Die 39-jährige Jelena Pronitschewa löse die bisherige Direktorin Selfira Tregulowa ab, die ihren Posten im Zusammenhang mit dem Auslaufen ihres Vertrags verlasse, begründete das russische Kulturministerium am Donnerstag wortkarg den Wechsel an der Spitze der auf russische Kunst spezialisierten Tretjakow-Galerie.
Die Entscheidung war jedenfalls auf eine rechtsnationale Kampagne gegen die seit 2015 amtierende Tregulowa gefolgt, in der zeitgenössische Kunst in ihrem Museum kritisiert worden war und die im Jänner in einem Denunziationsschreiben kulminierte: Ein Besucher hatte sich laut "The Moscow Times" darüber beklagt, dass im Museum Werke "mit Anzeichen einer destruktiven Ideologie" ausgestellt würden und die Dauerschau im Widerspruch mit der von Präsident Wladimir Putin zuletzt deklarierten Politik für "traditionelle spirituelle und moralische Werte" stehe.
Politisch motivierte Absetzung
Die Kunsthistorikerin Tregulowa, die mit der von ihr kuratierten Schau "Amazonen der Avantgarde" zwischen 1999 und 2001 auch internationale Erfolge feiern konnte, hatte selbst freilich nie Zweifel an ihrer politischen Loyalität aufkommen lassen: Mit der politischen Auftragsaufstellung "Romantischer Realismus. Sowjetische Malerei zwischen 1925 und 1945", in der sie 2015 den Stalinismus verharmloste, war sie an der ideologischen Vorbereitung eines erneuten russischen Abgleitens in den Totalitarismus beteiligt. 2018 gab sie zudem die Wahlkampfhelferin für den Duma-Abgeordneten und antiliberalen Scharfmacher Alexander Chinschtejn.
Politologin Jelena Pronitschewa als Museumsdirektorin
Mit der Radikalisierung des Putin-Regimes scheinen diese Referenzen jedoch nicht mehr auszureichen: Die studierte Politologin Jelena Pronitschewa war 2013 zur administrativen Leiterin des damals neuen Jüdischen Museums in Moskau ernannt worden, eines Lieblingsprojekts von Präsident Wladimir Putin. Ohne je wirklich in Erscheinung getreten zu sein, übernahm sie 2020 die Leitung des Polytechnischen Museums in Moskau, das umbaubedingt seit Jahren geschlossen ist.
Während man über ihre beruflichen Qualitäten wenig weiß, ist viel über ihre Familie bekannt: Bei Pronitschewas Vater Wladimir handelt es sich um niemand Geringeren als den langjährigen Vizedirektor des FSB, der vor seiner Pensionierung 2013 zunächst den Verfassungsschutz und in Folge den Grenzschutz befehligt hatte.
Misstrauen gegenüber Moskauer Kulturszene
Jelena wurde in der Vergangenheit aber manchmal auch mit ihrer älteren Schwestern Jekaterina verwechselt, einer Juristin, die parallel zu Jelena ebenso eine passable Karriere in der Moskauer Kulturbürokratie hingelegt hatte und seit vergangenem Sommer ein großes Museum im "Goldenen Ring" außerhalb der Hauptstadt leitet. Beide Schwestern sind Vertreterinnen einer "Neuen Aristokratie" des Geheimdiensts, deren Formierung das Publizistenpaar Irina Borogan und Andrej Soldatow bereits 2011 in ihrer Geschichte des FSB beschrieben hatten.
Dass der FSB Interesse an den großen staatlichen Kulturtankern zeigt, war 2022 jedenfalls sehr deutlich geworden. Sowohl im Moskauer Puschkin-Museum als auch in der Tretjakow-Galerie wurden jeweils neue "Vizedirektoren für allgemeine Fragen" installiert. Im Puschkin-Museum, das diese Personale im Internet öffentlich machte, war ein Oberst aus dem FSB-Grenzschutz zum Zug gekommen, in der Tretjakow-Galerie ein Geheimdienstler ohne bekannte Vorgeschichte. Im Unterschied zu anderen Vizedirektoren ließ Tregulowas Institution diesen neuen Mitarbeiter in der öffentlichen Auflistung der Museumsleitung unerwähnt. Geholfen hat diese freundschaftliche Geheimhaltung der nun abgelösten Direktorin nun aber nicht. (Herwig G. Höller, 9.2.2023)