Michel Houellebecq drehte u. a. mit einer Philosophiestudentin.

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Sex und Michel Houellebecq (66), das ist keine sehr glückliche, aber eine lange Geschichte. In seinen Büchern gehört Prostitution fest zur strauchelnden kapitalistischen Gesellschaft, sexuelle Erlösung sieht Enttäuschung oft zum Verwechseln ähnlich, eins führt zum anderen, und plötzlich findet ein hoher Ministeriumsbeamter sein Geschlechtsteil im Mund der als Escort jobbenden Nichte wieder. Alles schon vorgekommen, etwa 2022 in Vernichten.

Jetzt plagt den französischen Skandalautor ein Pornofilm, in dem er mitspielt. Ist es ein echter Porno? Kunst? Ein Marketinggag? Am 11. März sollte der Film Premiere feiern. Die Welt erfuhr davon Ende Jänner aus dem vom verantwortlich zeichnenden niederländischen Filmkollektiv Kirac (Keeping It Real Art Critics) veröffentlichten Trailer: Ein Liebesurlaub Houellebecqs mit seiner Frau sei ausgefallen, heißt es darin. Die Reise nach Marokko habe er aus Angst vor islamistischen Extremisten abgesagt.

"Falsche" Aussagen

Zu dem Zeitpunkt war schon viel Hirnschmalz in die Planung geflossen: Houellebecqs Frau habe einen Monat zugebracht, Prostituierte zu organisieren. Vergebens. Es gebe in Amsterdam genug Frauen, die aus Neugier mit dem Autor schlafen würden, suchte der Filmer ihn aufzuheitern. Er arrangiere alles, wenn er mitfilmen dürfe. So kam es.

Jetzt, zwei Wochen später, distanziert sich Houellebecq von dem Film. Er und seine Frau hätten "mit Abscheu" festgestellt, dass der Trailer "falsche" Aussagen enthalte, die ihre Würde verletzten, ließ der Autor per Anwalt verlautbaren. Der Trailer sei ein Angriff auf seine Ehre und, schlimmer, seine Frau. Das Paar geht nun gegen die Veröffentlichung des Films vor, will den Trailer aus dem Internet verbannen.

Michel Houellebecq drehte u. a. mit der Philosophiestudentin und Inhaberin eines Onlyfans-Accounts, Jini van Rooijen.
Keeping It Real Art Critics

Noch ist auf der Website des 2016 gegründeten Kollektivs zu sehen, wie der halbnackte Autor die Arme um eine junge Frau schlingt. "Er ist sehr gut im Bett", streut ihm Filmer Stefan Ruitenbeek derweil Rosen. Im Interview mit der französischen Ausgabe des Magazins "Vice" führt er weiter aus: "Es war unglaublich, wir haben viele Stellungen durchgemacht." In Houellebecqs Büchern seien "die Charaktere, die ihm ähneln, hässlich, sie können keine Frauen bekommen", aber im wirklichen Leben sei Houellebecq "ein Verführer". "Das habe ich überhaupt nicht erwartet."

Kritische Befassung mit Kunstwelt

Houellebecqs Frau war laut Ruitenbeek wesentlich an der Durchführung sowie Anbahnung des Drehs beteiligt: Sie habe gesagt, das Einzige, was ihren Mann glücklich mache, sei, "mit vielen Frauen" zu schlafen. "Aber es wird immer schwieriger, ihm Frauen zu verschaffen, die sich bereit erklären. Man kann keine Groupies finden, und er mag es nicht, Prostituierte zu bezahlen." Jini van Rooijen, die man in der Szene im Trailer sieht, habe sofort angeboten, mitzumachen, weil sie Houellebecq als Autor liebe, sagt Ruitenbeek.

Sechs Tage lang sei mit vier Frauen gedreht worden, philosophische Gespräche und Restaurantbesuche inklusive. Die bisher 27 Filme der Gruppe setzen sich allesamt mit der Kunstwelt auseinander, handeln von Kapitalismus und woker Moral.

So vergeistigt ist auch Ruitenbeeks Erklärung für den Streifen: Wiewohl ein berühmter Autor, sehe er Houellebecq als auf den Tod zusteuernden Mann, der trotzdem Nähe suche. (Michael Wurmitzer, 9.2.2023)