien etwa arbeitet stärker mit Preiskontrollen als Österreich, zum Beispiel beim Strompreis. Die Inflation dort ist nur halb so hoch.

Brunner: Man kann Spanien nicht mit dem Rest Europas vergleichen, die sind viel weniger mit dem gesamteuropäischen Energiemarkt verbunden als Österreich. Dennoch hätte ich mir ein ähnliches Modell für ganz Europa gewünscht.

STANDARD: ... einen Deckel auf den Gaspreis, der auch den Strom billiger machen würde.

Brunner: Leider war auf EU-Ebene eine Mehrheit dafür nicht möglich.

STANDARD: In Österreich ist gerade eine andere Art von Preiskontrolle im Gespräch: bei den Mieten. Weil diese mit der Inflation steigen, drohen hunderttausenden Mietern im April gewaltige Preissteigerungen, konkret 8,6 Prozent. Wird es zu dieser massiven Anhebung kommen?

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Brunner: Wir prüfen gerade die Möglichkeiten. Ist es sinnvoll, die Mieten weiterhin mit der Inflation anzuheben? Oder gibt es andere Möglichkeiten, zum Beispiel die Kerninflation ohne Energie und Lebensmittel? Die Koalitionsparteien verhandeln auf Parlamentsebene.

STANDARD: Weil die EU-Staaten gerade sehr viel Geld brauchen, um die besagten Hilfen für die Menschen zu stemmen, trat vergangenen November EU-weit eine Übergewinnsteuer in Kraft, eine Sonderbesteuerung auf die exorbitanten Profite von Energieunternehmen. Die EU-Staaten hatten dabei Spielraum, die Steuer unterschiedlich streng zu gestalten. Österreich hat sich eher an den Mindestvorgaben orientiert. Warum?

Brunner: Ich weise zurück, dass wir uns am unteren Rand orientiert haben. Wir haben genau analysiert, was für Österreich passend wäre. Wir haben zum Beispiel einen Steuersatz von 40 Prozent gewählt, während die EU-Mindestvorgabe bei 30 Prozent liegt. Die einzige Ausnahme: Wenn Unternehmen in erneuerbare Energien investieren, dann sinkt die Steuerbelastung tatsächlich auf die Mindestvorgabe.

STANDARD: Der mangelnde Fortschritt beim Ausbau der Erneuerbaren liegt aber gar nicht am fehlenden Geld, sondern an den schlechten Regularien, auf Bundesebene und vor allem in den Bundesländern. Schonen Sie die Unternehmen? Wäre es nicht angebracht gewesen, den glänzend verdienenden Energiesektor stärker an den Kosten der Krise zu beteiligen?

Brunner: Wir glauben, dass es ein guter Weg war, den Unternehmen beim Ausbau der Erneuerbaren Spielraum zu lassen. Es braucht den Ausbau der Netze; es braucht Pumpspeicherkraftwerke, weil wir für die Energiewende Speicherkapazitäten benötigen. Überdies: Die Gewinne der Energieunternehmen werden ohnehin regulär besteuert, über die Körperschaftsteuer, ganz unabhängig von der Gewinnabschöpfung.

STANDARD: Es gibt eine Hilfsmaßnahme für die Bevölkerung, bei der gerade Unzufriedenheit herrscht: bei der Strompreisbremse, mit der der Staat den Menschen alles von der Stromrechnung ersetzt, was über dem Vorkriegsniveau liegt. Das Problem: Dieser Zuschuss gilt zwar für die Stromrechnung selbst, aber nicht für die dazugehörige Umsatzsteuer. Die Menschen berappen also Umsatzsteuer, als wäre ihre Stromrechnung viel höher.

Brunner: Es wäre europarechtlich eine schwierige Angelegenheit, die Umsatzsteuer anzupassen. Aber abgesehen davon muss ich schon sagen: Wir unterstützen hier sehr großzügig, mit einem Deckel von zehn Cent je Kilowattstunde. Das ist zum Beispiel weit höher als die Hilfe in Deutschland, wo der Deckel bei 40 Cent liegt. Das bedeutet, selbst wenn die Menschen in Österreich voll Umsatzsteuer bezahlen – unterm Strich steigen sie viel besser aus.

STANDARD: Aber es ist merkwürdig, wenn man auf eine Stromrechnung Umsatzsteuer bezahlt, als wäre sie höher, als sie tatsächlich ist. Die Regierung könnte einen ermäßigten Umsatzsteuersatz auf Strom beschließen, hinunter von 20 auf zehn Prozent.

Brunner: So wie die Strompreisbremse konzipiert ist, ist es unionsrechtlich leider nicht anders möglich. Und zweitens, grundsätzlicher: Wir helfen großzügig. Aber wir können nicht jede Krise der Welt zu 100 Prozent abfedern. Dann müssten wir ja von jedem die gesamten Energiekosten übernehmen.

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STANDARD: Zuletzt ein scharfer Themenwechsel: Die Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen den derzeitigen Chef der Finanzmarktaufsicht (FMA), Eduard Müller, in seiner Eigenschaft als Sektionschef im Finanzministerium im Jahr 2017. Da geht es um Leistungen für die ÖVP, die mutmaßlich vom Finanzministerium bezahlt wurden. In ähnlichen Fällen, etwa beim Ex-Generalsekretär Christian Pilnacek im Justizministerium, erfolgte eine Suspendierung – im Fall Müller aber nicht. Gehen Sie milder vor als Ihre Ministerkollegen?

Brunner: Das ist allein Sache des Aufsichtsrats der FMA. Ganz grundsätzlich gilt: Derartige Fragen entscheiden die Experten im Haus anhand klar definierter Regeln. Dass solche Regeln gelten, habe ich bei Amtsantritt klargemacht: mit der Abschaffung des Generalsekretariats, mit der Halbierung der Inserate, mit der Reform der Vergaben im Finanzministerium, mit der Veröffentlichung aller Studien, die wir in Auftrag geben. In meiner Zuständigkeit hat es einen klaren Schnitt mit der Vergangenheit gegeben. (Joseph Gepp, 8.2.2023)